Star-Architekt Daniel Libeskind entwarf das Jüdische Museum in Berlin, das neue World Trade Center in New York – und ein Atelier (o.) auf Mallorca.

TW
0

In der Nacht zum 26. Februar 1912 waren die Tage des Bab al-Kahl gezählt. Das Stadttor aus noch maurischer Zeit, durch das einst der aragonesische König Jaume I. am Silvestertag des Jahres 1229 siegreich in Palma eingezogen war und Mallorca somit den Arabern entriss, fiel der Spitzhacke zum Opfer. Anwohner hatten sich in der Dunkelheit über das symbolträchtige Bauwerk hergemacht, um den 1902 begonnenen Abriss der mittelalterlichen Stadtmauern von Palma auf eigene Faust voranzutreiben.

Das Ereignis ist exemplarisch: Palma und seine Bürger tun sich im Umgang mit Stadtentwicklung und emblematischer Architektur mitunter schwer.

Beispiele aus heutiger Zeit: Das Verwaltungsgebäude des Energieversorgers Gesa am Stadteingang Palmas soll abgerissen werden, um Palmas Meeresfront umzugestalten. Sehr zum Protest der Architektenkammer und Teilen der Bevölkerung, die in dem 1965-68 von Josep Ferragut errichteten Bürogebäude das erste und stilechte Exemplar moderner Architektur auf der Insel ausmachen, im Sinne des weiterentwickelten Bauhaus-Gedankens, wie ihn der deutsche Stararchitekt Mies van der Rohe vertrat.

Noch ein Beispiel: Bei der Eröffnung des Technologiezentrums Parc Bit in Palma kommt es im November vergangenen Jahres zum Eklat, weil der britische Stararchitekt Richard Rogers, seines Zeichens Erbauer des Centre Pompidou in Paris und des Millenium Dome in London, seine Entwürfe verstümmelt vorfindet. Entgegen den ursprünglichen Plänen will sich die Balearen-Regierung von dem zweiteiligen Konzept Wohnen-Arbeiten nur noch mit den Bürogebäuden begnügen.

In Palmas Stadtgeschichte gab es wiederholt Phasen der Stagnation, bis der aufgestaute Wille zu Erneuerung zu mächtigen Befreiungsschlägen ausholte. Deren positive wie negative Folgen zeigen sich in ihrer vollen Bandbreite meist erst Jahrzehnte später.

Der Abriss der Stadtmauern war so ein Radikalschnitt. Das geordnete Wachstum der Stadt im neu geschaffenen Freiraum (Eixample) mit Bürgerhäusern im Modernismo-Stil stil gilt als positiver Effekt, von dem allerdings heute nicht mehr viel zu erkennen ist. Denn der Stadtentwicklungsplan von 1963 erlaubte plötzlich nahezu die doppelte Anzahl an Stockwerken. So kommt es, dass etwa an den Avenidas die klassischen Jugendstil– und Historismus-Bauten von meist gesichtslosen Gebäuden regelrecht erdrückt werden.

Das Aufbrechen der Innenstadt-Querachse, der heutigen Einkaufsstraße Jaime III. mit ihren steinernen Bögen und Wandelgängen, nach Plänen des Architekten und Stadplaners Gabriel Alomar um 1950, wird heute als gelungener Wurf angesehen. Der zeitgleich errichtete Passeig Maritim durch den Ingenieur Gabriel Roca, der die Felsküste Palmas unter Beton legte und die Bucht von Can Barbarà per klotziger Asphaltspur vom Meer abtrennte, ruft heute hingegen in der Stadtbevölkerung Sehnsüchte nach der verlorenen Idylle wach.

