Die Küste des Nationalparks Cabrera droht von einem 3000
Quadratkilometer großen Ölteppich überzogen zu werden. Vor knapp
drei Stunden sank ein aus Libyen kommender Tanker mit rund 30.000
Tonnen Rohöl rund 40 Seemeilen südlich von Mallorca. Vorausgegangen
war eine Explosion an Bord des 13 Jahre alten Schiffes.
Kommt es nun zu einem ähnlichen Umweltdesaster wie vor der Küste
Galiciens? Zugegeben, die beschriebene Situation ist reine Fiktion.
Dass es aber nicht immer dabei bleiben muss, zeigt dieser Tage der
Fall „Prestige”. Galicien hat seinen Super-GAU.
Ramón Bergueiro ist zur Zeit ein gefragter Mann. Mindestens 30
Interviews habe er in den letzten Wochen gegeben, sagt der
Chemiewissenschaftler der Balearen-Universität UIB. Und jetzt, vier
Wochen nachdem die „Prestige” in den Tiefen des Atlantiks
verschwand, will man ihn in eine Expertenkommission berufen.
Bergueiro schüttelt den Kopf.
Das Objekt der ungebrochenen Begierde: Bergueiro hat mit seinem
Team in drei Jahren Arbeit einen Notfallplan für Tankerunglücke in
den Gewässern Mallorcas ausgearbeitet. Den ersten dieser Art in
Spanien – anwendbar, wie er beteuert, mit kleinen Modifikationen
auch in anderen Regionen. Asturien und das Baskenland, ebenfalls
betroffen vom „Prestige”-Öl, haben bereits Interesse angemeldet.
Nur Galicien habe dankend abgelehnt.
Hätte ein solcher Notfallplan die Katastrophe minimieren können?
Nach Überzeugung des in Galicien geborenen Bergueiro ja. Das
virtuelle Simulationsprogramm „SONIA” hätte nur mit einer Vielzahl
von Daten und Variablen gefüttert werden müssen: Öltyp,
ausgelaufene Menge, Wind– und Strömungsverhältnisse,
Wassertemperatur et cetera. Der Computer berechnet auf Grundlage
des Datenpakets nicht nur den voraussichtlichen Weg des Ölteppichs.
Die verschiedenen Unterprogramme – insgesamt 20 – spucken
gleichzeitig das Drehbuch für einen breit angelegten Aktionsplan
aus.
Wie viele Reinigungskräfte werden benötigt? Was ist an Material
bereitzustellen? Welche Gefahr geht von dem gesunkenen Tanker aus?
Wieviel des ausgelaufenen Öls bleibt an der Oberfläche, sinkt zu
Boden oder verdunstet? Das Programm berechnet sowohl den
wirtschaftlichen Verlust der balearischen Fangflotte als auch die
zu befürchtende Zahl toter Meeresvögel.
Das Mittelmeer, holt der Wissenschaftler zur Veranschaulichung
aus, mache zwar nur ein Prozent der Weltmeerfläche aus. Dennoch sei
es Jahr für Jahr Auflaufplatz von etwa 30 Prozent der gesamten
Öltransporte. An die 650 Tankschiffe tummelten sich jährlich in den
Gewässern der Balearen, allerdings nur mit einer Maximalfracht von
35.000 Tonnen. Noch ein paar Zahlen gefällig? Auf Mallorca wurden
im vergangenen Jahr rund 140 Millionen Tonnen Dieselöl, 465
Millionen Tonnen Flugbenzin (JET A-1) und 308 Millionen Tonnen
Normalbenzin gelöscht.
Besonders ungünstig wäre nach Ansicht von Bergueiro ein
Tankerunfall zwischen dem spanischen Festland und Mallorca. „Die
vorherrschenden Winde und Strömungen würden ausgelaufenes Öl rasch
auf die Steilküste unterhalb der Tramuntana treiben.” Zumindest
theoretisch scheinen die Balearen dank Bergueiro und seinem Team
auf den Notfall vorbereitet zu sein. Die Hauptrolle an Land würde
der Zivilschutz „Protección Civil” spielen. „Enorm wichtig ist die
richtige Ausstattung der Reinigungskräfte an den Stränden”, sagt
Bergueiro und zieht eine rote Gummimaske mit auswechselbarem
Kohlefilter aus der Schublade. Die weißen Stofftücher, die er bei
den Freiwilligen in Galicien sieht, seien verantwortungslos. Es
handele sich schließlich um giftige Dämpfe.
