Buntes Treiben am Himmel: Die total verrückte Taubenjagd auf Mallorca

Auf Mallorca lassen Züchter regelmäßig paarungswillige Täuberiche auf ein genervtes Weibchen los.. Eine Jury kürt am Ende den hartnäckigsten Verfolger. Ein Zeitvertreib, der an körperliche Grenzen geht

Die Taubenjagd im Hafen von S’Estanyol macht auch vor abgestellten Booten nicht halt. | Jaume Munar

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Man kann darüber spekulieren, was Pep Severa gerade dazu gebracht hat, einen kniehohen Gartenzaun in Kleinholz zu verwandeln. Vielleicht war es der Rotwein zum Mittagsmenü, der Kräuterschnaps nach dem Essen oder der Kaffee mit Rum zum Abschied in der Hafenbar von S’Estanyol, einem kleinen Küstenort im Südosten. Vielleicht war es aber auch einfach die unbändige Leidenschaft für seinen Sport, die ihn dazu brachte, Schmerzen, Schimpftiraden und fremdes Eigentum zu ignorieren.

Was es auch war, jetzt liegt der 72-jährige Taubenzüchter aus Llucmajor auf den Trümmern eines Zauns, der nicht der seine ist. Die Besitzerin schreit, Severa aber hat keine Zeit für Nebensächlichkeiten. Mit schmerzenden Knien rappelt er sich auf, setzt zur nächsten Verfolgung an, während eine Gruppe ähnlich rüstiger Herren mit Ferngläsern und Walkie-Talkies ihm auf den Fersen folgt. Das eigentliche Spektakel spielt sich jedoch nicht am Boden ab, sondern hoch über ihren Köpfen.

Denn was dort oben vor sich geht, ist eine uralte Tradition, ein Kult, ein Sport, der so viel mit der iberischen Männerseele zu tun hat wie der Stierkampf. Nur dass es nicht um den Tod geht, sondern um das Leben, um dessen Fortpflanzung, kurz gesagt, ums „Vögeln”. Zweimal im Monat startet das Spektakel. Ein paar Dutzend liebestoller Männchen der Rasse „Colom de Pica“ begeben sich am Himmel auf Verfolgungsjagd. Ihr Ziel: ein einziges Weibchen. Es geht nicht um Geschwindigkeit, nicht um Anmut, sondern um Beharrlichkeit. Jede Minute, die ein Männchen in der Nähe der Taubendame verbringt, zum Beispiel auf einer Regenrinne und dem Ast eines Baumes bringt Punkte. Der hartnäckigste Casanova gewinnt.

„Wir haben hier einen alten arabischen Brauch“, erklärt Pedro Adrover, Vizepräsident der Balearischen Taubenzüchter. „Schon im Mittelalter gab es Wettkämpfe dieser Art. Die Farben auf den Tauben haben zwei Zwecke“, erklärt Adrover mit der Ernsthaftigkeit eines Kunstrestaurators vor einem alten Meisterwerk. „Unter den Flügeln zeigt eine Farbmarkierung, wem die Taube gehört, seitlich verraten sie, welche exakte Taube es ist.“ Ein bewährtes System, das verhindert, dass die stolzen Züchter am Ende des Wettkampfs mit dem falschen Federvieh nach Hause gehen.

Adrover und sein Präsidentenkollege José Manuel Astorga wachen über den Taubensport auf den Balearen mit der Hingabe eines Schachgroßmeisters, der jedem Bauernzug Bedeutung beimisst. Und ja, Leidenschaft gehört dazu: „Auf Mallorca gibt es etwa 80 Züchter, und jeder von uns kann Hunderte von Tauben besitzen.“ In Orten wie Santa Eugènia, S’Estanyol, Santa Maria del Camí, Pòrtol und Palma wird regelmäßig geflattert, was das Zeug hält. Die Wettbewerbe sind in sechs Durchgänge zu je zwei Stunden unterteilt – eine Disziplin, die sowohl für Taube als auch Züchter sportliche Höchstleistungen abverlangt. Gegen vier oder fünf Uhr nachmittags beginnt das Spektakel: Die Vögel schießen in die Höhe, während ihre menschlichen Gegenstücke mit Fernglas und Funkgerät den Himmel absuchen. Überwacht wird das Ganze von zwei Preisrichtern, die das Flugmanöver mit der Akribie eines Opernkritikers bewerten. Das Wettkampfgelände, poetisch „Flugfeld“ genannt, sollte dabei möglichst viele Bäume und Gebäude bieten – für die nötigen Hindernisse und die Dramatik der Jagd.

Allerdings hat die Technik auch hier Einzug gehalten: GPS-Sender an den Tauben, Radargeräte zur Schwarmverfolgung, digitale Punktewertung. Doch in Wahrheit geht es nicht um die Technik. Es geht um den Mythos.

„Der Colom de Pica ist ein treuer Vogel“, schwärmt Adrover. „Er gibt niemals auf. Er liebt das Weibchen, er folgt ihm überall hin.“ Und wenn er lange genug durchhält, wird er gefeiert. Nicht er selbst, versteht sich, der wahre Sieger sein Züchter, der das beste Exemplar hervorgebracht hat. Der Preis: Ruhm, Anerkennung und Prestige im Dorf.

Für Außenstehende mag das Spektakel befremdlich wirken: Männer im fortgeschrittenen Alter, die mit leuchtenden Augen Vögeln nachblicken, als hinge ihr ganzes Lebensglück davon ab. Währenddessen kreisen ihre Tauben mit unermüdlicher Präzision um das anvisierte Ziel. Es ist ein Wettkampf, der uralte Instinkte wachruft – der Drang nach Triumph, die Faszination für Kontrolle und das unbändige Streben nach Erfolg.

Pep Severa jedenfalls hat den Gartenzaun bereits weit hinter sich gelassen und rennt und rennt, den Blick nach oben gerichtet. Sein Favorit ist noch im Rennen. Und der Tag längst nicht zu Ende.