Die Aufnahme zeigt die seit Jahren vor sich hier verfallende, ehemalige Weinkooperative in Felanitx. | Christian Sünderwald

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Verlassene Orte, sogenannte Lost Places, üben auf viele Menschen eine besondere Faszination aus. Sie sind ein Tor in die Vergangenheit. Es scheint, als würde die Zeit selbst den Atem anhalten. Die vom Verfall gezeichneten Bauwerke zeugen vom Aufstieg und Fall menschlicher Errungenschaften und führen uns eindrucksvoll vor Augen, was zurückbleibt, wenn der Mensch geht. Die Erkundung solcher Orte – auch als „Urban Exploration” oder kurz „Urbex” bezeichnet – ist für einige ein ebenso reizvolles wie spannendes Abenteuer. Es geht darum, diese „Zeitkapseln” zu entdecken, zu erleben und ihre besondere Aura auf sich wirken zu lassen.

Man möchte es eigentlich kaum glauben: Auch auf Mallorca, das in erster Linie für seine lebendigen Küstenorte bekannt ist und eher als längst überfüllt gilt als einsam und verlassen, existieren solche geheimnisvollen Orte. Doch wie kommt es, dass man ausgerechnet hier verlassene Bauwerke findet, die im Verborgenen ihrem Niedergang preisgegeben sind? Einige dieser Orte entstammen dem wirtschaftlichen Boom der 1960er und 1970er Jahre, als zahlreiche Hotel- und andere große Bauprojekte mit viel Euphorie realisiert wurden. Irgendwann fielen sie dann aus ihrer Zeit und entsprachen den neuen Erwartungen nicht mehr. Bei anderen entfiel schlicht ihr Zweck, zu dem sie einst errichtet wurden, wie beispielsweise alte Militäranlagen.

Es versteht sich von selbst, dass diese stummen Zeitzeugen fernab der üblichen Touristenrouten liegen. Um sie zu finden und in eine Welt einzutauchen, die still geworden ist und heute voller Geheimnisse steckt, muss man selbst auf die Suche gehen, muss sich durchfragen und ein Quäntchen detektivischen Spürsinn besitzen. Um so schöner ist dann das Gefühl, wenn man einen dieser morbiden Schätze gefunden hat.

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Beim Besuch dieser Orte erlebt man eine einzigartige Atmosphäre. Die stillen, überwucherten Mauern erzählen von der Vergänglichkeit – nicht nur der Gebäude, sondern generell von all dem, das der Mensch erschaffen hat, bis hin zu unserer eigenen Existenz. Der bröckelnde Putz, die zerbrochenen Fenster und die von der Natur zurückeroberten Strukturen haben eine ganz eigene seltsame Schönheit. Man spürt die Melancholie des Verfalls, eine gewisse Schwere, die einen umgibt, während man durch diese verlassenen Gänge und Räume geht.

Wer sich schließlich als Ruinenjäger auf die Pirsch macht, weiß nie genau, was er finden wird. Jede Entdeckung ist einzigartig, sei es ein verlassenes Kloster im Hinterland oder ein aufgegebenes Hotel in einem abgelegenen Küstenort, dessen einstige Pracht nur noch zu erahnen ist. Das Erkunden solcher Orte erfordert jedoch nicht nur ein wenig Einfallsreichtum und Mut, sondern auch Vorsicht. Viele der Gebäude sind akut einsturzgefährdet und man sollte diese Orte immer mit Respekt betreten – nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch aus Achtung ihrer Geschichte.

Allen, die jetzt die Abenteuerlust gepackt hat und die abseits der bekannten Touristenrouten auf Entdeckungstour gehen wollen, sei also mitgegeben: Unbedingte Vorsicht: Verlassene Orte sind immer gefährlich – häufig durch morsche Böden oder Decken. Also niemals alleine losziehen. Respekt vor der Geschichte nach dem Kodex aller Urbexer: „Take nothing but pictures. Leave nothing but footprints.”

Lost Places sind stille Zeitzeugen, die ihren Charakter verlieren, wenn sie verändert oder gar mutwillig beschädigt werden. Recherche: Die meisten verlassenen Orte auf Mallorca sind nicht öffentlich zugänglich. Einige liegen auf Privatgrund und dürfen nicht ohne Erlaubnis betreten werden. Man sollte sich also unbedingt im Vorfeld informieren, welche Orte legal und ohne allzu großes Risiko betreten werden können. Christian Sünderwald, Jahrgang 1968, ist Kunst- und Architektur-Fotograf, Essayist und Publizist. Er lebt in Chemnitz und Palma. Weitere Aufnahmen von ihm 
finden Sie in der Fotogalerie „Verwildert, verlassen, 
vergessen! Lost Places auf Mallorca im Fokus des Kamera”. Der Link dazu befindet sich direkt unter diesem Textabschnitt: