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... und wir deutlich unsere Abhängigkeit spüren – vom Strom und überhaupt

Gestern Abend noch dachte ich darüber nach, woran man (ich) eigentlich bemerken würde, dass man mediensüchtig ist, süchtig nach bunten, bewegten Bildern von facebook und instagram, süchtig nach dem Eingang von Nachrichten per whatsapp, Signal, E-Mail oder sonstigen Messenger-Diensten. Darüber muss ich dann wohl eingeschlafen sein und als ich um vier Uhr morgens aufwachte, weil ich in diesen heißen Tagen brav literweise Wasser in mich hineinschütte und die Blase schier überlaufen wollte, stellte ich fest, dass es kein Licht gab, weder im Badezimmer, noch im Rest der Wohnung. Auch der Kühlschrank kühlte nicht und ich überlegte schlaftrunken, ob ich wohl die letzte Stromrechnung bezahlt hatte. Geistesgegenwärtig öffnete ich die Wohnungstür und versuchte, draußen im Hausflur mittels Elektrik-Trick (Catweazle-Freunde unter uns wissen, was ich meine) das Flurlicht zu entfachen. Da auch das nicht funktionierte, war ich einigermaßen beruhigt, schleppte mich zurück ins Bett und schlief auch bald wieder ein. Als mich mein freundlicher Handywecker dann heute Morgen mit Vogelgezwitscher weckte, sah ich sofort, dass mein Handy nicht aufgeladen war. 68 Prozent Kapazität stand da, wie eine Drohung. Na, das kann ja heiter werden, dachte ich. Dann stellte ich fest, dass jetzt natürlich alles hell war, dies aber eher der Sonne, als irgendwelcher Stromzufuhr geschuldet war. Der Kühlschrank und alles andere, mausetot, kein Internet und viel schlimmer, kein café solo, da meine Kaffeemaschine auch nicht von Hamstern betrieben wird.

Nachdem ich, auf dem Balkon stehend, kurz ein Pläuschchen mit meiner Nachbarin zur rechten gehalten hatte, wusste ich, dass wohl die halbe Straße seit der Nacht stromlos war und, dass man wohl schon daran arbeiten würde. Ich informierte kurz meinen Vermieter und ein paar wichtige Menschen, die mir zwar nicht helfen, aber seelischen Beistand liefern konnten, als mir dämmerte, dass ich mein Handy nicht aufladen kann. Ich stoppte sofort alle unwichtigen Dienste und legte es beiseite. Mittlerweile war es neun Uhr und ich hätte schon seit einer Stunde online arbeiten sollen, was ja leider mangels Internet auch nicht möglich war. Und da war sie plötzlich: Freie Zeit, Zeit zum Nachdenken, Zeit des Wartens ohne Ablenkung durch irgendwelche Streaming-Dienste oder dem Durchforsten von Online Portalen nach Nachrichten oder irgendwelchen unnützen Informationen über A-, B- oder C-Promis. Und es ging mir erstaunlich gut dabei. Ich ließ die Gedanken schweifen und wusste schon, dass ich aus dieser Erfahrung die nächste Kolumne entwickeln würde.

Gleichzeitig stellte ich fest, dass ohne Strom der größte Teil meines Lebens oder sagen wir ein sehr großer Teil, schlichtweg nicht funktioniert. Das beginnt bei meiner Arbeit mit Patienten, die ich teilweise auch online sehe, geht weiter mit vielen sozialen Kontakten und endet damit, dass ich keinerlei Zugriff mehr auf mein Bankkonto hätte, da es sich um eine online-Bank handelt. Und das Alles ohne eine Chance auf einen guten Kaffee. Nicht auszudenken!

Lange Rede, kurzer Sinn: Um elf Uhr war der Strom zurück und ich konnte in Ruhe recherchieren, was genau eigentlich in unserem Hirn passiert, wenn wir uns mit dem Handy, besser gesagt, mit den sozialen Medien beschäftigen. Was zieht uns derart in seinen Bann, dass wir manchmal Zeit und Raum vergessen, manchmal sogar den Partner an unserer Seite oder die Kinder, die verzweifelt versuchen, unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und vor allem, wie können wir gegensteuern, unseren "Konsum" reduzieren und vielleicht sogar einen guten Umgang mit den sozialen Medien finden?

Es gibt einen faszinierenden, wenn auch beängstigenden, gleichnamigen Film über das "Dilemma mit den sozialen Medien". In diesem wird aufgezeigt, wie hoch manipulativ die diversen Apps wie Instagram, Facebook, google und andere bereits programmiert werden, um uns so lange wie möglich bei Laune zu halten. Das bringt online-Zeit und Aufmerksamkeit, für die die Werbekunden dann viel Geld zahlen. Allein dadurch, dass alles schön bunt ist, viele kleine Videosequenzen oder Animationen eingebaut werden und oft auch noch eine mehr oder weniger nervige Musik dazu läuft, ist ein Teil in uns ganz fasziniert und will mehr. Wir fühlen uns unterhalten, beschäftigt und – nicht so allein. Dass diese Nähe eher einen Pseudo-Charakter hat, scheint unser Hirn nicht weiter zu interessieren. Und dann ist da noch die Sache mit den Bewertungen. Seit wann machen wir eigentlich Photos von unserem Essen und warum? Wollen wir beweisen, was wir für Feinschmecker sind oder gute Köche? Oder denken wir ernsthaft, dass es den Rest der Welt interessiert, wie und mit was wir uns ernähren? Was uns (Nutzer diverser sozialer Medien) dabei häufig nicht kalt lässt, ist die Anzahl der Likes und (hoffentlich positiver) Kommentare. Diese wirken nämlich direkt und ohne Umweg auf unser Hirn und aktivieren unser Belohnungssystem. Dieses wiederum sorgt dafür, dass die Hormone Dopamin und Serotonin und jede Menge Endorphine ausgeschüttet werden. Wir fühlen uns wohl. Man könnte diese "Glückshormone" auch körpereigene Drogen nennen und die machen uns, na was wohl – süchtig. Darum fällt es auch manchen Menschen so schwer, nach einem oder zwei Stückchen Schokolade mit dem Genuss aufzuhören. Sie ahnen es, auch Schokolade kann diese Kaskade auslösen.

Auswege aus diesem Dilemma zu finden, scheint eine Herausforderung und doch gibt es sie. Versuche haben gezeigt, dass alleine das Ausschalten des Tons und die Umstellung des Displays auf Schwarz/Weiß die beschriebenen "guten" Gefühle deutlich dämpfen und wir viel schneller das Interesse verlieren, weiter zu scrollen. Auch unser Belohnungssystem können wir stromfrei und wesentlich sozial verträglicher stimulieren. Der Anblick eines schönen Sonnenuntergangs, ein entspannter Spaziergang am Meer, eine Wanderung in den Bergen mit großartiger Fernsicht oder der Besuch eines romantischen Konzerts können sehr wohl dafür sorgen, dass es uns gut geht. Und das Tolle ist, dass wir diese Erlebnisse wirklich teilen können, live und direkt. Wir können uns darüber unterhalten, uns gemeinsam freuen, lachen und genießen.