Den Status eines Volkshelden hatte
Nationaltorwart Iker Casillas in Spanien schon lange vor dem
vergangenen Sonntag, an dem er den EM-Pokal in den Himmel reckte.
Der 27-Jährige, der im Hauptberuf das Tor von Real Madrid hütet,
trägt den Beinamen "San Iker" - der heilige Iker. Nun sind seine
Qualitäten als Fußballer unumstritten, seine Fähigkeiten, Wunder zu
vollbringen, hat er aber noch nicht nachgewiesen. Das musste denn
auch die Sportzeitung "Marca" einräumen: Die war nach dem
Viertelfinale gegen Italien der Frage nachgegangen, ob es denn
nicht möglich sei, Casillas heilig zu sprechen. Der hatte zwei
Elfmeter der Italiener pariert und so die "Selección" gerettet.
Der Sport hat in Spanien eine überragende Bedeutung, die bis
weit über das schiere Ergebnis hinausreicht - manchmal sogar bis
ins Übernatürliche. Das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit macht
sich nur dann bemerkbar, wenn es die Fußballer ins EM-Finale
schaffen, wenn die Basketballer Weltmeister werden oder Fernando
Alonso in seinem Rennwagen der Konkurrenz davonfährt. Aber selbst
Erfolge in Randsportarten wie Volleyball, Hockey oder
Motorradrennen bringen die spanische Volksseele in Wallung. Nur
dann scheinen die Gegensätze zu verblassen, die Spanien prägen. Der
immerwährende Konflikt zwischen Rechts und Links ist dann
vergessen; Katalanen, Basken, Galicier, Mallorquiner fühlen sich
plötzlich als Spanier - im Siegesrausch vereint. Sport ist der
Kitt, der das Land zusammenhält.
Das erkannte einst auch Spaniens Diktator Franco, der nach dem
Bürgerkrieg in den 30er Jahren darauf bedacht war, seine Herrschaft
zu etablieren. Nicht durch Zufall ist die Sportzeitung "Marca", die
ihre Leser Tag für Tag mit Dutzenden Seiten Sportberichterstattung
unterhält, im Jahre 1938 gegründet. Heute gilt das Blatt als
meistgelese Zeitung des Landes. Real Madrid wurde dank kräftiger
Unterstützung durch die Diktatur zum internationalen Aushängeschild
des "neuen Spaniens" und zum Identitätsstifter für Millionen. Der
Sport sei das "Opium für das Volk", ist seitdem das Hauptargument
der Kritiker des Rummels, der sich Woche für Woche um die größten
Sportereignisse abspielt.
Dass der Sport Staatsangelegenheit ist, hat sich bis heute nicht
geändert. So werden auf den Balearen alle Klubs mit
Hunderttausenden Euro Steuergeld subventioniert, die auf nationaler
Ebene antreten - ein System, das in Deutschland undenkbar wäre.
Zumindest Real Mallorca ist davon ausgenommen. Der
Fußball-Erstligist profitiert dafür von der Kooperation mit dem
TV-Sender der Balearen-Regierung "IB3", der sich die
Übertragungsrechte der Pokalspiele mehrere Millionen Euro kosten
lässt - unabhängig davon, wie weit der Klub im Wettbewerb überhaupt
kommt. Auch Mallorcas Individualsportler wie Motorradweltmeister
Jorge Lorenzo oder Mountainbikerin Marga Fullana können sich der
großzügigen finanziellen Unterstützung durch die Balearen-Regierung
sicher sein.
In einem Land, in dem es kein Ausnahmefall ist, keine geregelte
Ausbildung absolviert zu haben, bietet der Sport so noch die
Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Wie im Kleinen gilt dies auch im
Großen: Sportlicher Erfolg ist in Spanien immer auch der Beweis
dazuzugehören. Denn das Land war während der Diktatur lange
isoliert und blieb in den wichtigen Bündnissen außen vor. Der
Beitritt zur Europäischen Union war erst 1986 möglich. Wer Spaniens
Ruhm mehrt, der wird dann leicht zum Helden - wenn nicht gar zum
Heiligen.
Eines aber wird der Sportmacht Spanien bei aller Anstrengung
nicht gelingen: Eine führende Nation bei den olympischen
Winterspielen zu werden. In der 70-jährigen Geschichte dieser
Sportveranstaltung konnten spanische Athleten nur zwei Medaillen
erringen: eine bronzene und eine goldene, jeweils in der
Slalom-Abfahrt.
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