„Palma hat in den letzten Jahren große Rückschritte gemacht. Es ist eine unangenehme Stadt geworden, mit Umweltproblemen, wie sie es früher nicht gab”, sagt der Architekt Antoni Alomar und Sohn des Stadtplaners Gabriel Alomar. Antoni Alomar hatte sich vor zwei Jahren bei den Neuwahlen zur Architektenkammer als Protestkandidat aufstellen lassen. Architekten haben eine soziale Verantwortung, die nicht dem Profit der Bauherren und ihrem Streben nach billig und schnell errichtetem Wohnraum geopfert werden dürfe, lautete eine seine Forderungen. Alomar unterlag deutlich.

„Es hat keinen Sinn, darüber zu diskutieren, ob die mastodontischen Häuserblöcke an der Vía Cintura, die übrigens schrecklich sind, gute oder schlechte Architektur darstellen”, sagt der Architekt Martí Lucena, der in der Mallorca-Enzyklopädie über Stadtentwicklung schreibt und den offiziellen Architekturführer von Palma verfasst hat. „Was in Palma fehlt, ist eine ganzheitliche Planung, die sich nicht in punktuellen Aktionen wie etwa den Laternen am Passeig Mallorca oder dem Steinbelag auf der Plaça Espanya erschöpft. Wir müssen uns vielmehr fragen, wie die Stadt aussehen soll, in der wir künftig leben möchten.”

Seit den 60er Jahren sei im Zuge des Tourismus-Booms architektonisch „viel Murks und nur wenig Gutes” gebaut worden, sagt Lucena. Auch die geplante Umgestaltung der Meeresfront mit dem vorgesehenen Bau eines Kongresszentrums sieht der Architekt ohne übergeordnete Planung skeptisch. „Die Stadt will die autobahnartige Küstenstraße beruhigen und zu einem Boulevard zurückbauen. Gleichzeitig will die Hafenbehörde die Kapazitäten auf der Alten Mole drastisch aufstocken, was zwangsläufig mehr Verkehr bedeutet. Wie soll das zusammengehen?” Was nach Lucenas Worten fehlt, sind die gemeinsame Absprache und ein möglichst großer Konsens. „Die Dinge müssen gut durchdacht sein, und auch die Langzeitfolgen sind intensiv abzuschätzen.”

Das Beispiel Bilbao mit seinem spektakulären Guggenheim-Museum – einem 1997 fertig gestellten Werk des US-Stararchitekten Frank Owen Gehry im Baustil des Dekonstruktivismus – hat auch in Palma den Ruf nach einem derartigen „singulären” Gebäude aufkommen lassen. Nicht wenige der 1800 auf den Balearen aktiven Architekten hätten Interesse an der Gestaltung eines solchen Bauwerks. Der für Architektur zuständige Staatssekretär im balearischen Bauministerium, Jaume Carbonero, will das Thema allerdings mit Bedacht angepackt wissen. „Der Effekt eines solchen Gebäudes ist sicherlich positiv. Aber es gilt nicht die Regel, dass jedes Projekt so glücklich gelingt wie in Bilbao.”

In Palma sieht Carbonero allerdings durchaus Bedarf in Sachen verbraucherfreundlicher Einrichtungen, damit die Stadt zu anderen Metropolen ein vergleichbares Niveau aufweise. „Wir brauchen ein gutes Kongresszentrum, ein gutes Museum, ein gutes Konservatorium für den öffentlichen Gebrauch”, sagt Carbonero. „Das Guggenheim-Museum hat in allen Städten ein regelrechtes Fieber entfacht”, konstatiert Palmas Städtebau-Dezernent Rafael Vidal. Der Bau sei eine gute architektonische Skulptur, und auch in Palma sei die Architektur von öffentlichen Gebäuden noch deutlich zu verbessern.

„Aber es sollte nicht zur Besessenheit werden”, mahnt der Politiker. Wird es also in Palma ein vergleichbares Gebäude wie in Bilbao nicht geben? Vidal verweist in diesem Zusammenhang auf das geplante Kongress– und Messezentrum an der Meeresfront, für das in naher Zukuft ein Wettbewerb ausgerufen werden soll. „Es wird zwar kein zweites Guggenheim werden, aber ein emblematisches Gebäude wird es auf jeden Fall.”