Wenn die Vormittagssonne das uralte Gemäuer erhellt, übermannt einen in dem idyllischen Tal ein Wohlgefühl sondergleichen. | Ingo Thor

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Es ist hier alles klarer und reiner als woanders auf Mallorca: Die völlig unverschmutzte Luft lässt die Konturen der Blätter rasiermesserscharf aufscheinen, die Vögel trällern so intensiv und laut, dass man sich fast die Ohren zuhalten muss. Hier in diesem entlegenen Tramuntana-Tal am Wallfahrtsort Lluc, wo die „Moreneta” – die im 14. Jahrhundert in Stein gehauene allerheiligste Marienstatue der Insel – in der wuchtigen Basilika steht, kommt die Natur durch und durch unmittelbar daher. Man kommt nicht umhin, sich vom Heiligen Geist nachgerade an die Hand genommen zu fühlen.

Die Spiritualität liegt in und an dem jahrhundertealten Heiligtum, mit dem sich die Insulaner ganz besonders verbunden fühlen, in der Luft. Kein Wunder, dass es Ruhe- und Sinnsuchende auch aus deutschen Landen immer wieder in größerer Zahl in die spartanischen Zimmer zieht, die hier wie in einem Hotel gebucht werden können. Sind sie Inselresidenten, bekommen sie einen Zehnprozentrabatt.

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Die Suchenden spazieren durch die Wälder, wo sie noch heute, am 2. Mai 2023, zahllose vom beklemmend dunklen und schneereichen Februarsturm „Juliette” herabgefegte Äste betrachten können. Sie halten sich im Restaurant Sa Fonda oder in mehreren angrenzenden Bars auf, essen Salat oder Croissants und blicken teils entrückt auf den großen, mit Büsten von Schriftstellern wie Miquel Costa i Llobera bestückten Hof des Komplexes. Wenn die Sinn- und Ruhesuchenden noch einen Tick mehr zu sich selbst finden möchten, brechen sie zum nahegelegenen „Jardí Naturalista” auf. Es handelt sich um einen liebevoll angelegten kleinen Garten, wo Wasser aus Miniaturbrunnen plätschert, Frösche in Tümpeln schwimmen und es ohnehin irgendwie noch grüner als in der Umgebung ist. Hier sieht es dank der Aufräumeinsätze zahlreicher Helfer so aus, als hätte es jenen unheimlichen Wintersturm, der hier im Tal eine meterdicke Schneedecke anhäufte und das Heiligtum zeitweise von der Außenwelt abschnitt, nie und nimmer gegeben.

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Das Gefühl spiritueller Vollkommenheit wird intensiver, wenn man das Glück hat, irgendwo im Hintergrund und umflort vom Singen der Vögel die glockenreinen Kinderstimmen des Blauet-Chors hinter dem Gemäuer zu hören. Wenn dann noch eine leichte Brise die Blätter zum Rauschen bringt, gerät der schnöde Alltag in Berlin, Wermelskirchen oder Salzgitter schnell in Vergessenheit.

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Es gerät auch im Nu in Vergessenheit, dass hier an diesem heiligen und zugleich zauberhaften Ort vollkommener Klarheit mitunter Busladungen hektischer Strandtouristen herangekarrt werden. Die Gäste halten sich in der Regel nur kurz hier auf und sind dann wieder weg. Auch das bodenlos Ungute, das hier in Gestalt eines diebischen Hausmeisters die Ruhe störte, kann der Magie des Ortes nichts anhaben. Der Mann arbeitete hier jahrelang und ließ etliche Schmuckstücke mitgehen. Er wurde erwischt, 90 Prozent der Beute wurden sichergestellt.

Das ist halt nur eine Randnotiz in der ewigen Geschichte des Heiligtums, in welchem das Schöne, Gute und Holde dominiert. Wo Natur und Kulturgeschichte wie fast nirgendwo sonst auf der Insel harmonieren. Wo man geerdet und zugleich emporgehoben wird. Wo man erfährt, dass Mallorca nicht nur für profanes Strand- und Partyleben steht, sondern auch ein durch und durch mystisches Gesicht hat.