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Beim Feinkost-Lieferanten "Comercial Vera" in Palmas Industriegebiet Can Valero treffen an diesem Morgen zwei Welten aufeinander: Drei Fachlehrerinnen des deutschen dualen Systems lernen spanisches "Learning by doing" kennen. Wie das denn in Spanien mit der Ausbildung von Berufsanfängern so laufe, ob es berufsbegleitenden Unterricht oder Ähnliches gebe, möchte die Betreuungslehrerin Birte Schaaf wissen. Ihre Fleischerei-Fachverkäufer-Auszubildende Ann-Kathrin Zillmer absolviert derzeit ein dreiwöchiges Praktikum bei "Comercial Vera" im Rahmen des Erasmus-Plus-Programmes.

Abgesehen davon, dass es für solche Wortungetüme kein Äquivalent im Spanischen gibt, kann Javier Guasp auch nur die Schultern zucken. "So etwas gibt es hier bei uns nicht. Die Leute fangen bei uns an und lernen dann dabei, wie es geht", sagt der leitende Mitarbeiter der Fleischtheke. So ein System wie in Deutschland wäre aber absolut hilfreich für die Unternehmen der Insel. "Es ist schwer, neue Leute zu bekommen", fügt er hinzu.

Das liegt auch an den niedrigen Einstiegsgehältern von 600 oder 700 Euro pro Monat. "Wenn eine Wohnung mindestens 400 Euro Miete kostet, kommt damit keiner hin", schlussfolgert Guasp. Die Katze beißt sich dabei gewissermaßen in den Schwanz: Es gibt kein qualifiziertes Personal, aber für das Geld, das Unternehmen zahlen, wollen sich auch nur wenige ausbilden lassen oder besser gesagt anfangen und dabei etwas lernen.

Dass die Azubis in Deutschland trotz Schulbesuch auch noch angemessenes Geld vom Arbeitgeber bekommen und das ohne Subventionen von Staat oder EU, findet Guasp bemerkenswert.

Gute Nachwuchsleute sind schwer zu bekommen, das weiß auch Johannes Dütsch. Der Münchner gehört zur Geschäftsführung des Gartenbaubetriebs "Jardins Tramuntana" und hat derzeit die 23-jährige Bauzeichnerin Carolyn Schweger aus Schleswig und den 21-jährigen Hendrik Wagner in seiner Firma. Der Kieler Wagner freut sich über die Abwechslung bei "überschaubaren Kosten" für die Teilnehmer des Programms und die zahlreichen neuen Eindrücke, die er auf Mallorca sammeln kann. In Deutschland arbeitet er in der Straßenplanung und musste bei dem jüngsten Unwetter feststellen, dass Mallorcas Straßenbauer offenbar weder auf Gefälle noch auf Abflüsse achten. Obwohl sie die Arbeit bei "Jardins Tramuntana" interessiert, können sich beide nicht vorstellen, auf Mallorca zu arbeiten. "Die Arbeitsmarktsituation ist schwierig", sagt Carolyn Schweger.

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Dem schließt sich ihr Praktikumschef an: "Bauzeichner sind schwer zu bekommen, meistens lernen wir Grafiker an. Die Gärtner kommen meistens aus der Landwirtschaft", sagt Dütsch, der selbst beides in Deutschland gelernt hat. An den Praktikanten gefällt ihm, dass sie bereits einiges an Grundlagen mitbringen. Dass er sie langfristig binden kann, hält er hingegen für schwierig. "Dafür sind die Gehälter in Deutschland zu hoch." Bestenfalls seien mal im Winter freigestellte Gärtner für eine gewisse Zeit zu bekommen.

Die Husumer Ove Koll und Marc Thomsen können sich hingegen vorstellen, wiederzukommen und das nicht nur, weil sie Palma "super" finden. Die Kälte- und Klimatechniker waren überrascht vom Niveau auf Mallorca. "Hier werden Dinge, die in Deutschland weggeschmissen werden, nochmal repariert", sagt Koll. Auch die Werkstatt "Díaz Blanco y Casas" in Palmas Polígono Son Castelló, in der sie ihr Praktikum absolvieren, ähnle ihrer in Norddeutschland. Man verständige sich mit Händen und Füßen, weil nur ein Mitarbeiter etwas Englisch könne. "Es funktioniert aber", sagt Thomsen.

