Mallorca, dieser kleine Knotenpunkt im westlichen Mittelmeer,
ist schon immer ein Ort der Begegnung verschiedener Kulturen und
Religionen gewesen. Es dürfte nicht schwierig sein, an diese
Tradition der Weltoffenheit knüpfen zu wollen, die bereits wenige
Jahre nach der katalanischen Eroberung begründet wurde.
Damals hat der große Philosoph Ramon Llull sein Leben und Wirken
dem Gedanken des Dialogs zwischen Muslimen und Christen gewidmet
und unter anderem die Gründung eines Klosters in der Nähe von Deià
angeregt, in dem Mönche die arabische Sprache lernen sollten, um
dann ihre Missionstätigkeit in den Ländern des Islams entwickeln zu
können.
Indirekt könnte heute Ramon Llull erneut den Anstoß zur
Errichtung einer Begegnungsstätte auf Mallorca gegeben haben, in
der der Dialog zwischen den Weltreligionen gepflegt werden
soll.
Das ist jedenfalls der Traum des berühmten Komponisten Norbert
Schultze („Lili Marleen”), der mit seinen 91 Jahren in
bewundernswerter Frische daran arbeitet, auf Mallorca eine
Niederlassung der Stiftung Weltethos, die der bekannte Theologe
Professor Hans Küng gegründet hat, einzurichten.
Norbert Schultze lebt schon seit vielen Jahren auf Mallorca.
Nach eigenem Bekunden fragte er sich eines Tages: „Bin ich hier, um
meine alten Tage ruhig zu verbringen, oder um etwas mehr als das zu
tun? Da habe ich das Denkmal von Ramon Llull gesehen, von dem ich
noch nie etwas gehört hatte, und ich begann mich für sein Werk zu
interessieren.”
Schultze wurde zu einem Llull-Anhänger: „Ich fand heraus, dass
er nicht einfach missionieren, sondern den Dialog zwischen Christen
und Muslimen fördern wollte. Er war seiner Zeit voraus, und deshalb
musste dieser Dialog die Form einer Missionstätigkeit annehmen.”
Von da an hegte Norbert Schultze den Wunsch, den Dialog zwischen
den Religionen zu fördern. Eigentlich erstaunlich bei einem
Menschen, der von sich selbst sagt: „Ich habe meine Kunst, ich
brauche keine Religion. Aber ohne eine Kommunikation zwischen den
Weltreligionen wird es keinen Frieden geben. Wir müssen uns fragen,
wer denn die Ungläubigen sind, von denen sowohl die Bibel als auch
der Koran sagen, dass sie bekämpft werden müssen? Ungläubig sind
nicht die Andersgläubigen sondern Menschen, die an gar nichts
glauben.”
Als müsste er sich selbst erklären, warum er keine Religion
braucht, fügt er hinzu: „Ich konnte mich mit dem Gedanken der
Wiederauferstehung nicht anfreunden. Eigentlich ist es fast ein
Dünkel vom Menschen zu denken, dass er aufersteht, aber nicht die
anderen Tiere. Ich bin kein Philosoph und konnte auf diese Fragen
keine Antwort geben, aber die Themen scheinen mir wichtig.” Vor
einem Jahr war Norbert Schultze schwer krank und musste in Berlin
behandelt werden. Als er wieder genesen war, arbeitete er gleich
wieder an seinem Projekt: „Ich hatte von Hans Küng und seiner
Stiftung gehört. Außerdem fiel mir wieder ein, dass ich mit Ramon
Llull noch etwas vorhatte. Also habe ich beschlossen, nicht gleich
nach Mallorca zurückzufliegen, sondern ab nach Tübingen, wo Küng
lebt. Leider war er in den USA auf Vortragsreise. Dort hat er den
11. September erlebt. Dieses Attentat hat meine Überzeugung über
die Notwendigkeit des Dialogs zwischen den Kulturen und Religionen
gestärkt.”
Norbert Schultze hatte sich den richtigen Gesprächspartner
gesucht. Der kritische Theologe Hans Küng hatte im Jahre 1990 die
Programmschrift „Projekt Weltethos” vorgelegt, in der die Idee
entwickelt wird, dass die Religionen der Welt nur dann einen
Beitrag zum Frieden der Menschheit leisten können, wenn sie sich
auf ihre Gemeinsamkeiten im Ethos besinnen. Drei Jahre später fand
das Projekt eine erste große internationale Resonanz, als das
Parlament der Weltreligionen die sogenannte „Erklärung von Chicago”
verabschiedete, in der Vertreter praktisch aller Religionen sich
erstmals über Prinzipien und Inhalte eines Menschheitsethos
verständigten. Und im Jahre 1995 hat Karl Konrad Graf von Groeben,
beeindruckt von der Lektüre des „Projekt Weltethos”, beschlossen,
für die Stiftung Weltethos einen namhaften Betrag bereit zu
stellen, aus dessen Zinserträgen die Arbeit eines Teams unter
Leitung Küngs finanziert wird.
Diese Arbeit wird bestimmt von fünf Leitlinien: Kein
Zusammenleben auf unserem Globus ohne ein globales Ethos. Kein
Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein
Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen.
Kein Dialog zwischen den Religionen und Kulturen ohne
Grundlagenforschung, also ein Dialog, der nur auf dem Fundament des
Sachwissens und mit reflektierten Standpunkten möglich ist. Und
schließlich: Kein globales Ethos ohne Bewusstseinswandel von
Religiösen und Nicht-Religiösen, das heißt von denen, die bislang
als Gläubige und Ungläubige bezeichnet werden, aber auch von denen,
die sich als „nicht religiös” verstehen, aber ihr Leben auf humane
Werte gründen.
Eigentlich sind diese Postulate genau das, was Norbert Schultze
vorschwebte, als er an Ramon Llull knüpfen wollte. Und auch er, wie
immer mehr Menschen auf der Welt, glaubt, dass nach dem Attentat
vom 11. September dieser Dialog notwendiger denn je ist. Also
schrieb er kurzerhand an Küng und trug ihm seine Idee vor, auf
Mallorca eine Dependence der Stiftung Weltethos einzurichten: „Ich
habe Küng darauf hingewiesen, dass Ramon Llull das erste Collegium
Arabicum der christlichen Welt auf Mallorca errichtet hatte und
dass es sicherlich sinnvoll wäre, in diesem Sinne eine
Niederlassung der Stiftung Weltethos auf Mallorca zu installieren.
Ich halte Mallorca geradezu für prädestiniert dazu, eine
Begegnungsstätte der Weltreligionen zu sein. Ich könnte mir sogar
vorstellen, dass mit der Zeit die Stiftung Weltethos sogar ihren
Hauptsitz hier haben könnte.” Die Stiftung hat schon
Niederlassungen in der Tschechischen Republik, in der Schweiz und
in den Niederlanden, schrieb der Professor zurück, und er würde es
sehr begrüßen, wenn sie auch auf Mallorca eine Repräsentanz hätte.
Dafür wäre es nötig, einen Kreis interessierter Personen
zusammenzubringen.
Dass das auf Mallorca nicht unmöglich sein dürfte, davon ist
Schultze überzeugt: „Es gibt auf Mallorca offizielle Vertretungen
der drei wichtigsten Religionen, des Christentums, des Islams und
des Judentums. Es müsste doch möglich sein, ihre Mitarbeiter an
einen Tisch zu bringen. Ich glaube, das wäre für Mallorca und die
Welt sehr positiv.”
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