,,Diese Serie, also, die hab ich nur einmal gesehen. Die war mir
einfach zu unrealistisch", verzieht der gebürtige Argentinier das
Gesicht. Kurz vor neun fängt seine Strandroutine an. Er
kontrolliert die Wasser-Strömung (an diesem Tag hisst er die grüne
Flagge) und hängt die Rettungsringe an den Strandabschnitten auf.
So langsam erheben sich die kurz zuvor noch dezent schnarchenden,
rotäugigen Überlebenden der vergangenen Nacht aus den
Liegestühlen.
Die Sonne scheint noch nicht grell, die Putzkolonne sammelt
Kippen, Kondome & Co. ein. Die Bucht - fast noch menschenleer.
Juan Pablo bezieht Quartier auf dem Turm in der Strandmitte, sein
Kollege Toni bleibt als Patrouillen-Gänger unten. 10.05 Uhr: mehr
als 50 Menschen strömen auf einmal an den Strand. Keine Kunden. Die
Touristen machen eine Bootsfahrt. 10.20 Uhr: Die nächste grosse
Gruppe kommt an. eine Lehrerin mit ihren Erstklässlern. Die bleiben
aber abseits des Wassers - keine potentielle Einsatz-Quelle.
Seit sieben Jahren arbeitet Juan Pablo als ,,Socorrista". Von
Mai bis Oktober auf Mallorca (Magaluf und Palmanova), den Rest des
Jahres, wenn auf der anderen Seite der Erdhalbkugel Sommer ist, in
Mar del Plata in Argentinien. ,,Das Schlimmste an unserem Beruf,
das sind die Toten. Die vergisst man einfach nicht", erzählt er.
Wie der Rentner, der kerngesund ins Wasser stieg und plötzlich
einen Herzinfarkt bekam. ,,An so etwas gewöhnt man sich nicht.
Dabei gibt es in jeder Saison einige".
11.20 Uhr: An den Strand-Bars tanken die ersten Urlauber
auf. ein Gläschen Sangría hier, ein Bierchen da. ,,Wenn jemand zu
betrunken ins Wasser will, dann halten wir ihn auf. Wenn er sich
trotzdem weigert, rufen wir die Polizei", erzählt der
,,Socorrista". Der Dialog mit den Angetrunkenen - teilweise
schwierig, aber nur in Ausnahmefällen aggressiv.
11.40 Uhr: Juan Pablo überlässt den Turm einem Kollegen,
schwimmt einmal quer durch die Bucht: ,,Das ist Training und
Kontrolle zugleich."
Das meiste passiert in Magaluf an Land. ,,Oft handelt es sich um
Leute, die zu lange in der Sonne waren, sich schwindelig fühlen.
Manchmal gibt es hier auch Probleme mit Quallen", berichtet der
Argentinier. ,,Hier in Magaluf ist das Meer sehr friedlich. In
Argentinien müssen wir jeden Tag vier bis fünf Leute aus den
Strömungen ziehen.”
Mindestens drei Liter Wasser trinkt der Rettungsschwimmer
während des Tages, trägt gegen die prallen Strahlen Sonnenbrille
und -kappe, schützt seine Haut mit Lichtschutzfaktor 30. „Wir
können es uns nicht erlauben, bei der Hitze bematscht zu
werden.”
Kurz nach 12 Uhr schaut Kollege Angel Pereal Séller vorbei. Er
kontrolliert auf dem Jet-Ski die Bucht vom Wasser aus, Juan Pablo
ist mit drei anderen Kollegen für den Strand verantwortlich. „Ich
bin meistens der erste, der draußen bei den Leuten ist, die Hilfe
brauchen. Unser Arbeitstag ist pures Adrenalin. Jedes Mal, wenn
über Funk etwas kommt, schlägt mein Herz schneller”, erzählt Angel.
