Eigentlich ist Miquela eine eigenständige Frau. Sie verdient
ihren Unterhalt als Verkäuferin in einem Souvenirladen am Strand,
lebt zur Miete, ist intelligent, jung, attraktiv. Und dennoch kann
Miquela nicht so leben, wie sie möchte, nicht den Mann lieben, den
sie begehrt, nicht ihr eigenes Glück finden, ohne sogleich gegen
eine Vielzahl moralischer Tabus, sittlicher Normen und
gesellschaftlicher Auflagen zu verstoßen. Denn Miquela lebt im
Mallorca der 60er Jahre, und gerade für die Frauen jener Zeit
schien es auf der Sonneninsel noch immer kaum etwas anderes zu
geben als die geschlechtsspezifisch-häuslichen Pflichten: Kinder,
Küche, Kirche.
Der Roman „39 Grad im Schatten” der Schriftstellerin Antònia
Vicens ist ein facettenreiches Spiegelbild vom Umbruch Mallorcas im
Zuge des einsetzenden Massentourismus. „Das Werk strahlt das
Unwohlsein einer ganzen Generation von Frauen aus, die dazu
verurteilt waren, in einer patriarchalischen Gesellschaft zu leben,
die ihnen jede freie Entwicklung verwehrte”, weiß die
Literaturwissenschaftlerin Pilar Arnau.
Doch ungeachtet der feinfühlig geschilderten, teils beklemmenden
Lebensverhältnisse kommen die Protagonisten mit ungeahntem Witz und
Lebensdrang daher. Der Souvenirladen wird zum Treffpunkt von
Touristen, Zimmermädchen, Gastwirten und Hoteliers, die alle,
angetrieben von der Last und der Lust des Daseins, ihr persönliches
Schicksal zu meistern suchen.
1967 erhielt die damals völlig unbekannte Autorin (26)
für ihren Roman den renommierten Sant-Jordi-Preis. Der Berliner
Elfenbein Verlag veröffentlichte erstmals eine hervorragende
Übersetzung ins Deutsche (Jenny-Petra Farian). Ein lebendig
geschriebenes Buch, das hilft, die Mallorquiner, besonders jene
Generation des Umbruchs, besser zu verstehen.
Antònia Vicens, 39 Grad im Schatten, ISBN 3-932245-42-3,
Elfenbein Verlag, 18 Euro.
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.