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Es gibt sie! Auch wenn man gezielt nach ihnen suchen muss, da sie nicht gerade wie Sand am Meer vorhanden sind. Die Rede ist von Mallorquinern, die auf Deutschland genauso versessen sind wie umgekehrt die Bundesbürger auf das Eiland im Mittelmeer.

Dass nicht wenige Deutsche regelrechte Inselfans sind, ist bekannt. Ungeachtet aller Missklänge in der Vergangenheit wegen angeblicher Übersättigung, Touristen-Abgabe und (T)Euro schwören nach wie vor viele Bundesbürger auf die Insel und machen hier Urlaub. Und die Zahl derjenigen, die angelockt von Sonne, Strand und Meer sich hier niederließen, geht in die Zehntausende.

Die Liebe zur Insel ist keine Einbahnstraße. Im Gegenzug hat eine mallorquinische Minderheit dazu angesetzt, Deutschland zu erkunden, zu erobern, gar zur neuen Heimat zu machen. Vereinzelte Pioniere waren schon vor Jahrzehnten aufgebrochen. Im Zuge des Zusammenwachsens Europas wird der Strom stärker. Unglaublich, aber wahr: Die Mallorquiner, von denen es früher stets hieß, sie würden ihre Insel nur im Notfall verlassen, entwickeln eine ungeahnte Reiselust jenseits des Meeres und werden dadurch selbst zu „forasters” (Auswärtigen). „Die Berührungsängste haben abgenommen”, konstatiert der mallorquinische Rechtsanwalt Rafael Barber-Llorente mit Niederlassungen in Palma und Hamburg. „Die Zunahme der Mallorquiner, die seit ein paar Jahren nach Deutschland reisen, ist nicht revolutionär, aber konstant.”

Sonnenschein und Sommerfrische sind dabei nicht gerade die gewichtigsten Pfunde, mit denen das nördlich der Alpen gelegene Germanien wuchern kann. Die Anreize sind anderer Natur: „Ich hatte einige Filme über den Bayernkönig Ludwig II. gesehen und wollte mir seine Schlösser einmal aus der Nähe betrachten”, erzählt Andreu Sarmiento. Gemeinsam mit seiner Frau Marga machte der Grafikdesigner aus Marratxí 1995 mit dem Auto eine Tour durch das Allgäu und genoss Hohenschwangau, Neuschwanstein und die Bergseen – samt Regenwetter. Während dieser Woche bestätigte sich, was die beiden sich ohnehin schon gedacht hatten: Das auf Mallorca gängige Klischee von den Deutschen als „caps quadrats”, also den sogenannten starrköpfigen, arroganten und rechthaberischen „Quadratköpfen”, bewahrheitet sich nicht. „Es sind sehr liebenswerte Menschen, die wir kennen lernten.” Als das Auto mit einer Motorpanne liegenblieb und Sarmiento mit seinen drei Brocken Deutsch aufgeschmissen war, sei ihnen ein sehr freundlicher Dorfbewohner zu Hilfe gekommen. „Die Menschen sind ruhig, rücksichtsvoll und diszipliniert – da nimmt dir keiner die Vorfahrt.”

Geradezu begeistert von dem meist schlechten Wetter in Deutschland zeigt sich die Mallorquinerin Mariluz Estévez. „Ich mag ihn wirklich, diesen bewölkten, grauen Himmel”, schwärmt die studierte Modedesignerin. Sie sei jemand, der für sich viel im Stillen arbeitet, erzählt die 30-jährige Palmesanerin, die über ein Jahr in Münster lebte. „Ich male, entwerfe viel. Das geht nur, wenn es nicht zu heiß ist.” In Münster habe sie stundenlang am Fenster sitzen und zeichnen können. „Das Klima hilft, sich zu konzentrieren, zu vertiefen.” In ihrer Freizeit erkundete sie die Gegend mit dem Fahrrad, fuhr damit durch einsame Wälder. Auf Mallorca sei das allein schon wegen der Autofahrer nicht möglich. „Ich glaube, ich habe einen Berg an Fotos von alten Bäumen geschossen.”

Häufig sind es familiäre Bindungen, die einen bodenständigen Mallorquiner den Weg nach Deutschland beschreiten lassen. Bei Enriqueta Castelló richtete sich der Blick auf Berlin. Als einer der ersten deutschen Residenten hatte ihr Großvater aus Dortmund in den 30er Jahren eine Mallorquinerin geheiratet. Arqueta wuchs in Palma auf und fühlt sich durch und durch als Mallorquinerin, hatte aber auch stets Deutsch im Ohr. Nach dem Jura-Examen in Palma ging sie für eine Fortbildung nach Potsdam – und blieb in Berlin, wo sie das großstädtische Kulturangebot gefangen nahm. „Aber es ist eben nicht nur das. Was mir an Deutschland gut gefällt, ist etwa die soziale Sicherheit und ein Gesundheitssystem, das einem anders als die hiesige Seguridad Social die freie Arztwahl lässt.” Ihre Zukunft sieht die Rechtsanwältin in Berlin, „bei etwa drei bis vier Reisen pro Jahr auf die Insel.”

