Mit seinen Beschimpfungen deutscher Urlauber hat der –
mittlerweile zurückgetretene – italienische Staatssekretär Stefano
Stefani eine Welle der Empörung in Deutschland und im eigenen Land
ausgelöst. Dass er die Deutschen in einer italienischen
Tageszeitung als einförmige supernationalistische Blonde bezeichnet
hatte, „die lärmend über unsere Strände herfallen, besoffen vor
arroganter Selbstsicherheit”, hat mittlerweile manche italienische
Urlaubsregion veranlasst, zu beteuern, wie lieb man die Deutschen
hat. Schadensbegrenzung. „Willkommen Deutsche” ist auch der Tenor
einer Umfrage unter Spaniern auf Mallorca und die Botschaft einer
Abordnung der neuen Balearenregierung bei einer Reise nach
Berlin.
Die Äußerungen Stefanis rufen unwillkürlich Assoziationen mit
Mallorca hervor: Wer hatte bei diesen Beschimpfungen nicht
automatisch jene Bilder vor Augen, die die deutschen Privatsender
in Ermangelung neuer Ideen jahrelang immer wieder sendeten:
deutsche Vereinsmeier auf Ausflug, um die Kasse im „Ballermann 6”
und anderen berühmt-berüchtigten Partytempeln an der Playa de Palma
auf den Kopf zu hauen. Sangría, der eimerweise aus bunten
Strohhalmen geschlürft wird, schlüpfrige Animationsprogramme und
deutsche Lieder, die lautstark unter südlicher Sonne gegrölt
werden. Massen von Urlaubern, für die Spaß-Haben soviel bedeutet
wie die Sau rauszulassen und sich tüchtig die Kante zu geben.
In Deutschland konnten diese Szenen das Selbstbildnis des
ordentlichen Bürgers nicht erschüttern. Die Exzesse der Deutschen
an der Playa de Palma hakte man als „typisch Mallorca” ab, während
sie für viele Mallorquiner „typisch deutsch” sind. „Das Image der
Deutschen wird von einer verschwindend kleinen Minderheit geprägt”,
sagt Josep Moll, mallorquinischer Journalist und bis vor kurzem
Leiter der Balearen-Vertretung in Berlin. „Von wenigen, die sich
nicht benehmen können, wird auf die Deutschen allgemein
geschlossen.” Dabei sei der „Prozentsatz der Idioten” in
Deutschland sicher nicht höher als in Spanien.
Mallorca werde noch immer mit „Ballermann 6” gleichgesetzt. Für
ihn steht fest, dass Mallorca darunter „als touristisches Ziel
stark gelitten hat”. Aber vielleicht, so Moll, werde die Insel
dieses Image ja bald genauso los wie den Ruf der „Putzfraueninsel”,
der ihm vorher angehangen hat.
Schon jetzt haben die Bemühungen der Balearenregierung, die
Exzesse an der Playa de Palma und anderen Partystränden
einzudämmen, zu zahmeren Verhältnissen geführt. Die Zeiten, als an
der Playa de Palma ungeniert auf den Gehsteig gekotzt wurde, sind
vorbei. Manche alte Stammgäste haben sich in Bulgarien und anderen
Billig-Zielorten Alternativen gesucht, da auf Mallorca
Spaßverderber-Regeln wie das Eimerverbot für den Sangría-Ausschank
und das Musikverbot auf den Terrassen nach Mitternacht eingeführt
wurden. Zum Leidwesen der Gastronomen, die ihre Felle teilweise
davonschwimmen sehen.
Die Deutschen an der Playa de Palma seien gar nicht so schlimm
wie ihr Image, meint Andy Bucher, Programmmacher der Partytempel
Mega Park und Mega Arena an der Playa de Palma. „Man kann doch
nicht alle über einen Kamm scheren. Viele wollen einfach Spaß
haben. Schließlich sind sie ja auch im Urlaub.” Bei manchen liege
die Hemmschwelle im Urlaub wohl etwas niedriger. „Wenn sie
betrunken sind, dann tanzen sie vielleicht auf den Tischen, aber
aggressiv werden sie selten. Wir haben kaum Theater.”
Auch die Spanier, die unsere Partnerzeitung „Ultima Hora” für
uns befragt hat (um möglichst offene Anworten zu erhalten),
differenzierten zwischen der Mehrheit, die sich zu benehmen wisse
und wenigen anderen.
Ressentiments der Einheimischen gegenüber den Deutschen gab es
in den vergangenen Jahren nach Ansicht von Pep Moll nicht etwa
wegen ihres Verhaltens, sondern wegen ihres massenhaften
Auftretens: „Das war 1998/1999, als der Boom seinen Höhepunkt
erreicht hat. Da sprach man auch von einem Ausverkauf der Insel,
weil immer mehr deutsche Residenten kamen. Mit dem Rückgang des
Tourismus hat sich die Einstellung wieder verändert. Man hat
erkannt, dass wir den Tourismus brauchen. Und bläut den Leuten ein,
dass sie nett sein müssen zu den Urlaubern, obwohl das
selbstverständlich sein sollte.”
