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Holztore, mit Parolen beschmierte Wände, bröckelnder Putz: Kein Zweifel, die Stierkampfarena in Inca hat schon bessere Zeiten erlebt. Auch Leuchtreklamen, Bildschirme oder Ähnliches sucht man vergebens. Den Marketinggesetzen und erlebnisorientiertem Freizeitvergnügen scheint sich die Plaza de Toros im Herzen der Insel stur zu widersetzen.

Wer hier einmal im Jahr hinkommt, um sich eine "Corrida" anzuschauen, muss schon ein Stierkampf-Fan sein - oder ein russischer Tourist. Rund 60 von ihnen werden an diesem Samstagnachmittag gleich in einem Schwung zum Eingang zu den begehrten (und teuren) Schattenplätzen geführt. Begleitet werden die Touristen aus dem Osten von ohrenbetäubendem Lärm.

Denn auch das gehört zu einem Stierkampfnachmittag in Inca: Stierkampfgegner, organisiert von den Tierschützern der "Anima Naturalis", meist jung, alternativ, häufig weiblich und fast immer verbal auf Krawall gebürstet. Ein Polizeiaufgebot mit acht Einsatzfahrzeugen sorgt dafür, dass der Sicherheitsabstand zwischen Befürwortern und Gegnern eingehalten wird. Auf einem höher gelegenen Platz stehen Anhänger der "Tauromaquia" - schweigend. Ihre "Demonstration" hat den einzigen Sinn, den "Anti-Taurinos" den Platz wegzunehmen.

Dass elegant gekleidete Frauen, die auf Stöckelschuhen zum Haupteingang staksen, "zurück nach Magaluf" gewünscht werden, zeugt einerseits vom derzeitigen Image des Touristenortes, andererseits von der Geringschätzung der Besucherinnen. "Wie könnt ihr das nur euren Kindern zeigen", werden Eltern beschimpft. Die Reaktionen der Besucher auf der anderen Straßenseite: gelassen und teilweise provozierend. Die angesprochene Dame im Cocktailkleid streckt ganz undamenhaft ihren Po raus, zeigt den Mittelfinger. Immerhin: Zu gewalttätigen Konfrontationen kommt es nicht, die Beschimpfungen und Provokationen scheinen sich zu einem Ritual entwickelt zu haben. Manch ein Stierkampfbefürworter lässt sich zu einem "Viva los toros" - "Es leben die Stiere" hinreißen.

Ein älterer Mann mit einem Strohhut lächelt sarkastisch. "Die wissen doch nicht einmal, wie man ein Tier richtig hält", sagt er, will seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Sein Nachbar, der auf Einlass wartet und ebenfalls älteren Geburtsdatums ist, merkt an, dass es "so etwas" vor 30 Jahren nicht gegeben hätte. "Die wären alle in den Zug gekommen, unter Franco", sagt er. Wohin dieser Zug gefahren wäre - man kann es sich denken.

Hinter den Mauern der 1910 erbauten Arena ist der Lärm der Straße und der Krach der Demonstranten erstaunlicherweise wie abgeschnitten. Im Bereich vor dem Torbogen, unter dem die Toreros und ihre Helfer die Arena betreten werden, herrscht eine andächtige Stille. Ein Reiter mit Beinschonern bekreuzigt sich mehrfach. Zwei Maultiere werden gezäumt, sie werden an diesem Tag sechsmal zum Einsatz kommen und am Ende des Kampfes den Stierkadaver durch den Sand schleifen. Bunt gekleidete Toreros und ihre Helfer, die Barandilleros und die Picadores, blicken konzentriert, scherzen mit dem ein oder anderen Bekannten. Ein Fernsehteam interviewt Jesús López. Der in Valencia ausgebildete mallorquinische Stierkämpfer feiert an diesem Tag Premiere auf seiner Insel.

Die Plätze für die Presse liegen in der prallen Sonne, regulär kosten sie 30 Euro. Gegenüber auf der Schattentribüne zahlt man 80 Euro für einen Sitzplatz. Immerhin rund 1500 Menschen haben sich in der Arena eingefunden. Weniger als in den vergangenen Jahren, stellt ein Besucher fest. Reißerische Ansagen eines Stadionsprechers oder Musikbeschallung mit aktuellen Hits: All das gibt es hier nicht. "Es ist eine Kunst", sagt Vicente Martínez, der mit seinem Sohn Juan da ist, ehrfürchtig.

Zur Vorstellung, dem paseillo, präsentieren sich die Beteiligten dem Publikum, freilich ohne die Stiere. Der Matador, also der eigentliche Stiertöter, die Picadores, berittene Lanzenträger, und die Banderilleros, deren Aufgabe es ist, ihre geschmückte Stechlanze im Stiernacken zu verhaken. Zwei Reiter erbitten vom Präsidium hoch oben auf der Schattentribüne symbolisch den Schlüssel zum Tor der Kampfstiere.

Um 18.38 Uhr kommt der erste Stier unter Applaus in die Arena. Zur einsetzenden Musik der Blaskapelle wird das Tier zunächst durch die Arena gescheucht, vier Toreros mit ihren Capotes (purpurfarbene und gelbe Tücher) treiben das Tier über den Sand, um dem Publikum zu zeigen, welche Kraft es hat. Kommt das bis zu 700 Kilogramm schwere Tier ihnen zu nah, können sie sich stets hinter eine Holzbarriere zurückziehen, die der Stier je nach Temperament mehr oder weniger bearbeitet. Sie führen ihn anschließend dem berittenen Picador mit seiner messerscharfen Lanze zu, die er dem Stier mehrere Zentimeter tief in den Nacken bohrt. Der blutige Ritus hat einen Zweck: Durch die Verletzung der Nackenmuskulatur ist der Stier gezwungen, seinen Kopf zu senken - eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Matador später den Todesstoß mit dem Degen setzen kann.