Zunächst müsste aber, wie im Fall der gesunkenen „Prestige”,
geklärt werden, was mit einem havarierten Tanker auf offenem Meer
geschehen solle. „Notfalls muss man eben eine Bucht opfern”,
kritisiert der Chemiker die Vorgehensweise in Galicien. Die werde
mit Barrieren abgeriegelt, das Öl abgepumpt und das Schiff zerlegt.
Im günstigsten Fall „ist nach sechs Monaten nichts mehr zu sehen”.
Dass solch eine Aktion mit Risiken verbunden ist, leugnet Bergueiro
nicht.
Was aber, wenn der Tanker trotzdem vor Mallorca sinkt? „Dann
kommt es auf die Meerestiefe an.” Hier habe die Badewanne
Mittelmeer den Vorteil, im Vergleich zum Atlantik relativ seicht zu
sein. 20 Kilometer vor Port d'Andratx sind es gerade mal 150 Meter
bis zum Grund. „In dieser Tiefe kann Öl noch problemlos an die
Oberfläche gepumpt werden”, so der Wissenschaftler. Liegt das Wrack
mit den Tanks tiefer, schlägt er vor, etwaige Risse zu flicken und
bis zum Sommer zu warten. Hat sich das Meer beruhigt, wird das
durch die niedrige Wassertemperatur inzwischen zäh gewordene Öl mit
Rapsöl verflüssigt. Dann werden die Tanks angebohrt, und das Öl
steigt rasch an die Oberfläche, wo es von Reinigungsschiffen
aufgesogen wird. So sieht laut Bergueiro der Idealfall aus.
Kompliziert ist die Bekämpfung der Ölteppiche auf offener See.
Entscheidend sind laut dem Experten die ersten Stunden, da müsse
schnell gehandelt werden. So errechnet der Notfallplan unter
Berücksichtigung der Strömungen und Winde, wie die Barrieren am
wirkungsvollsten eingesetzt werden müssen. Mit deren Hilfe kann
unter optimalen Bedingungen verhindert werden, dass sich das Öl
ausbreitet. Rund zwei Kilometer davon stünden auf den Balearen zur
Vefügung. Oder wann der Skimmer, eine Art Staubsauger für
Flüssigkeiten, zum Einsatz kommt. Es dürften auch nicht, wie in
Galicien, Tage vergehen, ehe Spezialschiffe aus dem Ausland zur
Hilfe gerufen werden. Bergueiro macht den Eindruck, als könnte er
die Negativliste organisatorischer Fehler im Fall „Prestige” endlos
fortführen.
Sein Notfallplan hört an Land nicht auf. Simulationen am
Computer zeigen, wo Ölteppiche die Küste erreichen würden. Ist es
ein schwer zugängliches Gebiet, müsste sofort damit begonnen
werden, provisorische Zufahrtswege zu schaffen. Unterdessen wäre es
Aufgabe des Zivilschutzes, Reinigungskräfte und Freiwillige mit
Schutzkleidung und entsprechenden Masken auszustatten.
Das eingesammelte Öl sei auch nicht gleich Öl, sagt Bergueiro.
Ist es stark mit Sand und Algen vermischt, müsse es in die
Verbrennungsanlage nach Son Reus. Nahezu reines Öl könne hingegen
beispielsweise noch zum Heizen von Ziegelbrennereien verwendet
werden. Vor allem aber, und daran fehle es in Galicien, sei für
eine funktionierende Logistik zu sorgen. „Es müssen Container,
Schaufeln, Anzüge und Masken vorhanden sein, und zwar in
ausreichender Anzahl”, fasst Bergueiro zusammen.
Keine Frage, der galicische Wissenschaftler im Dienste der UIB
hätte in Nordspanien einiges anders gemacht. Ebenso ist er
überzeugt, dass Galicien mit einem Notfallplan seiner Bauart besser
davon gekommen wäre. Bei der Frage, ob denn auch genug Material für
den Ernstfall sofort einsatzbereit wäre, muss auch er zurückrudern:
„Genug Material kann man nie haben”, meint er vielsagend.
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