Vor dem "Stasi-Knast" in Bautzen -
"Republikflücht- linge, die nach Paragraph 214 verurteilt wurden,
bekamen in der Regel ein Jahr und acht Monate" - rettete die beiden
im August 1989 nur der kurz bevorstehende Mauerfall. Wenn Mike und
Martina Reindl aus Potsdam, die im Mai 2006 ihr "Strandcafé
Schwarzwald" in Peguera eröffnet haben, heute an diese Zeit
zurückdenken, kommt ihnen alles wie ein Film vor - Filmrisse
inklusive. Einige Details dieser kurzen, dramatischen Monate
scheinen wie ausgelöscht, wie die Nachwirkungen eines Schocks, den
man erst im Nachhinein aufzuarbeiten beginnt: "Auf einmal hängst du
da drin und weißt nicht, wie es ausgeht."
Mit einem 311er Wartburg macht sich das junge Paar mit einem
Freund am 29. Mai 1989 auf den Weg nach Ungarn, um von dort nach
Österreich zu fliehen: "Kein Gepäck, kein Laut zu Familie, Kollegen
oder Freunden. Man wusste ja, was dann sofort geschieht:
Stasi-Verhöre." Ihr ungarischer Freund Gabor hat ihnen einen Tipp
für einen "wenig bewachten Grenzort" gegeben: Szombately. "Als wir
dort ankamen, empfingen uns schon die Grenzer." Sie werden sofort
verhaftet - dabei ist das Kreuz, das sie auf die Landkarte gemalt
hatten, der einzige "Beweis".
Was folgt, sind drei Mo- nate Albtraum: In Handschellen von
einem Gefängnis ins nächste, Trennung vom Partner, Ungewissheit. Am
schlimmsten die erste Woche in dem ungarischen Dorf Szombately:
"Morgens eine Tasse Tee und eine Scheibe Brot mit ,Augenwurst',
mittags eine Brühe, aus der Geflügelkrallen herausschauten, abends
wieder besagtes Brot." Dann wird das junge Paar, das zwei Jahre
zuvor geheiratet hat, per Bus nach Budapest verlegt, zwei Wochen
lang Verhöre: "Aber ohne Gewalt. Die haben wohl geahnt: Irgendwann
machen sie die Grenze auf."
Per Flugzeug und mit Handschellen werden sie anschließend nach
Berlin transportiert: "Neben jedem Gefangenen saß ein
Stasi-Mitarbeiter." Nach zweieinhalb Monaten "Stasi-Knast" in der
Hauptstadt geht es weiter in die Untersuchungshaft nach Potsdam in
die Lindenstraße, genannt "Linden-Hotel". Hier müssen sie ihre
persönliche Kleidung abgeben, werden in Trainingsanzüge und
Hausschuhe gesteckt, eine Stunde "Freigang" an der frischen Luft,
mehr nicht. Erinnerungen wie im Film. Durch die Fenster aus dicken
Glasbausteinen ruft Mike seiner Frau vom anderen Ende des Gebäudes
"Dicke, ich liebe dich" zu, und sie antwortet: "Ich dich auch."
Dann kommt ihr dritter Hochzeitstag am 7. August, sie schaffen es
tatsächlich, sich zu sehen - im Vernehmungszimmer: "Meine Eltern
hatten uns Kuchen gebracht, wir saßen uns an einem langen Tisch
gegenüber, daneben ein Vollzugsbeamter, der uns keine Sekunde aus
den Augen ließ."
Getrennt, jeweils zu zweit, sitzen sie in einer Zelle, mit den
Nachbarn kommuniziert man per Klopfzeichen: "A einmal, B zweimal,
man hatte ja sonst nichts zu tun." Ein letzter Umzug in den
"Polizei-Knast" von Potsdam, wo sie ihre persönliche Kleidung
wiederbekommen. Nach anderthalb Wochen heißt es plötzlich: Zurück
ins "Linden-Hotel": "Wir haben uns gefreut, es hieß, von dort wird
man in den Westen abgeschoben."
Irrtum. Am nächsten Tag, es ist der 29. August, heißt es: "Hier
sind eure Autoschlüssel, ihr könnt nach Hause fahren." Sie seien
ratlos gewesen, sagt Martina Reindl: "Was machen wir denn jetzt?"
Gut zwei Monate hätten sie dann nur "so vor sich hingelebt": "Wir
waren ja Republikflüchtlinge mit Ausreiseantrag. Wir konnten nur
warten." Bis zum 9. November, als die unfassbare Nachricht im
Fernsehen kam: "Die Mauer ist weg."
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