Bevor der eigentliche Vollstrecker zur Faena, der "Arbeit" erscheint, "schmücken" die drei Banderilleros den Nacken des Stieres, indem sie auf ihn zulaufen und ihm paarweise die mit Widerhaken versehenen Lanzen in die Haut schlagen. An diesem heißen Samstagabend ist zunächst der Mallorquiner Jesús López an der Reihe. Mehr als ein Kampf scheint auf dem Sand der Arena eine Art Tanz zwischen Torero und Stier stattzufinden, der nach etwa zehn Minuten tödlich endet. López sticht dem Stier im ersten Versuch den Degen bis zum Heft in den Nacken.

Der anschließende kurze Todeskampf des Tieres, sein Röcheln, Taumeln, Niederknien und Umfallen ist für Unerfahrene der grausamste Teil des Spektakels. Umso erstaunlicher die Reaktion einiger Kinder, die mit ihren Müttern auf der Tribüne sitzen: Als der getötete Stier mit geöffnetem und blutigem Maul vom Maultiergespann durch die Arena gezogen wird, während der Torero stolz ein abgeschnittenes Ohr als Trophäe in die Höhe hält, fängt ein etwa vierjähriges Mädchen an zu lachen und zeigt auf das tote Tier.

Der etwa 20 Minuten dauernde Kampf ist auch für den Torero gefährlich. Die Enfermería, die Krankenstation, befindet sich in Inca direkt am Aufgang zur Arena. "Wir hatten hier vor einigen Jahren den berühmten Torero José Ortega Cano auf dem Tisch", sagt Krankenhelfer Manuel García, der zum vorgeschriebenen sechsköpfigen Ärzte- und Rettungsteam gehört. Ortega Cano hatte Glück, der Stier traf zwar seine Leiste, verfehlte aber die Arterie. Ein anderes Mal habe einer der Banderilleros einen Hornstoß in den Anus bekommen, auch er hatte Glück, dass das Horn nicht weiter vorgedrungen war.

García ist kein ausgesprochener Fan des Spektakels, zollt den Stierkämpfern aber Respekt. "Es ist gefährlich, keine Frage", sagt er. Außerdem sei es dem Torero wichtig, den Stier schnell zu töten. "Das Tier soll nicht leiden, wer das nicht gut macht, wird vom Publikum ausgepfiffen", glaubt er. Die Chirurgin Juana Más bringt eines der häufigsten Argumente der Stierkampfbefürworter: Den Toro Bravo (Kampfstier) gäbe es nicht ohne den Stierkampf und mit seiner Verbannung würden auch viele Menschen ihre Arbeit verlieren, sagt sie.

Zur Halbzeit (drei tote Stiere) werden in der heißen Arena Getränke ausgeschenkt, draußen haben die Stierkampfgegner bereits ihre Plätze verlassen. Die Proteste sind verstummt. In Inca wird es wieder ein Jahr dauern, bis das blutige Spektakel zurückkehrt und mit ihm der Streit über Sinn und Unsinn des Stierkampfs.

"Es sah nach sinnlosem Abschlachten aus"

Der Deutsche Axel Hilger hat den Stierkampf fotografiert, um die volle Brutalität zeigen zu können
(Auch das Foto des blutenden Stieres in diesem Bericht schoff Axel Hilger, in Alcúdia.)

Mallorca Magazin: Was hat Sie dazu bewogen, einen Stierkampf zu fotografieren?

Axel Hilger: Es gibt durchaus ästhetische Aspekte eines Stierkampfes, wie die Choreografie und Eleganz des Toreros. Mich hat die Konfrontation mit dieser Art des Tötens jedoch nicht nur als Fotograf gereizt. Ausschlaggebend waren die zahllosen Berichte und Diskussionen, die sich je nach Standpunkt unglaublich widersprechen. Daher wollte ich mir nach 15 Jahren in Spanien endlich eine eigene Meinung bilden.

MM: Wie haben Sie den Stierkampf erlebt?

Hilger: Aus dem Fernsehen kannte ich es bereits, live dabei zu sein ist allerdings etwas ganz anderes. Meine Frau, die übrigens Spanierin ist, musste die Arena weinend verlassen, noch bevor der erste Kampf zu Ende war. Ich habe zwar ausgeharrt, aber da auch ich Tiere liebe, musste ich mich auf die Seite der Tierschützer schlagen.

MM: Konnten Sie dem Stierkampf also keine kulturelle Bedeutung beimessen?

Hilger: Es sah für mich tatsächlich eher nach sinnlosem Abschlachten als nach einem sportlichen Wettkampf mit Chancengleichheit aus. Worin soll die sportliche Fairness bestehen, wenn einer der beiden stirbt. Neben mir in der Arena saß ein spanischer Vater, der es bedauerte, dass sein kleiner Sohn an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen konnte. Ich war entsetzt, da ich selber auch Familienvater bin, dass man so etwas einem Kind zumuten wollte.

MM: Was wird mit den Fotos passieren?

Hilger: Die von mir aufgenommenen Fotografien der Szenerie bleiben im Moment noch in meinem Archiv. Sollte jedoch eine Tierschutzorganisation Interesse zeigen, stelle ich sie gern zur Verfügung. Wenn ich mich dazu entschließe, eine Ausstellung über den Stierkampf zu zeigen, dann werden meine Bilder die volle Brutalität des Spektakels zeigen, die ich bei den Aufnahmen empfunden habe. Ich möchte jeden wachrütteln und sensibilisieren, der immer noch glaubt, Traditionen verbunden zu sein. (zap)

(beide Berichte stammen aus MM 31/2014)