Dank seines deutschen Schwagers ist auch Bernardo Bonnin 1999 erstmals zu einem Deutschlandbesuch verleitet worden. Seitdem ist der Schwarzwald zu seiner bevorzugten Urlaubsregion avanciert. „Was mir dort mit am stärksten aufgefallen ist: die Ruhe”, erzählt der Inhaber des Informatikbetriebes Robot in Palma. Die lärmenden Mopeds, die auf Mallorca vielen den Nerv töten, seien in Deutschland offenbar mit Erfolg verbannt worden. „Warum geht das auf Mallorca nicht? Und dann der Clou: Eines Tages spazierte ich durchs Dorf und blieb vor einem Kleinbagger stehen, der einen Graben aushob: Man hörte ihn kaum! Ein Land, in dem noch nicht einmal die Baumaschinen Lärm machen, hat meine Sympathie.”

Als Techniker faszinierte ihn zudem der Besuch einer mittelständischen Schreinerei. „Dass die Handwerksgesellen an computergesteuerten Fräsen und Sägen arbeiten, hat mir gezeigt, dass Spanien bei allem ,España geht's prächtig' verglichen mit Deutschland noch viel Nachholbedarf hat.” Aus wirtschaftlicher Sicht imponieren dem Informatiker ohnehin deutsche Tugenden wie Pünktlichkeit und Perfektion. Dort sei man stolz darauf, eine ordentliche Arbeit abzuliefern. „Das fehlt mir in Spanien.” Auch die badische Gastronomie hat es Bonnin angetan. „Hirschsteak mit Preiselbeeren und Spätzle – man kann dort hervorragend essen, und das Preis-Leistungsverhältnis ist besser als auf Mallorca.”

Mitunter sind es auch politische Gründe, die Mallorquiner zur Ausreise nach Deutschland veranlassten. „Ich hatte 1973 nach Protesten gegen das Franco-Regime einen Gefängnisaufenthalt hinter mir, und mir drohte als Student die Exmatrikulation”, sagt Pere Joan i Tous aus Capdepera. Der Professor für romanische Literatur in Konstanz ist der wohl einzige Mallorquiner, der als Professor an einer deutschen Hochschule lehrt und forscht. Als Student der Philosophie lagen ihm Deutschland samt seiner führenden „Frankfurter Schule” nahe. Als Spanien sich Ende der 70er zur Demokratie wandelte, war der heute 49-Jährige beruflich und privat in Deutschland so integriert, dass eine Rückkehr nicht mehr in Frage kam. Im Rückblick erinnert er sich: „Meine Generation damals hielt vieles von dem, was von außen kam, für besser als das, was wir in Spanien hatten – auch aus Protest gegen das Franco-Regime.” Gegenwärtig vollziehe sich auf Mallorca auch eine gegenläufige Tendenz, beobachtet Joan i Tous: Die Zeit vor dem Massentourismus werde idealisiert. „Aber ein Land, aus dem man auswandern musste, kann keine Idylle gewesen sein, zumindest nicht für alle.”

Bei manchem Mallorquiner gab das Interesse an deutscher Geschichte und Kultur den Ausschlag, sich eine Fahrkarte nach Norden zu lösen. Im Falle von Pere Bonnin aus Sa Pobla (nicht verwandt mit Bernardo Bonnin) war es 1962 soweit. Als 15-Jähriger reiste er nach Andernach zu Bekannten. „Diese Reise hat einen sehr prägenden Eindruck hinterlassen. Die Leistungen des Wiederaufbaus waren überall zu sehen. Deutschland wirkte auf mich wie ein Land, das funktioniert.” Bonnin wurde später Chefkorrespondent der spanischen Nachrichtenagentur Efe in Bonn und berichtete Ende der 70er über den RAF-Terrorismus und den „heißen Herbst” in Deutschland. Seit damals haben sich nicht nur die Spanier, sondern auch die Deutschen geändert. „Sie leben nicht mehr nur, um zu arbeiten. Sie haben auch gelernt zu leben.”

Beeindruckt von Deutschland ist auch der junge Journalismus-Student Joan Estrany, der vorerst ein Jahr in Leipzig studierte. Die Bilder vom Mauerfall hatten sein Interesse an deutscher Geschichte und infolgedessen an deutscher Kultur geweckt. Neben der Schule besuchte er in Palma Sprachkurse. „Mir gefällt vor allem das Mehr an Freiheit, das es in Deutschland gibt. Die Eltern respektieren die Intimsphäre der Kinder. Wenn hier ein Jugendlicher eine Freundin findet, hängt sich gleich die Familie mit hinein”.

Mitunter ist es auch die große Liebe, die Mallorquiner nach Deutschland entführt. Paradebeispiel ist der wohl beste Kenner der deutsch-mallorquinischen Lebenswelten, Josep Moll Marquès, MM-Mitarbeiter, Buchautor, Dolmetscher, Ex-Politiker und seit kurzem offizieller Gesandter der Balearen in Berlin. 16 Jahre lebte Moll in München, bis er 1977 mit seiner deutschen Frau nach Mallorca zurückkehrte. „Wenn Mallorquiner in den Schwarzwald oder in den Bayerischen Wald fahren und die Dörfer sehen, so gut gepflegt und die öffentlichen Anlagen so sauber, dann sind sie alle hin und weg”, sagt Moll.

Bei solchen Reisen lernten die Inselbewohner, dass die Deutschen ganz anders seien als jene berüchtigten Ballermann-Touristen. Es sei daher wünschenswert, den Austausch zwischen den beiden Völkern auszubauen. „Ich kenne keinen Mallorquiner, der nicht zurückgekommen ist und von Deutschland nicht total hingerissen war.”