In den folgenden Wochen gingen in der Redaktion viele
Stellungnahmen dazu ein. Manche gaben Peter Maffay recht, andere
beantragten ein Redeverbot für den Rockbarden. Eine Extremposition
nahm der Spanier Juliano Montalbán Valls ein: Die Baupolitik auf
Mallorca sei ausschließlich Angelegenheit der Mallorquiner und
Spanier. „Ausländer haben sich hier herauszuhalten. Auch die hier
lebenden Deutschen.” Maffays Haltung sei gleichermaßen arrogant wie
impertinent, so Montalbán weiter. Der Musiker habe aus eigenem
Entschluss seinen Wohnsitz auf der Insel genommen. Ergo sei es
logisch, wieder zu gehen, wenn es ihm nicht mehr gefalle. „Herrn
Maffay steht sicherlich seine alte Heimat offen. Rumänien soll ja
noch recht rustikal sein”.
Eine MM-Anfrage, mit Juliano Montalbán ins Gespräch zu kommen,
blieb unbeantwortet. Sein Leserbrief hatte eine zweite Welle von
Reaktionen ausgelöst. Darin fanden sowohl Maffay als auch Montalbán
Fürsprecher.
Neben der jeweiligen Sicht der Dinge wird in den Schreiben vor
allem die Vielschichtigkeit des Themas deutlich. Es geht nicht
allein um Straßenbau und Landschaftsschutz. Es geht um die
Bewahrung der „Idylle” Mallorcas, ein emotionaler Wert, den jeder
anders interpretiert, sowie um Probleme beim Zusammenleben
unterschiedlicher Kulturen. „Viele von uns wünschen sich eine
Portion mehr an Achtung sowie die aus früheren Zeiten bekannte
Freundlichkeit und Lebensqualität zurück”, schreibt eine Leserin.
Rasch beginnen manche aufzurechnen: „Wer hat denn das Geld auf die
Insel gebracht?” Andere wiederum warnen vor deutscher
„Besserwisserei”, dem Hang zur „Angeberei und Rechthaberei”.
Und weiter geht es bei der Diskussion um Meinungsfreiheit,
Mitwirkung, Integration. Haben die Deutschen auf Mallorca das
Recht, die Pflicht, sich in Angelegenheiten der Insel
einzumischen?
„Die Deutschen sollen sich einmischen”, stellt dazu Josep Moll
Marquès, Ehrenpräsident des Deutsch-Mallorquinischen Vereins und
früherer Balearen-Politiker unzweifelhaft fest. „Wir sind in
Europa. Wer sich hier niederlässt, ist Bürger und hat das Recht,
mitzureden.”
Mehr noch als vom Recht spricht Kate Mentink von der Pflicht der
Bürger, sich einzubringen. „Jeder hier gemeldete, ausländische
Resident ist nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, sich
für seine neue Umgebung zu interessieren”, sagt die
Ehrenvorsitzende der ausländischen EU-Bürger-Vereinigung Ciudadanos
Europeos. Unabhängig vom Recht auf Mitwirkung gelte das Recht der
freien Meinungsäußerung für jedermann, sagt Mentink, die derzeit
Tourismus-Dezernentin in Calvià ist. „Jeder Tourist, der auf die
Insel kommt, hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Und uns ist es
sehr wichtig, diese Meinungen zu kennen, weil, wir leben vom
Tourismus.”
Das Recht auf Meinungsfreiheit und deren Äußerung wird von
keinem der MM-Gesprächspartner in Frage gestellt. „Claro que sí”,
sagt Tomeu Martí, Koordinator des Balearischen Kulturwerks (OCB)
auf die Frage, ob sich auch Deutsche auf Mallorca in
Angelegenheiten der Insel einbringen sollen. Die mallorquinische
Mentalität sei geprägt von den kulturellen Einträgen, die alle
Zuwanderer im Laufe der Jahrhunderte auf die Insel brachten. „Es
ist sehr positiv, dass da Leute sind, die sich so integriert
fühlen, dass sie in Sachen Umwelt– und Naturschutz mitreden
möchten”, sagt Martí.
Während die Befragten keine Zweifel am Mitwirkungsrecht der
deutschen Residenten haben, sind die auf Mallorca lebenden
Bundesbürger in diesem Punkt gespalten. „Ich fühle mich werde als
Gast noch als Ausländer. Ich bin Bewohner im Haus Europa und habe
als Bewohner Hausrecht”, sagt etwa Horst Abel, deutscher
Fleischwarenfabrikant. Als Resident habe man Pflichten, aber auch
Rechte. Er möge weder „die deutsche Überheblichkeit” noch
anbiedernde „Schleimkriecherei”. „Wenn einen der Schuh drückt, soll
man es ruhig sagen”, so Abel.
Wolf Thiele, Hobbywinzer im Norden der Insel, setzt dagegen
lieber auf Understatement: „Der Ton macht die Musik.” Thiele
beschwört das Europa der Vielfalt. Das sei, anders als in den USA,
der wahre kulturelle Reichtum. Vor diesem Hintergrund fühlt er sich
– ungeachtet aller politischen Rechte – als Gast auf der Insel. Als
solcher dürfe er sehr wohl seine Meinung sagen, habe aber zugleich
Rücksicht auf die Gastgeber zu nehmen. „Ich haue Kritik nicht mit
dem Hammer rein. Ich will die Leute doch nicht vor den Kopf
stoßen.”
