Obwohl er sich an viele Begebenheiten seiner Kindheit und
illustre Gäste im Hause seiner Eltern nicht erinnern kann, gibt es
unübersehbare Parallelen im Leben von Tomás und dem seines Vaters,
des Dichters Robert Graves (1895–1985), der vor fast genau 20
Jahren – am 7. Dezember – in Deià starb. Eine der auffälligsten:
Tomás ist der achte Sohn, genau wie sein Vater, der an achter
Stelle in der Geschwisterreihe stand. Geboren wurde Tomás Graves
1953 in Palma, nachdem seine Familie ein Jahr zuvor ihr Haus in
Deià verlassen hatte, weil seine Geschwister zu alt für die dortige
Grundschule geworden waren und in Palma umgeschult werden sollten –
noch ein Parallele.
Vor knapp zwei Jahren verließ auch Tomás Graves mit seiner Frau
Carmen und Tochter Rocío sein Domizil in Deià, damit die inzwischen
18jährige Tochter in Palma ihren Schulabschluss machen kann.
Was natürlich nicht heißt, dass er Deià nun den Rücken gekehrt
hätte, zu eng ist auch seine persönliche und künstlerische Bindung
zu dem traditionsreichen Bergdorf in der Tramuntana. Dessen
Eroberung durch Aussteiger, Künstler und Avantgardisten begann
bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem
österreichischen Erzherzog Ludwig Salvator.
Auch Robert Graves fand in seinem 1932 gebauten Haus am
Ortsausgang von Deià „sein Paradies”, nachdem er England 1929
gemeinsam mit der amerikanischen Schriftstellerin Laura Riding für
immer verlassen hatte. Um das Graves-Domizil und seine prominenten
Gäste ranken sich seither Legenden: Alec Guiness war dort, genauso
wie Peter Ustinov, der junge Gabriel Garcia Marquèz und Ava
Gardner, zu deren Bewunderern Robert Graves sich zählte.
Tomás kann sich an den Besuch der Filmdiva zwar persönlich nicht
erinnern, aber: „Ich habe sie viele Jahre später, 1985, bei der
Beerdigung meines Vaters kennengelernt,” erzählt der 52jährige.
Der Autor, Musiker (er spielt Bassgitarre in seiner Band „Pa Amb
Oli” in Deià) und Buchdrucker (wie sein Vater) würde sich zwar
„nicht als Künstler bezeichnen”, als Chronist hat er sich jedoch
schon mehrfach betätigt, um die Geschichte Deiàs, das
Zusammentreffen der verschiedenen Kulturen dort mit seinen eigenen
Erfahrungen und Erlebnissen zu verknüpfen.
Gerade erschien sein englischsprachiges Buch „Tuning up at Dawn.
A Memoir of Music and Majorca”, in Neuauflage: ein liebevolles
Inselporträt, in dem sich Tomás Graves auf Spurensuche begibt:
„Deià war immer ein Anziehungspunkt für Exzentriker”, sagt er.
„Erstens war es billig, und zweitens waren die Mallorquiner
diskrete Insulaner wie die Briten. Sie wussten, was in den Häusern
vor sich ging, die sie den Europäern vermietet hatten, mischten
sich aber nie ein.”
Nach der Franco-Ära habe es – als Reaktion jahrelanger
Unterdrückung der eigenen Kultur – eine gewisse Abgrenzung
gegenüber Einflüssen von außen gegeben. Diese Abwehrhaltung habe
sich inzwischen ins Gegenteil verkehrt, wie man auch am Erfolg des
Kulturevents „Tertúli Deià” feststellen könne, das in diesem Jahr
schon zum zweiten Mal stattfand.
Als mallorquinischer Ableger des „Hay Festivals”, eines der
bedeutendsten Literaturtreffen in England, versteht sich das
Kulturfest als internationaler Treffpunkt von Künstlern aus
unterschiedlichen Genres wie Literatur, Musik und Film. Als einer
der Hauptinitiatoren sieht Tomás Graves in „TertúliUDeià” ein
Forum, „das alle Menschen mit allen Stimmen der Kunst ansprechen
soll”.
2006 werden die Dichterlesungen in Originalsprache – in
Russisch, Japanisch, Französisch und Katalan – wieder einen
besonderen Schwerpunkt bilden. Zum einen, weil sie in diesem Jahr
beim Publikum so gut ankamen, zum zweiten, weil „sie Deiàs
ureigenen Charakter widerspiegeln”, findet Tomás Graves. „Selbst
wenn man die einzelnen Worte nicht versteht, kann man sich
emotional einfühlen.”
Natürlich sei die Zeit auch an Deià nicht spurlos
vorbeigegangen, antwortet Tomás Graves auf die Frage nach der
Entwicklung des Ortes weg vom ideellen Kultur- hin zum lukrativen
Touristen- und Residentenmagneten, was zunehmend beklagt wird:
„Das passiert immer wieder und überall auf der Welt nach dem
Motto: Geld sucht Seele.” Ganz Mallorca trage in den letzten sechs
oder sieben Jahren zunehmend eine materialistische Handschrift,
findet Tomás Graves, Konsum und Kommerz bestimmten das
Lebensgefühl: „Leider können Spekulanten hier zur Zeit mit mehr
Toleranz rechnen als Künstler.”
Aber weder die Insel als ganzes, noch Deià als ein wichtiger
Teil von ihr, werde dadurch das Gesicht verlieren, davon ist Tomás
Graves überzeugt: „Deià hat so viel positive Energien absorbiert.
Und inzwischen ist auch eine dritte Generation nachgewachsen, die
den Ort mit neuen Ideen und spiritueller Energie belebt.”
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