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Eigentlich ist es eine Tour wie jede andere, und doch auch nicht. Von Montag bis Samstag zwischen 7 und 17.30 und sonntags bis 13.30 Uhr verbindet die Buslinie 18 Palmas Innenstadt im Stundenrhythmus mit einer Barackensiedlung unweit des internationalen Flughafens, deren Namen nicht nur symbolisch für ein Outlaw-Territorium steht, das seit Jahrzehnten dunkle Schatten auf die Sonneninsel wirft: Son Banya. Ein Zigeunergetto, das einzigartig auf der Insel ist und auch in Restspanien seinesgleichen sucht. Drogen aller Art wechseln hier säckeweise den Besitzer. Der Waffenhandel blüht, Hehlerware jedweder Art wird verramscht. Und jeder weiß es.

Offene Feuer brennen nach Einbruch der Dunkelheit in den wenigen, staubigen Straßen und hüllen Son Banya in Rauch und gespenstisches Licht. Zwielichtige Gestalten huschen an den Hauswänden entlang. Vereinzelt liegen Junkies wie tot herum. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich einer von ihnen hier im Dreck mit einem goldenen Schuss verabschiedet. Scharfgemachte Kampfhunde mit Nietengeschirren streunen zwischen den Baracken. Bei einer der seltenen Razzien wurde Ende September 2000 sogar ein ausgewachsener Puma entdeckt. Die Raubkatze war kurz zuvor bei einem auf Mallorca gastierenden Zirkus gestohlen worden.

Son Banya ist verrufen wie kein anderer Ort auf Mallorca. Ein Menschenleben mitunter nicht viel wert. Am Dreikönigstag 2001 wurden in der Drogenhochburg zwei Asiaten hingerichtet und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Wieder einmal wollte niemand etwas gesehen haben. Große Blutlachen inmitten der maroden Häuser waren die einzigen Zeugen des Doppelmordes. Das einzige Gesetz, das in der Siedlung regiert, ist das der Drogenmafia.

Palmas Polizisten betreten Son Banya so gut wie nie. Sie beschränken sich auf gelegentliche Fahrzeugkontrollen, falls sie überhaupt aktiv werden. Ihre Gehälter sind gering, ihre Lebenserwartung, wenn's schlecht läuft, auch. Außerdem wissen die Beamten genau, dass nur die kleinen Fische mit verbotenen Substanzen den verruchten Ort verlassen. Anzeigen verlaufen ohnehin wegen der geringen konfiszierten Drogenmenge im Sand. Eigenbedarf. Richtige Erfolgserlebnisse sind rar. Derzeit stehen zwar 26 Clanmitglieder vor Gericht, aber an die Drahtzieher kommen die Behörden nur selten heran. Und wenn, sind langjährige Haftstrafen die Ausnahme. Auch die 26 Drogenhändler haben nicht richtig viel zu befürchten. Sie werden nach einem umstrittenen Deal mit der Staatsanwaltschaft lediglich wegen Geldwäsche angeklagt. Die zu erwartenden Strafen begleichen sie vermutlich aus ihrer Portokasse.

Seit langem versucht die Stadt, die in Son Banya lebenden Familien zu resozialisieren und umzusiedeln. Ohne Erfolg. Bisher scheiterten alle Versuche, weil die Zigeuner die angebotenen Wohnungen nicht akzeptierten oder Forderungen stellten, die wiederum das Rathaus als „überzogen” ablehnte. Bagger, die unter Polizeischutz bereits einige Barracken eingerissen haben, beeindrucken die Bewohner Son Banyas wenig. Ein Dialog findet nicht statt, und die geplante Erweiterung des benachbarten Industriegebietes wird wohl weiter warten müssen. Misstrauen regiert hüben wie drüben.

Die Roma sind allen Fremden gegenüber verschlossen. Nicht einmal den eigenen Anwälten trauen sie. Selbst die 26 Geldwäscher kommunizieren nur über einen Mittelsmann mit ihrer Verteidigung.