Die Frage der Mitwirkung ist immer auch verknüpft mit dem Grad
der Integration der Bundesbürger in die mallorquinische
Gesellschaft. Alvaro Middelmann, neben seinem Amt als
Air-Berlin-Statthalter auch Präsident des Mallorquinischen
Fremdenverkehrsamtes Fomento del Turismo und „Europäer des Jahres
2004” sagt dazu: „Wenn hier jemand seinen Wohnsitz hat und Steuern
zahlt, hat er die gleichen Rechte wie alle. Und als EU-Ausländer
steht ihm darüber hinaus auf lokaler Ebene das passive wie aktive
Wahlrecht zu.”
Für Kate Mentink gehört für ausländische Residenten, so sie
integriert sein wollen, mehr dazu als nur Wohnsitz, Steuerpflicht
und Wahlrecht: Sie sollten sich für Geschichte und Kultur ihrer
neuen Heimat interessieren und zumindest einige Worte der
Umgebungssprache beherrschen, sagt die Britin.
Auch der OCB-Sprecher Tomeu Martí fordert Verständnis für die
Inselkultur. „Wer sich integrieren will, sollte die Sprache hier
(gemeint ist Mallorquín) zumindest verstehen. Wir können
nachvollziehen, dass es für Neuankömmlinge zunächst nicht vorrangig
ist, Mallorquín zu erlernen, aber wer dauerhaft hier leben will,
sollte sich mittelfristig Kenntnisse der Inselsprache aneignen.”
Unabhängig von seinen Sprachkenntnissen habe jeder Resident sehr
wohl das Recht, sich in Inselangelegenheiten einzubringen, betont
Martí. „Wir leben in einer globalisierten Zeit. Wenn Karikaturen in
Dänemark weltweit solche Auswirkungen haben, dann geht ein Attentat
auf die Umwelt der Insel ganz Europa etwas an.”
In der Sache selbst sehen viele Befragte den Straßenausbau so
kritisch wie Maffay. „Wir haben auch deutsche Mitglieder. Sie sind
in Umweltfragen sehr sensibilisiert”, sagt der Sprecher der
Naturschutzorganisation GOB, Miquel Angel March. Die Umweltgruppe
habe von den deutschen Residenten eher Unterstützung als Ablehnung
erfahren. „Wenn uns Deutsche kopfschüttelnd fragen, wie kann es
angehen, dass in einem Naturschutzgebiet gebaut wird, können wir
ihr Unverständnis nur teilen.” Es sei schwer zu vermitteln, dass
auf der Insel manches anders laufe. „Die Tatsache, dass es Gesetze
gibt, heißt nicht, dass sie auch umgesetzt werden.”
Besteht nicht die Gefahr, dass die deutschen Residenten rasch
als Besserwisser dastehen, wenn sie sich in die Tagespolitik der
Insel einbringen? „Ich habe kaum Kontakt zu Deutschen, aber
diejenigen, die mit uns gegen das Autobahnprojekt Inca-Manacor
protestierten, waren alles andere als überheblich”, sagt Miquel
Gelabert von der Plattform „Autovía No” in Sineu. Die Deutschen
erschienen ihm mindestens so empört wie die eigenen Landsleute.
„Vielleicht, weil sie in ihrer Heimat bereits ähnliche Erfahrungen
mit Naturzerstörung gemacht haben.”
Ein anderes Thema, bei dem deutsche Residenten häufig aktiv
werden, ist der Tierschutz. Hier war den Insulanern in der
Vergangenheit wiederholt ein wenig verfeinerter Umgang mit den
Tieren vorgeworfen worden. Alvaro Middelmann macht in diesem
Zusammenhang unterschiedliche kulturelle Hintergründe aus. Es gebe
Spanier, die Stierkampf mögen, und andere, die ihn ebenso
ablehnten. „Aber das Bewusstsein für Tierschutz hat sich in den
vergangenen 20 Jahren gewaltig gewandelt.” Auch in Sachen
Umweltschutz, Abfallsentsorgung, Wasseraufbereitung habe es viele
positive Entwicklungen gegeben. „Hier ist viel von Nordeuropa
übernommen worden.” Gerade dieser Wandel sei am „Modell Mallorca”
so spannend zu beobachten.
Pilar Arnau, die lange Zeit in Deutschland im Auftrag der
Inselregierung die Verbreitung der balearischen Literatur
organisierte, lehnt Pauschalisierungen, wie sie teilweise in den
Leserbriefen zu finden sind, strikt ab. Dennoch die Frage: Geben
sich die Deutschen auf Mallorca überheblich? „Derjenige, der viel
Geld hat, ist meist der Besserwisser – so wie die Spanier in
Marokko.” Am Integrationswillen der meisten Bundesbürger hegt sie
gleichwohl Zweifel. „Es lässt sich gut leben in den deutschen
Ghettos auf der Insel. Viele haben gar keine Lust, eine fremde
Sprache zu erlernen.”
„Es gibt schon Deutsche, die die Stimmung hier arg versauen”,
meint in diesem Zusammenhang auch Wolf Thiele. Alvaro Middelmann
glaubt, dass es seit der unglücklichen Äußerung vom „17.
Bundesland” sowie der Schnappsidee zweier CSU-Hinterbänkler Anfang
der 90er Jahre, Mallorca zu kaufen, gewisse Berührungsängste
seitens der Mallorquiner gebe.
Aber inwiefern sind die Ansichten Julianos Montalbáns
charakteristisch für die Inselbewohner? Tomeu Martí vom OCB
schätzt, dass möglicherweise die Hälfte der Mallorquiner der
Ansicht sei, Ausländer sollten sich in die Belange der Insel nicht
einmischen. Josep Moll wiederum glaubt, Montalbán vertritt den
Standpunkt eines Einzelnen. Der Leserbriefschreiber sei in seiner
Überheblichkeit ebenso zu kritisieren wie jeder andere überhebliche
Mensch, „egal ob Mallorquiner, Deutscher, Österreicher, Schweizer
oder was auch immer.”
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