Von diesen Vampiren sollten wir uns gerne
beißen lassen – auch wenn sie uns auf den ersten Blick anwidern
mögen, wir sie sogar als ekelig empfinden. Dabei kommt Egel nicht
von Ekel, sondern vom griechischen „echis“, was soviel bedeutet wie
kleine Schlange. Mediziner gar nennen den Blutegel mittlerweile
„Biochirurgen“, denn der etwa zehn Zentimeter lange dunkle
Ringelwurm tut dem Menschen viel Gutes. „Die Blutegeltherapie ist
eine sehr fazinierende Methode“, erzählt Eva Marin Ortiz, „dazu
nebenwirkungsfrei, altbewährt und mit Langzeitwirkung.“
Die deutsche Ärztin aus Hessen führt seit 1994 eine Praxis im
Hafen von Alcúdia, seit zwei Jahren bietet sie die Therapie mit den
kleinen saugenden Helfern an: Vor allem bei Kniegelenksbeschwerden,
Besenreißern und Krampfadern setzt sie Egel an – auch bei
Bluthochdruck gäbe es sensationelle Erfolge. Je nachdem verwendet
sie pro Behandlung zwischen zwei und zehn Tiere, die sie von
Deutschlands einziger Blutegelfarm in Biebertal bezieht. Denn in
Tümpeln und Teichen geht man schon lange kaum mehr Gefahr, dass
sich ein hungriges Tierchen an den Beinen andocken könnte.
Freilebende Egel gibt es kaum mehr, erst wurden sie fast
ausgerottet, dann setzte ihnen die zunehmende Wasserverschmutzung
zu: Blutegel lieben es nämlich sauber und klar.
Und so funktioniert die Therapie: Der Blutegel ist von Natur aus
blutrünstig, der rote Lebenssaft ist seine Leibspeise. Auf die Haut
gelegt fängt das Tier an, sich festzusaugen. Drei sternförmige
winzige Zahnreihen mit 90 Kalkzähnchen bohren sich ins Fleisch, der
Patient selbst davon bekommt nur wenig mit („es ist wie ein kleiner
Nadelstich“), denn der Schmarotzer hat eine clevere Methode
entwickelt, um von seinem Opfer nicht entdeckt zu werden: Während
er saugt, injiziert er seinem Wirt gleichzeitig seinen Speichel,
der neben rund einem Dutzend anderer gesundheitsfördernder
Wirkstoffe vor allem Eglin und Hirudin enthält – beides
entzündungshemmende, lokalbetäubende Mittel, die die Blutgerinnung
drosseln und auch Blutgerinsel auflösen. Die Wirkstoffe gibt es
auch in der Apotheke in Form von Salben zu kaufen. Allerdings
wirken sie durch den Egelspeichel weitaus intensiver, da das Tier
den Wirkstoffcocktail direkt unter die Haut bringt.
Um die zehn Milliliter Blut saugt der Wurm, bis er sattgefressen
abfällt, davon könnte das Tier nun zwei Jahre zehren. Anschließend
verliert der Patient beim Nachbluten weitere rund 50 Milliliter.
„Man kann es also mit einem kleinen Aderlass vergleichen, der den
Körper anregt, neues Blut zu bilden“, erklärt Eva Marin, „danach
sollte man sich viel Ruhe gönnen, ein wenig schonen. Das Schöne:
Man fühlt sich danach sofort so richtig gut.“ Kein Wunder, die
Saugtherapie wirkt sich doppelt positiv auf den menschlichen Körper
aus – denn der produziert gleichzeitig Endorphine. Die
„stimmungsfördernde Wirkung“ der Egel war es übrigens auch, die das
Tier einst in Verruf brachte.
Denn obwohl ihre Heilkraft bereits im fünften Jahrhundert vor
Christus fest in der Medizin der Griechen und Römer verankert war –
so kam es doch im 19. Jahrhundert dann zu einer regelrechten Manie.
Allein in Frankreich setzte man – vor allem Damen der Oberschicht –
in einem Jahr rund hundert Millionen Tiere an, teilweise bis zu
hundert Würmer pro Person. Mit dem tragischen Resultat, dass viele
verbluteten.
„Mittlerweile hat der Egel aber wieder eine Renaissance
erfahren, und das nicht nur bei Heilpraktikern, sondern auch in der
Schulmedizin“, sagt Marin. Sie rät zu einer Behandlung vor allem in
den Wintermonaten, denn die Bisse müssen vor direkter
Sonneneinstrahlung geschützt werden. Zwischen 150 und 250 Euro muss
man pro Sitzung rechnen, nach der man mindestens ein halbes Jahr
bis zur nächsten warten sollte.
Angesetzt wird jeder Egel übrigens nur einmal, auch an ein und
demselben Patienten darf er sich nur einmal sattfuttern, um
Ansteckungen oder allergische Reaktionen absolut auszuschließen. In
der Regel wird er deswegen nach seinem Mahl getötet.
Besonders tierliebe Ärzte haben aber auch die Möglichkeit, die
gebrauchten Egel in die Zucht zurückzuschicken: Nach einer
ärztlichen Untersuchung kommt das Tier, das um die 30 Jahre alt
werden kann, dann in den sogenannten „Rentnerteich“ – und bekommt
dort sein „Gnadenblut“.
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