Drei Beispiele von insgesamt 39 Praktikanten, die derzeit auf der Insel in die Arbeit hiesiger Unternehmen schnuppern. Die vom Berufsbildungszentrum am Nord-Ostsee-Kanal organisierten Praktika auf Mallorca finden in diesem Jahr zum siebten Mal statt. Initiator und federführender Organisator ist der Berufsschullehrer Marko Krahmer. "Wir steigern jedes Jahr die Teilnehmerzahlen, mittlerweile decken wir 16 Berufe ab", sagt er zufrieden. Nachdem er sich anfangs wegen des Praktikumsortes Mallorca häufiger Sticheleien gefallen lassen musste, genießt er nun sogar einige Privilegien. "Wir gehören mittlerweile zur VET-Charta, dadurch müssen wir nicht jedes Jahr erneut einen 40-seitigen Antrag für EU-Zuschüsse stellen, sondern bekommen bis 2022 automatisch Gelder des Erasmus-Plus-Programmes, das ist natürlich eine riesige Arbeitserleichterung und zeigt, dass wir uns bewährt haben", freut sich Krahmer, der mittlerweile deutschlandweit ein gefragter Referent in Sachen Europa-Praktika ist.

Erfolgsgeschichten hat er einige zu bieten. Eine seiner Praktikantinnen ist sogar auf Mallorca heimisch geworden. Die Raumausstatterin Kim-Laura Ibsen hat beim Mode- und Interieurgeschäft "Rialto Living" in Palmas Altstadt im vergangenen Jahr einen derart guten Eindruck hinterlassen, dass sie einen Arbeitsvertrag bekommen und auch angenommen hat. Freilich gilt es für Krahmer auch einige Probleme zu bewältigen. "Wir brauchen natürlich Akzeptanz in den ausbildenden Betrieben in Deutschland, dass sie ihre Azubis zwei Wochen abstellen und auf der anderen Seite verlässliche Partner auf Mallorca, die nicht eine Woche vorher absagen", meint Krahmer. Das sei schon vorgekommen, bleibe aber zum Glück die Ausnahme. Dafür sorgen auch seine mittlerweile zahlreichen Kontakte vor Ort wie der Friseur Stefan Werner, der in Palmas Stadtteil Santa Catalina einen Salon betreibt.

Auch wenn das Programm mittlerweile so erfolgreich laufe, sei man an einer Teilnehmergrenze angelangt, sagt Marko Krahmer. Manches sei organisatorisch jetzt schon kompliziert geworden. "Bringen Sie mal 41 Personen in einem Flieger unter. Das lassen manche Fluggesellschaften gar nicht zu, weil sie nicht alle Plätze zu einem Preis verkaufen wollen." Rund 110.000 Euro koste so ein Austausch inklusive Flügen und Unterbringung in angemieteten WG-Wohnungen. Die sind aber offensichtlich gut angelegt, denn die Reaktionen von Teilnehmern und Betrieben sind durchweg positiv. "Auch die Betriebe in Deutschland bekommen motivierte Azubis zurück", sagt Krahmer. Deswegen lassen sich auch immer mehr Betriebe auf eine Freistellung ein. Wie im Falle von Ann-Kathrin Zillmer. "Im vergangenen Jahr wollte mein Arbeitgeber nicht, dieses Jahr hat es geklappt", freut sich die 17-Jährige. Und auch ihr "Gast-Arbeitgeber" profitiert davon. "Ich darf eine Platte mit Aufschnitt dekorieren, wie ich es in der Ausbildung gelernt habe. Das kannten die hier noch nicht, wollen es für Weihnachten aber anbieten."

(aus MM 41/2016)