Hormone im Fleisch, Gift im Fisch, Rinderwahnsinn, Schweinepest,
Hühnergrippe und Genmanipulation in der Landwirtschaft: Europas
Verbraucher sind angesichts immer neuer Schreckensmeldungen aus
Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie beunruhigt. Jüngstes
Beispiel: Wissenschaftler warnen vor häufigem Konsum von mit Dioxin
belastetem Lachs. Die in der Zeitschrift „Science” veröffentlichte
Studie machte Schlagzeilen, dabei ist laut dem balearischen
Wissenschaftler Andreu Palou schon seit Jahren bekannt, „dass ein
großer Teil der Europäer täglich eine höhere Dosis an Dioxin zu
sich nimmt als das empfehlenswert wäre”.
Andreu Palou, international renommierter
Ernährungswissenschaftler mit Lehrstuhl an der Balearenuniversität,
kann die Verbraucher einerseits beruhigen: „Nirgendwo anders auf
dem Planeten werden Lebensmittel so gut kontrolliert wie in Europa.
Wir sind privilegiert.” Nicht zuletzt die BSE-Seuche habe eine
extrem gute Transparenz der Herkunft und des Entstehungsweges von
Lebensmitteln nach sich gezogen. „Wenn irgendwo ein Problem
auftritt, kann es schnell lokalisiert werden.”
Allerdings sind manche Probleme weder auf lokaler noch auf
europäischer Ebene zu lösen: Der Dioxin-Gehalt in Zuchtlachs ist
nur die Spitze eines Eisbergs, der sich auf die ganze Erdkugel
ausdehnt. Bereits Ende Mai 2001 schlug die Komission der
Europäischen Union, in der Palou mitarbeitet, Alarm wegen des hohen
Dioxin-Gehalts in fettreichen Fischen. Ihre tägliche Dosis Dioxin
erhalten die Europäer nicht nur durch den Konsum von Lachs, sondern
auch durch andere belastete Lebensmittel.
„Der Artikel, der jetzt in der Zeitschrift Science erschienen
ist, ist wichtig, weil er die Futtermittel als Ursache für die
Anreicherung von Dioxin im Lachs nennt”, so Palou. Die Folge
müssten schärfere Kontrollen in diesem Bereich sein. Doch sei die
Anreicherung von Dioxin in Lebensmitteln ein generelles Problem,
das nur auf globaler Ebene gelöst werden kann. EU-weit habe man in
einigen Ländern bereits auf die Warnungen der Wissenschaftler
reagiert und mit der Aufrüstung von Filtern in Fabriken und
Müllverbrennungsanlagen begonnen, um den Gift-Ausstoß zu
verringern. Spanien sei nicht unter den Vorreitern in Sachen
Umwelt– und damit Verbraucherschutz. Eine Verschärfung des Problems
sei durch die Industrialisierung von bislang unterentwickelten
Ländern zu erwarten, wenn es nicht gelingt, weltweit die Emission
einzudämmen.
Der Verzicht auf einzelne, stark belastete Lebensmittel wie
Fisch ist nach Ansicht von Palou für den Verbraucher nicht die
Lösung: „Man muss Nutzen und Risiken für die Gesundheit abwägen. Im
Fisch ist eine ganze Reihe von wertvollen Inhaltsstoffen
enthalten.” Der Verzehr von Seefisch gilt durch seinen Gehalt an
Jod, Selen und mehrfach ungesättigten Fettsäuren als
gesundheitsför- dernd.
Je nach Fischart werden verschiedene Gifte besonders stark
angereichert. Während fetthaltige Fische wie Lachs und Thunfisch
eher Dioxin enthalten, nehmen sie weniger Schwermetalle auf als
andere. Vor allem große Seefische, die am Ende der Nahrungskette
stehen, sind in der Regel stärker mit Quecksilber belastet.
Die Rückstandsgehalte werden durch die Fischart, ihren Stand in
der Nahrungskette, den Fangplatz, den Fettgehalt und den
biologischen Zyklus der Fische beeinflusst. Mit zunehmendem Alter
der Fische konnte nach Informationen des deutschen
Verbraucherministeriums eine Anreicherung mit Schadstoffen
festgestellt werden. Insbesondere die unterschiedliche Belastung
der Lebensräume der Fische könne erheblichen Einfluss auf ihre
Rückstandsgehalte haben. Im Falle von Dioxin ist laut Palou vor
allem der Norden Europas betroffen. Im Mittelmeer sei die Belastung
mit Dioxin nicht so hoch.
Was Zuchtlachs anbelangt, so rät Palou von einem
„kontinuierlichen” Verzehr ab. Ansonsten empfiehlt er, den
Speiseplan möglichst breit zu fächern, „um möglichst viele
Nährstoffe aufzunehmen und Exzesse an Giftstoffen zu
verhindern”.
Die Empfehlung einer bestimmten Speisefolge mit Mengenangaben
will der Ernährungsexperte den Verbrauchern nicht mit auf den Weg
geben.
Noch nicht. Denn in diesem Jahr hat die Europäische Union ein
Forschungsprojekt in Gang gesetzt, das sich unter anderem mit der
Optimierung des individuellen Speiseplans beschäftigt: Zur
Erstellung der persönlichen Ernährungsrichtlinien werden nicht nur
Geschlecht, Lebensabschnitt und Tätigkeiten, sondern auch
genetische Faktoren mit einbezogen. Die Wissenschaftler aus 22
Ländern, die unter Federführung von Andreu Palou bis zum Jahr 2011
an gemeinsamen Projekten arbeiten, beschäftigen sich auch mit
Forschung im Bereich der Lebensmittel-Industrie. Laut Palou könnten
sogar ganz neue Produkte daraus entstehen.
Auch wenn viele Verbraucher neuen Technologien und Erfindungen
in der Regel kritisch gegenüberstehen, hält der Wissenschaftler das
Streben nach neuen, besseren Lebensmitteln für wichtig. In Europa
gebe es derzeit ein ausgewogenes Verhältnis von Verbraucherschutz
und Freiheit für wissenschaftliche und wirtschaftliche
Initiativen.
Die Vision eines künftigen optimalen „Futtermittels” für
Menschen nach allen Regeln der ernährungswissenschaftlichen Kunst,
hält Palou für wenig realistisch, auch wenn es im Bereich des
Machbaren wäre. „Die Menschen wollen beim Essen Vielfalt. Daran
wird sich auch in Zukunft nichts ändern.”
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