Milda Daunoraites Programm bestach zunächst einmal durch seine Vielfalt: Werke aus drei Jahrhunderten, von Scarlatti bis Ligeti, brachte sie mit hingebungsvollem Elan zu Gehör. Den Anfang machten drei Sonaten von Domenico Scarlatti, kleine Barock-Juwelen, die, in den richtigen Händen, zu wahren Klangwundern geraten können. Nicht umsonst setzte sie, unter anderen, der große Vladimir Horowitz gern an den Beginn seiner Recitals. Bei Daunoraites Vortrag fragte man sich – wieder einmal – warum diese Perlen überhaupt noch auf dem Cembalo gespielt werden; sind sie doch (für die damalige Zeit) Zukunftsmusik, die den Kosmos der Klangmöglichkeiten eines modernen Flügels quasi visionär vorwegnehmen und ein riesiges Repertoire von Affekten abdecken. Von eloquenter Verspieltheit (K.146) bis hin zu theatralischer Dramatik (K.261) wurde Daunoraite alldem auf hohem pianistischem Niveau gerecht. Wie sie beispielsweise die vertrackten Tonrepetitionen in der f-moll-Sonate bewältigte, war atemberaubend. – Weiter ging’s mit Schuberts früher Sonate D.537, die sie nicht spielte, weil Schubert sie komponierte, als er etwa in ihrem Alter war, sondern weil sie ein Werk aufführen wollte, das in gewisser Weise ein Schattendasein gegenüber dem Spätwerk führt, wie sie mir im Gespräch erklärte. Die Sonate stecke voller harmonischer und agogischer Überraschungen, die zum Teil geradezu untypisch für Schuberts Stil seien. Zu hören war denn auch eine Darbietung, die zwar noch erahnen ließ, dass Schubert in den Fußstapfen Beethovens wandelte, aber dennoch bereits seinen eigenen persönlichen Stil erreicht hatte. – Die drei Stücke aus dem zweiten Buch der „Images“ von Claude Debussy zeigten, dass der Impressionismus ihre Welt ist, die sich ihr fast spielerisch erschließt, wie sie mir nach dem Konzert sagte. Das ist bemerkenswert, weil der Impressionismus-Spezialist Arturo Benedetti Michelangeli, glaubt man der Darstellung des „Klavierpapstes“ Joachim Kaiser, sich ein ganzes Künstlerleben gequält hat, bis er die Klangmagie Debussys so realisieren konnte, dass sie seiner skrupulösen Selbstkritik standhielt und er die Aufnahme 1962 endlich freigab. Indes: die jugendlich unbekümmerte, intuitiv angepackte Darstellung der jungen Litauerin kann daneben locker bestehen. Wie sie beispielsweise die Bildhaftigkeit des dritten Stücks – mit „Goldfisch“ überschrieben – und das Fließen des Wassers Klang werden ließ, überzeugte auf der ganzen Linie.
Nach der Pause dann Ligetis Etüde Nr.16. Obwohl Etüden ja per definitionem in erster Linie dem technischen Training dienen, haben viele von ihnen den Weg auf die Konzertbühne gefunden – Standardbeispiel sind die Etüden Chopins. Für Daunoraite besteht der Reiz der Ligeti-Etüde vor allem in den Möglichkeiten einer freien persönlichen Gestaltung der Kontraste, wie sie mir auf meine Frage nach der „Message“ des Stückes erklärte. Und so machte sie auch „ihren“ Ligeti daraus und überwand so die Berührungsängste des Publikums gegenüber der Neuen Musik. – Zu einem Konzert auf Mallorca gehört natürlich Chopin. Daunoraite trug dieser Notwendigkeit mit dessen Scherzo Nr.4 Rechnung. Hier, wie auch in der Consolation von Liszt galt es keine Schwellenängste zu überwinden. Beide Stücke fanden in der geschmeidigen Darstellung der Pianistin unmittelbar ihren Weg in die Herzen des Publikums.
Liszt bildete auch den Schluss des Konzerts. Milda Daunoraite hatte sich dazu eines der technisch anspruchsvollsten Stücke des Komponisten ausgesucht, „Après une lecture du Dante“ aus den „Années de Pèlerinage“. Ob man, um dieses Stück, eine viertelstündige einsätzige Sonate im Kleinen, zu verstehen, wie Liszt die „Göttliche Komödie“ gelesen haben müsse, verneinte sie auf meine diesbezügliche Frage. Und ja, obwohl Hintergrundwissen natürlich immer das Verstehen fördert: die Aufgabe des ausübenden Musikers ist es schließlich, dem Hörer derartige Reflektionen abzunehmen und Aussage und Atmosphäre eines Stückes ohne Umwege zu transportieren. Dass dies gelang zeigte der euphorische Applaus, der natürlich auch der bravourösen Technik galt, mit der sie das Stück in die Tasten zauberte. Und noch etwas signalisierte der Schlussbeifall: den Wunsch, diese sympathische Künstlerin möge möglichst bald wiederkommen.
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