Auch der Hamburger Freizeitforscher Horst W. Opaschowski, der
selbst Mallorca hin und wieder besucht, sieht im Imageproblem der
deutschen Urlauber ein Phänomen, das mit der „starken
Zusammenballung von Gleichen” zu tun habe. Ein Problem der
Massifizierung an bestimmten Orten. „Der Ballermann ist eine Form
von Extremurlaub wie das Bergsteigen.” Und das Extreme sei
interessant zur Freizeitgestaltung. Ein großer Teil der Deutschen
wolle das aber nicht: Die Mehrheit suche Ruhe und Erholung und
viele seien an Kultur sehr interessiert. „Nur fallen all die
Deutschen, die in Paris den Louvre besichtigen, nicht auf.”
In einer Befragung von 10.000 Menschen aus sechs europäischen
Ländern hat der Wissenschaftler nationale Eigenarten und
Besonderheiten festgestellt: Für den Durchschnittsdeutschen müsse
ein Ziel „fast alles bieten: Es soll so sauber und gemütlich wie zu
Hause sein, Sonne und Umweltqualität garantieren und die eigene
Sprache sollte auch verstanden werden”. Reiseziele im Süden würden
zu „austauschbaren Sonneninseln”.
Er glaube nicht, dass die Deutschen sich im Ausland anders
verhalten als zu Hause: Die Kneipenmeile in Arenal könnte genauso
gut in Düsseldorf oder in Berlin stehen. Man denke an das
Hofbräuhaus oder das Oktoberfest: „Da tanzen sie auch auf den
Tischen, nur dass Bier fließt statt Sangría”. Wenn über die
Promenade am Ballermann ein Zelt gespannt wäre, würde sich seiner
Ansicht nach niemand aufregen, dass es dort zu Gelagen kommt.
Dass die Deutschen auf Mallorca und anderswo sich eher als
andere Nationalitäten unter Gleichen zusammenballen und unangenehm
auffallen, könne schlichtweg mit der größeren Bevölkerungszahl, der
Kaufkraft und den überdurchschnittlich vielen Urlaubstagen der
Deutschen zusammenhängen.
Vielleicht erledigt sich das Imageproblem der Deutschen sowieso
bald von alleine: Die Kategorie „fest in deutscher Hand” werde es
für viele europäische Reiseziele in Zukunft nicht mehr geben, so
Opaschowski. „Weil eine Europäisierung auf breiter Ebene zunimmt.
Touristische Attraktionen werden sich mehrere Nationen teilen
müssen.”
In diese Richtung geht es schon jetzt an der Playa de Palma. Lag
der Anteil der Deutschen unter den Urlaubern dort vor wenigen
Jahren noch bei 80 Prozent, so ist er mittlerweile auf 65 Prozent
gesunken, sagt Jordi Cabrer, Präsident der Hoteliersvereinigung an
der Playa. Von Juni bis September bedeute das immer noch die
Präsenz von durchgehend 25.000 deutschen Urlaubern.
Der Hotelier ist voll des Lobes über die Deutschen auf Mallorca:
„Sie sind sehr gute Kunden.” Sie fordern guten Service, seien aber
auch anstandslos bereit zu zahlen, wenn sie etwas bestellen.
Probleme gebe es keine mit ihnen. Mancher deutsche Hauskäufer habe
typisch mallorquinische Bauten vor dem Verfall gerettet und zu
einer Wertsteigerung beigetragen. Außerdem profitiere das Inselvolk
von den guten Fluganbindungen, die durch den Tourismus geschaffen
wurden. Die ältere Generation habe noch am eigenen Leib die Armut
gespürt, die Mallorca vor dem Aufblühen des Tourismus
durchlitt.
Aber auch Jordi Cabrer spricht von einem „großen Imageproblem”
der Playa de Palma. „Wir sind dabei, das zu korrigieren.” Die
berühmten Partyzonen in der Schinkenstraße, der Bierstraße, am
Ballermann 6 und im Mega Park könnten bleiben. Aber die Probleme,
die mit Betrunkenen einhergehen wie Diebstahl, Prostitution und
Unfälle müssten eingedämmt werden: „Die Lokale sollten keinen
Alkohol mehr ausschenken an Menschen, die schon angetrunken sind.”
Auch wenn sich Mallorca derzeit wieder verstärkt um die Deutschen
als Kunden bemüht, so sollten nach Ansicht von Jordi Cabrer in
Zukunft verstärkt auch andere Herkunftsländer angesprochen werden.
Russland zum Beispiel, wo ein enormes Potential nur vier
Flugstunden entfernt liege.
Wenn in Zukunft also tatsächlich eine stärkere Durchmischung von
Nationalitäten in den Urlaubsregionen stattfindet, „kommt es dann
zu nationalen Urlaubskämpfen?”, fragt Freizeitforscher Opaschowski.
Er malt folgendes Szenarium aus: „Die Deutschen gewinnen den Kampf
um die Liegestühle, die Österreicher besetzen das Restaurant, die
Skandinavier die Bar,...” Ganz so krass werde der Kampf sicher
nicht aussehen, aber „manchmal stimmt das Klischee ja mit der
Wirklichkeit überein”. Konflikte wird es im Urlaub auch weiterhin
geben.
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