In der Nacht zum 26. Februar 1912 waren die Tage des Bab al-Kahl
gezählt. Das Stadttor aus noch maurischer Zeit, durch das einst der
aragonesische König Jaume I. am Silvestertag des Jahres 1229
siegreich in Palma eingezogen war und Mallorca somit den Arabern
entriss, fiel der Spitzhacke zum Opfer. Anwohner hatten sich in der
Dunkelheit über das symbolträchtige Bauwerk hergemacht, um den 1902
begonnenen Abriss der mittelalterlichen Stadtmauern von Palma auf
eigene Faust voranzutreiben.
Das Ereignis ist exemplarisch: Palma und seine Bürger tun sich
im Umgang mit Stadtentwicklung und emblematischer Architektur
mitunter schwer.
Beispiele aus heutiger Zeit: Das Verwaltungsgebäude des
Energieversorgers Gesa am Stadteingang Palmas soll abgerissen
werden, um Palmas Meeresfront umzugestalten. Sehr zum Protest der
Architektenkammer und Teilen der Bevölkerung, die in dem 1965-68
von Josep Ferragut errichteten Bürogebäude das erste und stilechte
Exemplar moderner Architektur auf der Insel ausmachen, im Sinne des
weiterentwickelten Bauhaus-Gedankens, wie ihn der deutsche
Stararchitekt Mies van der Rohe vertrat.
Noch ein Beispiel: Bei der Eröffnung des Technologiezentrums
Parc Bit in Palma kommt es im November vergangenen Jahres zum
Eklat, weil der britische Stararchitekt Richard Rogers, seines
Zeichens Erbauer des Centre Pompidou in Paris und des Millenium
Dome in London, seine Entwürfe verstümmelt vorfindet. Entgegen den
ursprünglichen Plänen will sich die Balearen-Regierung von dem
zweiteiligen Konzept Wohnen-Arbeiten nur noch mit den Bürogebäuden
begnügen.
In Palmas Stadtgeschichte gab es wiederholt Phasen der
Stagnation, bis der aufgestaute Wille zu Erneuerung zu mächtigen
Befreiungsschlägen ausholte. Deren positive wie negative Folgen
zeigen sich in ihrer vollen Bandbreite meist erst Jahrzehnte
später.
Der Abriss der Stadtmauern war so ein Radikalschnitt. Das
geordnete Wachstum der Stadt im neu geschaffenen Freiraum
(Eixample) mit Bürgerhäusern im Modernismo-Stil stil gilt als
positiver Effekt, von dem allerdings heute nicht mehr viel zu
erkennen ist. Denn der Stadtentwicklungsplan von 1963 erlaubte
plötzlich nahezu die doppelte Anzahl an Stockwerken. So kommt es,
dass etwa an den Avenidas die klassischen Jugendstil– und
Historismus-Bauten von meist gesichtslosen Gebäuden regelrecht
erdrückt werden.
Das Aufbrechen der Innenstadt-Querachse, der heutigen
Einkaufsstraße Jaime III. mit ihren steinernen Bögen und
Wandelgängen, nach Plänen des Architekten und Stadplaners Gabriel
Alomar um 1950, wird heute als gelungener Wurf angesehen. Der
zeitgleich errichtete Passeig Maritim durch den Ingenieur Gabriel
Roca, der die Felsküste Palmas unter Beton legte und die Bucht von
Can Barbarà per klotziger Asphaltspur vom Meer abtrennte, ruft
heute hingegen in der Stadtbevölkerung Sehnsüchte nach der
verlorenen Idylle wach.
„Palma hat in den letzten Jahren große Rückschritte gemacht. Es
ist eine unangenehme Stadt geworden, mit Umweltproblemen, wie sie
es früher nicht gab”, sagt der Architekt Antoni Alomar und Sohn des
Stadtplaners Gabriel Alomar. Antoni Alomar hatte sich vor zwei
Jahren bei den Neuwahlen zur Architektenkammer als Protestkandidat
aufstellen lassen. Architekten haben eine soziale Verantwortung,
die nicht dem Profit der Bauherren und ihrem Streben nach billig
und schnell errichtetem Wohnraum geopfert werden dürfe, lautete
eine seine Forderungen. Alomar unterlag deutlich.
