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Stille und Einsamkeit, ein paar vertrocknete Blumen, herrenlose Katzen und der ferne Lärm des Alltags regieren fast das ganze Jahr die Friedhöfe in Dorf und Stadt, von Andratx bis Santanyí, von Palma bis Alcúdia. Nur zu Allerheiligen am 1. November ist der Friedhof der meistbesuchte Ort der Gemeinden. Tausende von Bürgern statten ihren Toten dann einen Besuch ab. Schon Tage zuvor werden die Gräber und Nischen geschmückt, bringt man Blumen und Kerzen.

Neben den römischen und arabischen Nekropolen, die heute unter dem historischen Stadtkern von Palma oder in Son Real bei Can Picafort liegen, begrub man die Toten einst in den Kirchen der Stadt und den anliegenden Kirchgärten, eben auf dem „Gottesacker”. Nur Selbstmörder, Ketzer und Verbrecher hatten das Recht der letzten Ruhe in geheiligter Erde verwirkt.

Wer ein Familienmitglied im Kloster hatte – und das hatten viele – bekam dort eine Grabstätte. Vermögende Familien bestatteten ihre Toten nach Möglichkeit in der Kathedrale, deren Untergrund ein großer Friedhof ist. Oder eben in der jeweiligen Pfarrkirche. Seit dem 18. Jahrhundert mussten Friedhöfe außerhalb der Siedlungen liegen, um der Gefahr von Seuchen vorzubeugen. So verfügte es das erste spanische Friedhofsgesetz. Diesen Brauch gab es allerdings auch schon zu Zeiten der Römer, die ihren Toten, wie andere antike Kulturen auch, Beigaben mit ins Grab legten. Und sie führten die Grabinschrift mit Namen und Lebensdaten der Verstorbenen ein.

Der heutige Zentralfriedhof – es gibt noch fünf weitere innerhalb des Stadtgebietes in Génova, Sa Vileta, Establiments, Sant Jordi und Sant Trillo – entstand in seiner jetzigen Form im Jahr 1812. Er besteht mittlerweile aus drei Teilen, dem „alten Friedhof”, dem „Cementerio Nuevo”, der aus dem Jahr 1938 datiert und dem aktuell genutzten Teil. Da auch das nicht ausreicht, wird der Friedhof zur Zeit erweitert.

Insgesamt liegen hier 180.000 Menschen begraben; in den nächsten Jahren braucht man Platz für eine halbe Million. Viele vor allem der alten Grabstellen und Familienmausoleen sind prächtig und aufwendig gestaltet. In der Nähe des Eingangs ist sowohl ein Pantheon der Spanischen Luftwaffe „Gloria a los Caídos del Aire” als auch eine Gedenkstätte für italienische Militärs, die im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten Francos kämpften. Die Inschrift: „Ai marini e aviatori d'Italie caduti in Spagnia 1936-1939). An diesem Platz ereignete sich während des Bürgerkriegs ein oft verschwiegenes Kapitel mallorquinischer Geschichte: Republikaner wurden von Franco-Anhängern erschossen.

In unmittelbarer Nähe ist der Eingang zu den Katakomben, wo vor allem die Opfer einer Grippe-Epidemie zu Beginn dieses Jahrhunderts liegen, die damals Tausende von Opfern forderte. Der Begriff „Totenstadt” trifft für den Hauptfriedhof von Palma im Sinne des Wortes zu. Es gibt Straßen und Plätze, Wege und besondere Monumente.

Die Wege und Gänge sind nach christlichen Begriffen oder nach Evangelisten oder Heiligen benannt, wie auch die Wege des oberen Friedhofs Namen tragen: die „Via de la Cruz” ist die Hauptstraße, die vom Eingang quer durch den alten Teil bis in die neueren Regionen führt. Weitere Wege oder Straßen heißen: Weg der Märtyrer, Straße der Ruhe, Garten des Glaubens, oder eben Via de la Santa Catalina Tomás, nach der Inselheiligen.

Bei vielen der Familien-Grabstätten ist der Übergang zwischen Kunst und Kitsch fließend. Manche sind mit Fotos der Verstorbenen versehen. Ansonsten gibt es Engel in allen Variationen, große und kleine, schöne und hässliche, schlichte oder pompöse. Meist stehen sie aufrecht, nur selten sind liegende Engel oder Marienstatuen zu finden.

Als in der Mitte des 20. Jahrhunderts der Friedhof von Palma zu eng wurde, ging man dazu über, die Särge in Nischen, die übereinander angelegt sind, zu beerdigen. Die meist marmornen Platten tragen entweder den Familiennamen des Clans oder aber auch exakte Daten der Verstorbenen. „Tal der Verblichenen” wird der Friedhof von Palma von den Einheimischen genannt. Kaum jemand benutzt den offiziellen Namen Sant Cristobal. Immer noch werden die Toten der Konfession nach beerdigt: Der größere Teil ist für Katholiken, der kleinere für Nicht-Katholiken bestimmt.

Wie der Friedhofsverwalter erzählt, erweisen die Zigeuner ihren Angehörigen große Ehre. Sie kommen vor allem an Feiertagen mit Kind und Kegel angereist kommen und ihrer Toten gedenken. 1991 war ein rührendes Zeugnis von Liebe sogar den spanischen Fernsehanstalten eine Reportage wert. Es ging um das Grab der Roma-Familie Amaya, das der Clanchef Quinini Amaya wie folgt beschriftete, nachdem er seine Frau Moneta verloren hatte: „Mein Gott, Du hast mir genommen, was ich am meisten liebte in meinem Leben, meine Moneta, meine Kleine, die das Licht meiner Augen war. Heute sehen meine Augen kein Licht, heute umgibt mich Dunkel, nur Dunkel.” Als Quinini Amaya einige Jahre später starb, verschwand die Inschrift. Es blieben nur Namen und Daten von ihm und seiner Frau.

Zu Allerheiligen kommen viele Besucher. Dann sind in den Zufahrtsstraßen zu den Friedhof Blumenstände aufgebaut. Auf den Dörfern Mallorcas geht man, weitaus mehr als in Palma, auch zu anderen Festtagen auf den Friedhof. Die Toten nehmen so gleichsam am Familienleben teil. Oft findet sich die ganze Familie schon am frühen Morgen auf dem Gottesacker und verbringt lange Zeit an den Gräbern, essen, trinken und feiern. Die Kinder spielen fröhlich rund um die Gräber. Vom Ernst deutscher Friedhofsvisiten ist wenig zu spüren.

Wie bei anderen Festtagen gibt es auch zu Allerheiligen ein kulinarisches Muss. Dem Brauch nach muss man „Panellets” essen, kleine, süße Küchlein mit Eigelb, Mandeln, Vanille oder Mokka. Sie gehören zu Allerheiligen wie die Chrysanthemen und der Gang zum „Cementerio”.