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Angst, Bedrückung, Ekel, Entfremdung sind die Empfindungen der meisten Besucher. Das gefällt Bernardí Roig. Genauso wie ihm gefiel, dass in Valencia bei einer Ausstellung ein Student eine seiner Skulpturen beschädigte. Sie habe ihn angeekelt, erklärt er. Nun stellt Bernardí Roig zum ersten Mal nach 16 Jahren wieder in Palma aus. Im Pelaires Centre Cultural Contemporani.

Der 45-jährige Künstler mit dem internationalen Erfolgscurriculum will provozieren, beunruhigen: „Das ist heute gar nicht mehr so einfach“, sagt er. Er nutzt den Spielraum zwischen Konzept und Kunst, zwischen Minimalismus, Video und figürlicher Darstellung. „Spielraum“ – Roig benutzt das deutsche Wort – heißt auch die Ausstellung in Anlehnung an den Schriftsteller, Satiriker und Bürgerschreck Karl Kraus: „Schon er hat mit den verschiedenen Bedeutungen des Wortes gespielt – als Raum für Kinder, als Theaterbühne oder eben als Raum, sich frei zu bewegen oder eben nicht“, sagt Bernardí Roig. Er freut sich, dass hierzulande kaum ein Besucher nach der wirklichen Bedeutung des Wortes fragt: „Das ist ein Symptom“, sagt er. „Die Bourgeoisie hat keinen Spielraum und strebt auch keinen an.“ Er hingegen hat den Raum im Kulturzentrum Pelaires optimal genutzt, hat sich auf diese Weise „Spielraum“ verschafft. Roig hat sogar einen Teil eines unterirdisches Ganges miteinbezogen. Pelaires ist in einem ehemaligen Nonnenkloster, das, wie viele andere Gebäude der Altstadt auch, durch Gänge im Untergrund mit der Kathedrale verbunden ist. Wenn auch heute nicht mehr alle diese Gänge begehbar sind. Die meisten enden vor Mauern. Roig hat den Zugang unter dem Kulturzentrum erforscht und geöffnet: „Da unten herrscht wirkliche absolute Einsamkeit.“ Er erleuchtet sie durch eine meterlange Leuchtröhrenkette.

Roig kommt beim Gespräch mit MM immer wieder auf die Angst zu sprechen. Seine Figuren stellen Angst dar, sei es durch Unterwürfigkeit, sei es durch Aggression. Der Künstler macht das auch durch Toninstallation deutlich. „Wir leben in der Welt der neuen Medien, der Funktionalität und der schnellen Verfügbarkeit. Wir können uns keine Angst leisten. Wir sind transparent, ein Microspace“, sagt er.

Seine Figuren sind aus kaltem, weißem Gips gefertigt, eine ist sogar durch ausgeklügelte Technik mit Dauereis überzogen. Kälte in allen Bereichen. Auch im Neonlicht, das Roig in etlichen Fällen im Mega-Pack direkt an den Skulpturen anbringt: „Das reizt das Auge bis zur Schmerzgrenze, ist unbequem.“ Die lebensgroßen Figuren, hängend, sitzend, stehend, kauernd, sind nach lebenden Modellen aus Marmorstaub und Polyester gefertigt: „Das sind alles Freunde von mir“, sagt der Künstler. „Dass sie alle rundlich und kahlköpfig sind, ist der reine Zufall.“ Und er sagt: „Ein Bild zu sehen, sollte Konfrontation sein. Auch mit sich selbst.“ Eine seiner Figuren trägt einen quadratischen Kasten über dem Kopf. Der Mund ist nur ein schwarzes Loch, aus dem weißer Qualm, heiße Luft strömt: „Schwimmen wir nicht alle im eigenen Saft?“ Eine rein rhetorische Frage.

Teil der Ausstellung, die wie ein Rundgang und ein Theaterbühne konzipiert wurde, ist ein Zusammenschnitt von Ingmar Bergmans Film „Schreie und Flüstern“ (1973), unterlegt mit der Musik des Barockkomponisten Franz Biber. Nur dieses Video bringt Farbe in die Ausstellung: Rot, Blut, Verletzung.

Mit einem Zitat von Ingmar Bergman könnte man Bernardí Roigs Ausstellung umreißen: „Es gibt keine Grenzen. Weder für Gedanken noch für Gefühle. Es ist die Angst, die immer Grenzen setzt.“ „Spielraum“ von Bernardí Roig im Pelaires Centre Cultural Contemporani, Palma, Via Verí 3. Geöffnet bis Anfang November