Lange war vom "Wellness-" oder
"Kuschel-Wahlkampf" die Rede, und doch steigt die Spannung jetzt
täglich an. Wie wird Deutschland am Sonntag wählen? Welches Bündnis
wird danach möglich sein?
Eine Spannung, die auch nach Mallorca ausstrahlt. Viele Deutsche
auf der Insel haben schon längst per Briefwahl ihre Stimme
abgegeben, etwas, woran die Deutschen generell immer mehr Gefallen
finden. Einer aktuellen Umfrage der Bildzeitung zufolge wählen mehr
Deutsche als je zuvor per Post, bis zu 20 Prozent.
Auch die Auslandsdeutschen auf der Insel verfolgen aufmerksam
die Geschehnisse in der Heimat. Die Entwicklungen dort, so das
Stimmungsbild nach einer MM-Umfrage unter gut zwei Dutzend
Mallorca-Deutschen, darunter etliche Unternehmer, sind denen, die
fern der Heimat sind, keinesfalls gleichgültig. Es sei eine
Bürgerpflicht, zu wählen, sagen die einen, der Ausgang der Wahlen
werde keine direkten Auswirkungen auf das Leben hier haben, sagen
die anderen. Und am Wahltag, so sind sich alle einig, könnte es
noch zu mancher Überraschung kommen.
Darüber, wie die Bundestagswahl ausgeht, herrscht bei den
Mallorca-Deutschen ebenso wenig Klarheit wie in Deutschland selbst.
Hier wie da hoffen allerdings viele Unternehmer auf einen Wechsel
von der Großen Koalition zu Schwarz-Gelb. "Natürlich haben wir auch
hier auf Mallorca ein Interesse daran, dass in Deutschland eine
Parteienkonstellation an die Regierung kommt, die der geschwächten
Wirtschaft wieder auf die Beine hilft", sagt Bernd Katzmarzik,
General Manager des Immobilienunternehmens Kühn & Partner,
stellvertretend für viele Wirtschaftsvertreter. "Wenn der
Mittelstand mehr Unterstützung erhält, die Kreditvergabe
erleichtert wird und mehr Geld in die Taschen der Menschen fließt,
dann kommt auch die Wirtschaft der Insel wieder in Bewegung.
Schwarz-Gelb wäre da sicher vernünftig."
Während Einigkeit darüber herrscht, dass ein Aufschwung in
Deutschland auch gut für die Insel wäre, glauben die wenigsten,
dass dies schon bald der Fall sein wird. Dass die Bundestagswahl
einen direkten, vielleicht schon in der kommenden Saison merkbaren
positiven Effekt auf die mallorquinische Wirtschaft haben könne,
beweifeln die meisten Befragten. Zu groß seien die Probleme in der
Wirtschaft, um sie in kurzer Zeit zu beheben.
"Die Wahlen werden hier nichts ändern, jedenfalls nicht im
kommenden Jahr. Wer dieses Jahr kein Geld zum Verreisen hatte, wird
für 2010 erst recht nicht buchen. Daran würde auch ein
Regierungswechsel nichts ändern", sagt Klaus-Peter Weinhold,
Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Kirchengemeinde der
Balearen.
Schwarz-Gelb könnte die Wirtschaft in Deutschland zwar wieder in
Schwung bringen, so meint Immobilienunternehmer Lutz Minkner, doch
einen unmittelbaren Einfluss auf Mallorca werde dies keinesfalls
haben. "Der Standort Deutschland muss erstmal seine eigenen
Probleme lösen, das wird dauern, und der Effekt wird erst langsam
rüberschwappen zu uns."
Ob nun die Große Koalition fortgeführt wird oder es tatsächlich
zu neuen Konstellationen kommt, das ist laut MM-Umfrage fast
unerheblich für die nahe Entwicklung auf Mallorca. Denn obwohl
viele der Meinung sind, dass es Mallorca nur dann gut geht, wenn es
auch in Deutschland oder anderen wichtigen Quellmärkten wieder
bergauf geht, glaubt niemand an eine "Zauberregierung". Die
Stimmung unter Touristikern, Managern und Unternehmern auf der
Insel ist demnach eher skeptisch und abwartend als optimistisch:
"Niemand weiß genau, wie es im nächsten Jahr weiter gehen wird,
aber Wunder wird die Bundestagswahl sicher nicht vollbringen, egal,
wie sie ausgeht", sagt Carsten Sasse, Marketing-Manager der
Fluggesellschaft Condor in Palma. "Im Übrigen müssen wir uns auf
die optimale Führung des Unternehmens konzentrieren, egal, welche
Regierung in Deutschland am Ruder ist."
Während die Wunschregierungen unter den Befragten variieren -
allen voran CDU-FDP oder Große Koalition - sind sich beim Thema
Linke alle Gesprächspartner einig: "Rot-Rot wünscht sich sicherlich
niemand", sagt etwa Lutz Minkner über einen möglichen Pakt der SPD
mit der Linkspartei, die nach dem Mauerfall aus der ehemaligen SED
hervorgegangen ist.
Und es glaubt auch niemand, dass es dazu kommen könnte - diese
Meinung teilen die Mallorca-Deutschen mit den Wählern im
Heimatland: Nicht einmal die Linken selber sehen laut
Fraktionsvorsitzendem Gregor Gysi realistische Chancen, nach dem
26. September mitzuregieren.
Ebenfalls Einigkeit unter den Mallorca-Deutschen herrscht in der
Frage der Wahlpflicht: Selbst wenn man nicht mit unmittelbaren
Auswirkungen rechnen könne, sei es doch eine Bürgerpflicht, seine
Stimme abzugeben und so das Geschehen in Deutschland
mitzubestimmen. Und sei es nur, um jene zu verhindern, die man
keinesfalls in einer Regierung sehen will.
Die richtige Parteien-Koalition könnte die Wirtschaft wieder
ankurbeln, wählen sei deshalb Pflicht, sagt auch Ulla
Müller-Breitkreuz, Balearen-Deligierte der Deutschen Handelskammer
für Spanien.
Eine Neuauflage der Großen Koalition halten viele für möglich,
sollte es anders kommen, wäre das für Mallorca aber unerheblich, so
ergab das Stimmungsbild. Die großen Parteien hätten im Grunde einen
großen Konsens, so sagt Uwe Daude, Leiter der Seniorenresidenz Es
Castellot. Sie seien sich in den wichtigen Fragen gar nicht so
uneinig, wie man immer denke. "Sie streiten zwar jetzt vor den
Wahlen viel, weil natürlich jeder an die Macht will, verfolgen aber
im Grunde die gleichen Ziele. "Man könnte fast von einer
christlich-sozial-liberalen Koalition sprechen. Mit den Grünen gebe
es ebenfalls Parallelen, nur die Linken seien außen vor. "Das ist
hier in Spanien ganz anders, hier herrschen tatsächlich erhebliche
Meinungsverschiedenheiten unter den großen Parteien."
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