Ein ständiger Strom von Autos fährt rund um die Uhr durch die Haupteinkaufsstraße von Son Banya. An den Wochenenden gibt es nachts regelrechte Staus. Mallorcas Drogenumschlagsplatz Nummer eins ist 24 Stunden geöffnet. Aussteigen ist überflüssig. Wie beim Drive-In amerikanischer Fastfoodketten werden die Bestellungen aufgegeben. Anstelle von Hamburgern wird Koks, Heroin, Opium, Marihuana und Ecstasy serviert. Wer kein Auto hat, fährt mit dem Bus.

Es ist Montag, 14 Uhr. Gabriél Reynes hat von seinem Kollegen der Frühschicht an der Haltestelle Calle Manacor den alten MAN übernommen und startet gutgelaunt in die Woche. Außer den beiden arbeiten nur noch Springer auf der Route. Auf der Anzeige neben der Liniennummer steht als Fahrtziel Son Riera. So hießen die Ländereien rund um das ehemalige Gut Son Banya früher und werden auch heute noch offiziell so genannt. Aber seit die Zigeuner sich Ende der 60er Jahre hier niederließen, wird mit der Bezeichnung Son Riera nur noch Palmas übelster Vorort kaschiert. So, als ob es Son Banya gar nicht gäbe.

Während für das übrige Stadtgebiet neue, hochmoderne Mercedes-Busse angeschafft wurden, steht für die Son-Banya-Tour nur ein Fahrzeug bereit, das sich optisch problemlos in das Erscheinungsbild der Outlaw-Siedlung integrieren lässt. Die ebenfalls die Haltestelle Manacor anfahrende Linie 14 ist deutlich schicker.

Insgesamt wartet schon ein gutes Dutzend Fahrgäste. Wer von ihnen bei Gabriél einsteigen wird, kann mit hoher Trefferquote bereits an der Haltestelle geraten werden. Gabriél braucht längst nicht mehr zu raten. Er kennt seine Pappenheimer. Seit einem guten Jahr fährt der 51jährige pro Schicht vier Touren nach Son Banya. Eine halbe Stunde hin, eine halbe Stunde zurück. Immer am Nachmittag. Eine halbe Stunde braucht Gabriél auch, um von seinem verschlafenen Wohnort Campanet mit dem Auto nach Palma zu kommen.

Wieviele PS sein MAN hat, weiß er nicht genau. Aber das ist auch egal. Richtig beansprucht wird sein Gefährt nicht. Der Bus ist nie überfüllt.
Keiner der Kollegen reißt sich um Gabriéls Job. Die Strecke ist bei den Mitarbeitern des öffentlichen Nahverkehrssbetriebs EMT alles andere als beliebt.

Nach zahlreichen Übergriffen auf die Fahrer, bis hin zum Raub der Kasse, forderte die Gewerkschaft UGT im Spätherbst 2004 die Stadtverwaltung auf, private Sicherheitsfirmen mit dem Schutz der Fahrer zu beauftragen. Ähnlich den Air-Marshalls in den Flugzeugen.

Gabriél Reynes fährt immer noch alleine. Einen Wachmann hat er nicht an seiner Seite. Bedroht fühlt er sich nicht. „Das ist ein Job wie jeder andere. Ich respektiere alle meine Fahrgäste. Egal aus welchem Land sie kommen, welche Hautfarbe sie haben und zu welchem Zweck sie die Fahrt unternehmen”, sagt der zweifache Familienvater und Opa eines Enkels, während er sich mit der rechten Hand durch den Rauschebart fährt. Seine Drogentour gehe ihm nicht aufs Gemüt, und auch seine Scheidung nach 25 Ehejahren habe nichts mit dem Job zu tun. In der Beziehung war schon vorher der Wurm drin. „Touristen?”, lacht Gabriél schallend, „nein, Touristen verirren sich in den 18er nicht. Vielleicht einer im Jahr. Aber der merkt dann auch sehr schnell, dass er auf dem falschen Dampfer ist.” Den Respekt, den Gabriél seinen Fahrgästen gegenüber zeigt, verlangt er auch für sich. Das klappe zwar nicht immer, aber richtige Probleme habe er bislang noch nicht gehabt. Außerdem benutzten ja auch nicht nur Drogenabhängige und Dealer seinen Bus. „Es gibt durchaus auch Leute, die einer geregelten Arbeit nachgehen und auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, um dorthin zu kommen.” Die meisten fahren aber zum Einkaufen. Daraus macht auch der EMT-Fahrer keinen Hehl. In die eine und in die andere Richtung auch. „Ich weiß genau, wer in Son Banya mit Drogen einsteigt und wer nicht. Viele sind nervös und blicken unruhig nach links und rechts, wenn ich das Gas wegnehme. Die haben Schiss, dass die Polizei zusteigt.” Diese Gefahr sei jedoch gering.