„Es hat keinen Sinn, darüber zu diskutieren, ob die
mastodontischen Häuserblöcke an der Vía Cintura, die übrigens
schrecklich sind, gute oder schlechte Architektur darstellen”, sagt
der Architekt Martí Lucena, der in der Mallorca-Enzyklopädie über
Stadtentwicklung schreibt und den offiziellen Architekturführer von
Palma verfasst hat. „Was in Palma fehlt, ist eine ganzheitliche
Planung, die sich nicht in punktuellen Aktionen wie etwa den
Laternen am Passeig Mallorca oder dem Steinbelag auf der Plaça
Espanya erschöpft. Wir müssen uns vielmehr fragen, wie die Stadt
aussehen soll, in der wir künftig leben möchten.”
Seit den 60er Jahren sei im Zuge des Tourismus-Booms
architektonisch „viel Murks und nur wenig Gutes” gebaut worden,
sagt Lucena. Auch die geplante Umgestaltung der Meeresfront mit dem
vorgesehenen Bau eines Kongresszentrums sieht der Architekt ohne
übergeordnete Planung skeptisch. „Die Stadt will die autobahnartige
Küstenstraße beruhigen und zu einem Boulevard zurückbauen.
Gleichzeitig will die Hafenbehörde die Kapazitäten auf der Alten
Mole drastisch aufstocken, was zwangsläufig mehr Verkehr bedeutet.
Wie soll das zusammengehen?” Was nach Lucenas Worten fehlt, sind
die gemeinsame Absprache und ein möglichst großer Konsens. „Die
Dinge müssen gut durchdacht sein, und auch die Langzeitfolgen sind
intensiv abzuschätzen.”
Das Beispiel Bilbao mit seinem spektakulären Guggenheim-Museum –
einem 1997 fertig gestellten Werk des US-Stararchitekten Frank Owen
Gehry im Baustil des Dekonstruktivismus – hat auch in Palma den Ruf
nach einem derartigen „singulären” Gebäude aufkommen lassen. Nicht
wenige der 1800 auf den Balearen aktiven Architekten hätten
Interesse an der Gestaltung eines solchen Bauwerks. Der für
Architektur zuständige Staatssekretär im balearischen
Bauministerium, Jaume Carbonero, will das Thema allerdings mit
Bedacht angepackt wissen. „Der Effekt eines solchen Gebäudes ist
sicherlich positiv. Aber es gilt nicht die Regel, dass jedes
Projekt so glücklich gelingt wie in Bilbao.”
In Palma sieht Carbonero allerdings durchaus Bedarf in Sachen
verbraucherfreundlicher Einrichtungen, damit die Stadt zu anderen
Metropolen ein vergleichbares Niveau aufweise. „Wir brauchen ein
gutes Kongresszentrum, ein gutes Museum, ein gutes Konservatorium
für den öffentlichen Gebrauch”, sagt Carbonero. „Das
Guggenheim-Museum hat in allen Städten ein regelrechtes Fieber
entfacht”, konstatiert Palmas Städtebau-Dezernent Rafael Vidal. Der
Bau sei eine gute architektonische Skulptur, und auch in Palma sei
die Architektur von öffentlichen Gebäuden noch deutlich zu
verbessern.
„Aber es sollte nicht zur Besessenheit werden”, mahnt der
Politiker. Wird es also in Palma ein vergleichbares Gebäude wie in
Bilbao nicht geben? Vidal verweist in diesem Zusammenhang auf das
geplante Kongress– und Messezentrum an der Meeresfront, für das in
naher Zukuft ein Wettbewerb ausgerufen werden soll. „Es wird zwar
kein zweites Guggenheim werden, aber ein emblematisches Gebäude
wird es auf jeden Fall.”
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