Wie ein Wärter schreitet der Besucher des städtischen Tierheims
Son Reus bei Palmas Müllkippe die Käfige ab: immer 20 in einer
Reihe, 150 Zellen insgesamt. Und in jeder eine Kreatur, die mit
treuen, traurigen oder panischen Augen durch die Stäbe lugt, fast
so als wüsste sie, was hier läuft. Der Reihe nach brechen sie in
Gekläffe und Gekreische aus. Hört sich so an wie: „Nimm mich, nimm
mich, nimm mich!!!!”. Manche strecken verzweifelt ihre Pfoten durch
das Gitter: „Kannst du mich nicht wenigstens ein bisschen
streicheln?”.
Nummer 73 bleibt apathisch in der Ecke sitzen: „Wieder einer,
der nur gafft und dann einfach weitergeht.” Der Besucher will bei
jedem stehen bleiben, ein paar dumme Worte sagen und ein bisschen
Wärme durch die Gitter abgeben. Nach der ersten Reihe gibt er es
auf, die Schritte werden schneller.
Pedro Morell hat keine Zeit für diese Art von Mitleid: Der
Tierarzt leitet das städtische Auffanglager für die verlassenen und
ausgestoßenen Haustiere. „Ich muss die richtigen Entscheidungen
treffen. Da muss der Verstand herrschen und nicht das Herz.”
Einfach ist sein Job nicht: In diesem Jahr wurden bis zum 30.
Oktober 3556 Hunde und Katzen eingeliefert, 378 davon waren
Kadaver. 776 wurden von neuen Besitzern adoptiert. 328 waren
entlaufen und wurden von ihren Besitzern abgeholt. 253 starben an
natürlichen Ursachen und 1782 Tiere wurden getötet. „Es stimmt,
dass wir viele Tiere opfern müssen. Wir sollten die Zahl
reduzieren”, sagt Pedro Morell. Das „Centre Sanitari Municipal de
Protecció Animal Son Reus”, wie das Tierheim offiziell heißt, sei
dazu da, um den Tieren zu helfen, betont er.
Viele Bürger halten das Wort „Protecció” (Schutz) allerdings für
Augenwischerei: Was dort passiere, sei skandalös, sagte unlängst
eine Tierschützerin. In Son Reus hätten die Tiere keine Chance, sie
würden grausam durch Vergasung getötet. Selbst hat sie sich noch
kein Bild gemacht vom „Feind”: „So viel Elend würde ich gar nicht
ertragen.”
„Wir müssen etwas für unser Image tun”, sagt Pedro Morell. In
den vergangenen 25 Jahren seit Gründung des Zentrums habe sich viel
geändert, manches könne noch verbessert werden, zum Beispiel durch
die geplante Erweiterung der Anlage. Von einer Vergasung der Tiere
könne keine Rede sein: Die Todeskandiaten kriegen zuerst eine
Beruhigungsspritze, und dann eine tödliche Überdosis eines
Betäubungsmittels.
Das Schicksal eines eingelieferten Hundes hänge von vielen
Faktoren ab: Gesetzlich vorgeschrieben ist eine
Mindestunterbringung von 21 Tagen, falls das Tier keinen
Identitätsnachweis hat. Wurde ein Hund vom Besitzer nach Son Reus
gebracht, weil er aggressiv war und jemanden gebissen hat, sei die
Mindestdauer 15 Tage, bevor er getötet werden kann.
„Die gesetzlichen Mindestbestimmungen wenden wir nach
Möglichkeit nur auf Tiere an, die chronisch krank, aggressiv sind
oder einer potentiell gefährlichen Rasse angehören, für die der
Halter eine Lizenz braucht. Diese Tiere sind in der Praxis nicht
vermittelbar. Wenn kein Platz mehr ist und neue Tiere nachrücken,
werden sie als erste geopfert. Hätten wir mehr Käfige, hätten wir
auch mehr Zeit, um andere Lösungen zu finden.”
Vermittelbare Tiere versuche man, so lange wie möglich zu
halten. Die besten Chancen auf ein langes Leben haben Hunde mit
Chip: Zuerst muss das Tierheim versuchen, den Besitzer zu
verständigen. „Viele sind nicht auffindbar, weil sie weggezogen
sind oder weil das Tier an einen neuen Besitzer abgegeben wurde,
die Daten aber nicht geändert wurden. Der Chip funktioniert dann
gut, wenn der Hund verloren ging und die Familie ihn wieder zurück
will.”
Ist das im Chip aufgeführte Herrchen telefonisch nicht
erreichbar, werden zwei Briefe an ihn verschickt. Dann muss der
Fund im öffentlichen Verlautbarungsorgan der Balearen (BOCAIB)
mitgeteilt werden: „Das Ganze dauert zwei, drei Monate.
Interessieren sich in dieser Zeit Adoptivfamilien für den Hund,
kommen sie der Reihe nach auf eine Warteliste.
Mit ein bisschen Glück findet sich ein geeignetes Tier auch auf
Anhieb. Die Kosten sind im Vergleich zu privaten Tierheimen
minimal: Es fallen maximal 26 Euro für Chipimplantation und Impfung
an, sofern das Tier noch keine hatte. Auch eine Kastration wird auf
Wunsch zum Selbstkostenpreis durchgeführt: für 40 Euro.
Hilfe bei der Vermittlung von Tieren sei ihm willkommen, so
Pedro Morell. Er müsse allerdings nachvollziehen können, was mit
den Tieren passiert: „Es bringt nichts, wenn die Hunde abgeholt
werden und nachher wieder auf der Straße landen.”
Auch mit privaten Organisationen in Deutschland könne er nicht
zusammenarbeiten, weil die Kontrolle über den Verbleib der Hunde
nicht gewährleistet sei. „Ich frage mich, wo all die Hunde bleiben,
die von Spanien, Griechenland und sonstwo nach Deutschland gehen.”
Er habe versucht, eine öffentliche Tierschutzeinrichtung in
Deutschland zur Zusammenarbeit zu finden. Doch die winkten ab: Man
habe genug eigene Sorgenkinder.
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