Nicht ganz unkompliziert, aber sympathisch: Helga Henrichs und ihr "Caruso".

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Das Ganze begann vor zirka acht Jahren. Ich wohne in einem schönen Tal, das weit außerhalb einer Ortschaft liegt, mit wenigen Häusern und viel Natur. Eines Abends, es war schon dunkel, fuhr ich hinunter in den Ort. Als ich auf unserer schmalen Straße um eine Kurve bog, stand da ein Esel mitten auf dem schmalen Weg, blickte in meine Scheinwerfer und machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Ich stieg aus und schob ihn mit aller Kraft zur Seite, um weiterfahren zu können. Wahrscheinlich war er irgendwo ausgebrochen und machte eine kleine Nachtwanderung.

Zwei Tage später hörte ich ein klägliches Schreien irgendwo gegenüber am Berg. Ich holte das Fernglas und sah einen Esel an einen Baum gebunden, er hatte sich das Seil um die Beine gewickelt und konnte sich nicht mehr bewegen. So rief ich meinen spanischen Nachbarn Pepe an und bat ihn mir zu helfen, den Esel zu befreien. Pepe riet mir ab: "Mit Eseln hat man nur Ärger". Wir taten es trotzdem.

Der Esel lief sogleich davon und freute sich über seine wiedergewonnene Freiheit. Die Sache war damit für mich erledigt, denn ich war sicher, er würde jetzt endlich nach Hause laufen. Falsch gedacht! Auf meinem Grundstück beherberge ich viele Tiere, darunter auch Ponys. In der darauffolgenden Nacht gab es ein großes Aufsehen im Ponygehege. Die Hunde bellten wie verrückt, und ich lief mit der Taschenlampe zu den Ponys.

Dort angekommen sah ich, dass der ganze Zaun zerstört war, und der besagten Esel versuchte, sich mit einer Ponydame zu vergnügen. Das war also der Dank dafür, dass ich ihn befreit hatte! Ich wartete, bis es hell wurde, und rief dann die Policía Local, die bald darauf mit fünf Beamten erschien. Der Esel wurde abgeführt wie ein Schwerverbrecher, da tat er mir doch ein wenig leid.

Es vergingen einige Tage und ich musste immer wieder an diesen Esel denken, deshalb ging ich auf das Rathaus, um zu erfahren, ob er nun endlich bei seinem rechtmäßigen Besitzer sei. Dort erfuhr ich, dass sich sicher niemand melden würde, da der Esel bereits zwei Anzeigen verursacht hatte: 1. Schäfer ins Ohr gebissen. 2. Schäferkarren umgeworfen. Also doch ein kleiner Verbrecher!

Aber irgendwie machte ihn das auch wieder sympathisch - ein Esel, der sich durchsetzen kann. Nachdem er seine sechs Wochen "Haft" in der öffentlichen Auffangstation abgesessen hatte, wollte ich ihn zu mir holen.

Wieder bat ich Pepe mir zu helfen, den Esel nach Hause zu führen. Die ersten 300 Meter gingen wir gemütlich nebeneinander, dank Karotten-Motivation meinerseits. Dann, unweit der öffentlichen Schule, war ein dicker roter Streifen auf der Straße. Der Esel blieb stehen und war nicht bereit, auch nur einen Zentimeter seiner Hufe darauf zu setzen. Schon bald gab es einen großen Tumult, und der Verkehr war zum Stehen gekommen, denn es war gerade Schulschluss. Viele Helfer versuchten den Esel zu schieben, zu locken, einer stieg auf und wollte mit ihm über den roten Balken reiten, landete aber mit seinem Hintern darauf.

Ein kleiner Junge hatte schließlich die Lösung für unser Problem: Du mußt ihm die Augen zuhalten, dann sieht er den roten Streifen nicht, ist doch logisch. Gesagt, getan. Pepe zog seinen Pullover aus und stülpte ihn über den Kopf des Esels, und weiter ging der Marsch nach Hause. Der Esel hieß fortan Caruso, weil er gauso klingt wie eine alte Caruso-Platte. Er lebt nun (kastriert), mit den Ponydamen und einem Zwergpferd zusammen.

Wenn er durstig ist, öffnet er den Wasserhahn, vergisst aber, ihn wieder zu schließen. Wenn er Langeweile hat, was leider öfter vorkommt, findet sich immer etwas, womit er sich beschäftigen kann, wie Türschlösser, Fensterläden, Seitenspiegel oder Putzgeräte. Oder Einkäufe. Gestern kam ich mit einem Großeinkauf an blühenden Frühlingspflanzen nach Hause. Caruso kam sofort, um neugierig wie immer alles zu kontrollieren. Ich öffnete das Auto, um alle Pflanzen auszuladen, da klingelte das Handy, und ich war zwei Minuten abgelenkt. Danach war es vorbei mit dem blühenden Frühling, Caruso hatte ihn verspeist. Man muss ihn halt einfach lieben.

(aus MM 40/2014)