„10 5 Rescate” ist der Alarm-Code – Menschenleben in Gefahr! „Ich
mach' das jetzt seit Jahrzehnten. Aber ich bin immer noch total
ausgepowert im Kopf, wenn ich nach Hause komme. Wir haben eben eine
große Verantwortung”, sagt Angel. Kurz zuvor hat er einen Rentner
aus dem Meer geholt. „Er hatte einen Krampf im Arm, kam nicht mehr
richtig vorwärts.” Über Funk stehen die Rettungsschwimmer in
Kontakt, holen sich so auch nur mal eben einen Ersatzmann, wenn sie
auf Toilette müssen.
13.10 Uhr: die erste Aufregung am Strand. Ein radelnder
Polizist bläst aufgeregt in seine Trillerpfeife. Kein Schwimmer in
Not – aber ein illegaler, fliegender Händler am Strand. Statt
weiter kaltes Wasser zu verkaufen, muss der junge Mann sich jetzt
vor der Polizei verantworten. (Was ihn übrigens nicht davon abhält,
drei Stunden später wieder mit Wasserflaschen aufzutauchen.)
13.24 Uhr: Wieder schreckt die Polizei die in der
Mittagshitze dösenden Strandgäste hoch. Zwei Fahrrad-Polizisten
jagen eine „wilde” Melonen-Verkäuferin. Die Frau entkommt, ihre
Melonen werden von der Polizei konfisziert. 14 bis 15 Uhr: Juan
Pablo hat Mittagspause. „Wir arbeiten sechs Tage die Woche, von 9
bis 19 Uhr. Jeden Tag haben wir eine Stunde Pause. Die nehmen wir
immer getrennt, weil der Strand ja besetzt sein muss.” Gut 1000
Euro netto verdient ein „Socorrista” übrigens.
Nach der Pause ist er für den linken Strandabschnitt zuständig.
„Hier ist es meistens ruhiger. Nur im Juli, August wird es auch
hier richtig hektisch. In der Hochsaison gibt es überall viel zu
tun.”
Kurz nach 16 Uhr: Ein junger, angetrunkener Engländer liegt
bleich auf dem Boden. Er hat sich beim Fußballspielen am Strand
verletzt. Seine Freunde informieren die Strandwächter. Die rufen
die Ambulanz, legen dem Verletzten kühlendes Eis aufs Bein. „Wir
haben eine Erste-Hilfe-Ausbildung”, erklärt Juan Pablo. Der Leiter
des Zivilschutzes Calvià kommt hinzu, außerdem zwei lokale
Polizisten. Kurz nach 16.30 kommt die Ambulanz. Zwei andere
Engländer halten ihrem Kumpel Händchen, zutzeln nervös an der
Zigarette. Erste Diagnose: Beinbruch. Die Sanitäter packen das Bein
des Engländers in eine Kompresse. Transportieren ihn unter großem
Gejohle und Beifall der anderen Strandgäste in den Rettungswagen.
Der Verletzte kommt ins Krankenhaus, seine Freunde tanken auf den
Schrecken erst mal in der Strandbar nach.
Juan Pablo muss sich um seinen nächsten Fall kümmern. Ein
Motorboot kreuzt unerlaubterweise durch die mit Bojen abgetrennte
Schwimmzone am Strand. Er schaltet die Guardia Civil ein. 17.30
Uhr: Eine dunkelhaarige Strandschönheit buhlt mit einem aufwendigen
Bikini-Oberteil-Anzieh-Programm um die Aufmerksamkeit der
Strandwärter. Die reagieren gar nicht. „Wir müssen uns auf unsere
Arbeit konzentrieren. Wir tragen Verantwortung”, hatte Juan Pablo
schon vorher erklärt.
18.30 Uhr: Die Brünette im schwarzen Bikini hat
aufgegeben. Der Strandtag neigt sich für Juan Pablo dem Ende zu.
Die Rettungsringe werden eingesammelt, der Motor vom gelben
Plastik-Rettungsboot wieder eingeschlossen. Der Bericht des Tages
muss noch geschrieben werden. „Heute war es ja echt ruhig. In
unserem Job ist es ja eigentlich gut, wenn wenig zu tun ist”,
sinniert er. Und weiter: „Weißt du, ich liebe meine Arbeit. Ich bin
den ganzen Tag am Strand, sehe das Meer. Wer kann das schon von
sich sagen ...”
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