Es ist ein geradezu himmlischer Anblick, der
sich hinter dem Felsvorsprung auftut: feinster weißer Sand, kleine
Büschel getrockneten Seegrases, helltürkises, glasklares Wasser.
Keine Menschenseele – und das mitten in der Hochsaison.
Die letzten paar Meter des Abstiegs über Fels nehme ich in fast
kühnen Sprüngen, und als die Turnschuhe endlich von den
schwitzenden Füßen gestreift sind und die Zehen sich genussvoll ins
zartweiche Körnchenbett eingraben, macht sich in mir ein sattes
Bauchgefühl aus purem Stolz breit. Ich habe das Paradies entdeckt –
oder zumindest ein Stück davon.
Rund 550 Kilometer lang ist die Küste Mallorcas und reich an den
schönsten Buchten, die man sich nur vorstellen kann. Dass es
dennoch durchaus viele Menschen gibt, die die langen Sandstrände
des Es Trenc, der Playa del Muro oder der Playa de Palma den
Badebuchten vorziehen, ist oft damit begründet, dass es auch in den
Calas im Sommer sehr schnell sehr voll werden kann: Denn viele
dieser Küsteneinbiegungen auf Mallorca sind sehr kleine
Buchten.
Wenn man sie denn überhaupt findet: Mit den Buchten ist es
nämlich so eine Sache auf dieser Insel – je schöner sie sind, desto
schwerer sind sie zu entdecken. Die wenigsten sind ausgeschildert
und sind sie es doch, dann entfernen oder überpinseln
„Lokalpatrioten“ regelmäßig aufs Neue die Hinweisschilder, um die
Badeoasen vor noch mehr Zulauf zu schützen. Da ist Ausdauer und
eine gute Landkarte gefragt, im Idealfall mit Luftaufnahmen.
Dreimal bin ich an diesem Nachmittag schon zwischen zwei Dörfern
hin- und hergependelt. Das T-Shirt klebt, die Stimmung ist dabei,
auf den Nullpunkt zu sinken und die Landkarte auf dem Schoß
behindert beim Schalten. Laut dieser sind mehrere Buchten auf
dieser Küstenhöhe verzeichnet – doch welcher Weg führt nur dorthin?
Nach ergebnisloser Suche bin ich intuitiv einer staubigen und als
privat ausgewiesenen Schlaglochstrecke gefolgt. Und fühle mich
plötzlich, als hätte ich den schwer gehüteten Zirkel eines
Geheimbundes durchbrochen: Denn am Ende parken plötzlich Autos,
versteckt und an die Gebüsche am Straßenrand gepresst. Doch wohin
jetzt? Ein hohes Eisentor ragt vor mir auf.
Doch schnell wird klar: Wer schmal genug ist, sich zwischen
einer Eisenkette und dem Tor hindurchzuquetschen, für den öffnet
sich der verschlungene Pfad zu einer traumhaften Bucht. Nicht, dass
ich dort allein wäre: Rund hundert andere Strandbesucher liegen
schon hier. Es ist eine plötzlich in mir geweckte Abenteuerlust,
die mich weitertreibt, anstatt mich faul dazuzulegen. Forschen
Schrittes mache ich mich auf, über ein gerölliges Felsplateau. Ich
will noch mehr entdecken.
Einen Weg gibt es nicht und es dauert auch eine Weile, bis ich
aus einem Urinstinkt heraus eine Art Fährte ausmachen kann: Dort,
wo schon andere entlanggewandert sind, ist auf den Felsen ein Hauch
Abrieb roter Erde zu erkennen. Hier ist das Vorwärtskommen
leichter, dennoch ist es mehr ein Vorwärtstolpern als ein Gehen. 20
Minuten sind schon vergangen. Die Sonne sticht, aber auch das
stachelige, oft kniehohe Gestrüpp, das weiße Striemen in meine
Waden zieht. Ich bin im Nichts – Steine und Sträucher, so weit das
Auge reicht. Und das Meer. Eine tiefe Genugtuung breitet sich in
mir aus. Wie schön diese Insel doch ist! Wie unberührt noch an
vielen Orten.
Dann, in meinem Taumel inniger Verbundenheit mit dieser Natur,
tut sie sich plötzlich vor mir auf. Meine einsame Bucht. Und ich
fange an zu verstehen – Mallorca ist voll dieser abseits gelegenen
fast karibischen Kleinode. Aber man muss sie sich erkämpfen. Nur
wer bereit ist, sich auf die Suche zu begeben, auch unbequeme Wege
zu gehen und erst zu schwitzen, bevor er sich ins kühle Nass werfen
kann, der wird mit einem solchen Anblick belohnt.
Möwenkrächzen und Wellenschlagen wiegen mich in einen
erschöpften Schlaf. Als ich aufwache, steht ein einzelnes kleines
Sonnenschirmchen am Rand der Bucht, zwei Spanier blicken herüber.
Als ich sie neugierig frage, woher sie dieses Fleckchen kennen,
stellt sich heraus, dass sie selbst erst zum zweiten Mal hier sind.
„Ich habe meinen Augen kaum getraut“, sagt einer von ihnen, „als
ich das hier entdeckt hab!“
Dann legt er mit einem verschwörerischen Lächeln den Finger über
die Lippen. „Das dürfen wir niemandem verraten. Das hier ist unser
Geheimnis!“ Wie recht er doch hat.
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