Aber die Drogen werden nicht nur in eine Richtung transportiert. Nach einem Bericht der MM-Schwesterzeitung „Ultima Hora” vom Sonntag soll die Linie 18 von den Dealern auch zum Transport der Ware nach Son Banya benutzt werden.

Insgesamt zehnmal hält der Bus, bevor er auf der schäbigen Wendeplattform, keine 100 Meter vor Son Banya, den Motor abstellt. Die Kulisse ist filmreif und erinnert an einen Vorort von Beirut nach einer wüsten Straßenschlacht. Verrostete und abgefackelte Autowracks, Steine, Schutt, Müll und mehr als 100 völlig heruntergekommene Behausungen. Nicht einmal dem grasenden Pony gelingt es, der bizarren Szenerie etwas idyllisches zu verleihen.

Neun Fahrgäste sitzen im Bus. Fast alle seit der Calle Manacor. Darunter eine Frau, die offensichtlich in Son Banya wohnt. Genauso offensichtlich ist das Fahrt-Motiv der übrigen acht. Rasch verlassen sie das Fahrzeug durch die Mitteltür. Nur einer bleibt sitzen.

Noch während des Aussteigens nähert sich ein mit zwei sehr jungen Männern besetztes Fahrrad dem Omnibus. Ein Freund des etwas angeschlagenen Sitzenbleibers verhandelt mit den Radlern. 30 Sekunden später ist der Deal perfekt. Ein brauner Schein wird hin, ein Tütchen, das flugs in der Jackentasche verschwindet, zurückgeschoben.

Der Tütchenkäufer steigt durch die Vordertüre wieder in den Bus und legt 1'10 Euro für den Fahrschein auf das Kassenbrettchen. Die Jungs radeln zurück ins Getto. „Heh, was ist mit deinem Kumpel da hinten?” fragt Gabriél mit tiefer Stimme. „Aber der ist doch gar nicht ausgestiegen!” „Das ist mir egal, hier gibt es keine Rundfahrttickets.” Der alte Diesel springt schon nach dem ersten Versuch wieder an. Zwischen den Baracken hindurch rennt der Typ, der vor drei Minuten noch auf einem Einzelsitz in der Busmitte saß, dem Bus entgegen. Seine Geschäfte haben etwas länger gedauert. Gabriél öffnet ihm geduldig die Tür, setzt sein Fahrzeug in Gang, passiert eine 200 Meter weiter parkende Polizeipatrouille und stoppt kurz danach sein Vehikel. Eine Haltestelle gibt es hier nicht. Der Busfahrer geht in den hinteren Bereich des Fahrzeugs und ermahnt lautstark, mit dem Auspacken und Benutzen der Einkäufe zumindest solange zu warten, bis das Fahrziel erreicht worden ist. „In meinem Bus läuft das nicht!”, verwarnt Gabriél den Fahrgast, der sich beim fliegenden Händler mit Marihuana eingedeckt hatte und verweist kräftig gestikulierend auf die bereits offenstehende Mitteltür. „Entweder, du respektierst das, oder du fliegst raus!” Gabriéls Worte sind unmissverständlich. Und neben der Polizei möchte keiner im Bus gerne aussteigen. „Beim nächsten Mal wissen sie auf jeden Fall, dass das hier nicht läuft”, brummelt er in seinen angegrauten Bart und setzt sich wieder hinter das Lenkrad. Zwei-, dreimal pro Woche gebe es weniger Einsichtige. Ob in der Stadt oder neben dem Acker: „Dann heißt es Endstation.”