Mallorcas Straßen sind wie Lakritze. Nicht nur, weil sie sich
gleich einem Band in der weiten Landschaft verlieren, mit ihrem
geteerten Belag, den ein deutscher Autohersteller bei der
Präsentation seiner Luxuslimousinen auf der Insel einmal als
„lecker Asphalt” lobte. Die Straßen lassen sich scheinbar auch wie
Lakritze in die Breite und Länge ziehen, ganz nach Belieben der
Straßenbauer auf der Insel.
Wenn die Balearen-Regierung und der mallorqinische Inselrat
etwas können, dann ist das Straßenbau. Wer derzeit über die Scholle
des Eilandes fährt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass
sich nahezu die ganze Insel in eine einzige Straßenbaustelle
verwandelt hat. Und die Bagger und Bulldozer legen ein Tempo vor,
bei dem selbst ein Rennwagen nicht mithalten kann.
Während sich in Deutschland ein Straßenbau-Projekt wegen
Einsprüchen und Finanzlöchern jahrzehntelang hinzieht, hat die
Insel-Regierung nach ihrem Wahlsieg im Sommer 2003 unverzüglich die
Schaufeln ausgepackt und mit der Arbeit begonnen. Die Liste der
Bauvorhaben war Teil des Wahlprogramms, die Wähler stimmten
mehrheitlich für breite Straßen – auch wenn sie die
Regierungsparteien vielleicht aus ganz anderen Motiven gewählt
hatten.
Die Pläne für die Bautrupps lagen indes in den Schubladen
bereit. Selbst der später ausgebrochene Streit ums Geld – in Madrid
waren zehn Monate nach dem Wahlsieg der Konservativen in Palma die
Sozialisten ans Ruder gelangt – konnte die mit Vollgas betriebene
Baudynamik auf der Insel kaum ausbremsen.
Heute schon, noch eineinhalb Jahre vor den nächsten
Regionalwahlen, sind wichtige Posten des Bauprogramms verwirklicht:
Die Autobahn Palma-Inca wurde bis zum Gewerbegebiet Alcampo mit
einer dritten Fahrspur in jede Richtung verbreitert, die
Flughafen-Autobahn verlängerte sich bis nach Llucmajor, wo sie den
Ort per Südvariante umgeht, in Inca wurde vor vier Wochen die neue
Ringautobahn für den Verkehr freigegeben.
Damit nicht genug, wird an nahezu allen Ecken und Enden
weitergewerkelt, um das Straßennetz mit Stahlbeton und
Asphaltpisten für die Zukunft zu zementieren. „Wir errichten die
Infrastruktur für die kommenden 50 Jahre”, fasste die balearische
Verkehrsministerin Mabel Cabrer das Bauprogramm einmal in
Worte.
Die Kosten für die Maßnahmen gehen in die Hunderte von Millionen
(siehe Kasten) und sind im Haushalt als Kredite ausgewiesen.
Derzeit werden die Arbeiten – die für spanische Verhältnisse
bemerkenswert im Zeitplan liegen – unter anderem an der Strecke
Inca-Sa Pobla vorangetrieben.
Der zehn Kilometer lange Abschnitt, der einmal wie eine Autobahn
aussehen soll, kostet knapp 50 Millionen Euro. Wo früher die
Landstraße an Eichenwäldern, Kartoffelfeldern und Orangenhainen
entlangführte, klafft in breiter Schneise rotbraune Erde.
Wüst sieht es insbesondere im Raum Campanet aus. Hier haben
Bürger die meisten Proteste gegen die als überdimensioniert
empfundenen Gewerke für die Ausfahrten vorgebracht. Immerhin, und
dass grenzt fast an ein Wunder, ist es den Planern gelungen, die
altehrwürdigen Platanen kurz vor dem Kreisel Sa Pobla-Pollença zu
bewahren. Diese letzten versprengten Exemplare einer Allee haben
bislang alle Ausbaupläne überlebt. Früher sollen sämtliche Esel–
und Trampelpfade, die auf der Insel über Land führten, beidseitig
von Platanenreihen gesäumt gewesen sein.
Es gibt Menschen, die halten den Ausbau des Straßennetzes in
dieser Form für vollkommen überzogen. Wo noch kürzlich ein kleiner
Abzweig von der Landstraße wegführte, muss im Zuge des Ausbaus
extra eine Autobahn-Ausfahrt angelegt werden. Beispiel? Die
Ausfahrt 18, Son Granada, an der Autobahn Llucmajor führt zu einem
privaten Feldweg.
Es sind nicht wenige, die in den Bau-Maßnahmen auf der Insel
einen Verlust an Landschaft, Natürlichkeit, Maßhaltigkeit und
Lebensqualität beklagen. Es gibt sogar jene, die bei ihren Fahrten
über die Insel bewusst Umwege in Kauf nehmen, um nicht mehr die als
Zerstörung empfundene Modernisierung erblicken zu müssen.
Straßen wie Lakritze, für die einen bitter, für die anderen süß.
Lob für die Rasant-Pisten kommt mitunter von ganz unerwarteter
Seite: Es gibt Radfahrer, die freuen sich über den Ausbau. „Dann
fahren all die Penner über die Autobahn, und wir Radler haben die
Landstraßen wieder ganz für uns.”
Auch die Immobilienhändler können der Entwicklung Positives
abgewinnen. Die neuen Schnellstraßen verkürzen die Fahrtzeit von A
nach B, vom Flughafen oder von Palma aus in den nach wie vor
idyllischen Norden der Insel. Die Preise für nette Häuschen dort
zogen bereits an. Das ist wie damals in Sóller, als der Autotunnel
die Anfahrt in das abgelegene Tal stark verkürzte.
Autobahnen gelten im Vergleich zu Landstraßen als sichere
Verkehrswege. Die hohe Zahl von Unfalltoten ist ein gewichtiges
Argument für die Ausbau-Befürworter, auch wenn Tote hin und wieder
auf Autobahnen zu beklagen sind.
Wie immer man zu dem intensiven Ausbau des Verkehrswegenetzes
stehen mag – Mallorca wird nach dieser Legislaturperiode nicht mehr
das sein, was es einmal war.
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