Man stelle sich vor, man ist krank und keiner schert sich drum.
Eine grauenhafte, aber durchaus realistische Vorstellung, vor
allem, wenn man ans Alter denkt. Wer nicht rechtzeitig vorsorgt,
hat später das Nachsehen. Das gilt wohl besonders für Menschen, die
im Ausland leben und weder in dem einen noch in dem anderen Land so
richtig integriert sind. Mallorca ist bekanntlich beliebter
Alterssitz für Menschen aus Deutschland (und anderen Ländern). Sie
genießen das Privileg des „sonnigen Herbstes”, das allerdings mit
zunehmenden gesundheitlichen Problemen Schattenseiten
entwickelt.
Senioren auf Mallorca, die in Deutschland Rente beziehen, sind
im Vergleich zu Rentnern in Deutschland schlechter dran: Sie haben
seit Ende 1998 zwar das Recht, Pflegegeld zu beantragen. Sie haben
aber nach wie vor nicht die Möglichkeit, so genannte
Pflegesachleistungen abzurechnen. Für diese Alternative liegen die
Sätze in Deutschland wesentlich höher. Im Gegensatz zum Pflegegeld
wird es nicht an den Pflegebedürftigen oder seine Angehörigen
ausbezahlt, sondern er kann damit die Dienste von professionellen
Pflegern abrechnen.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs,
Pflegegeldleistungen auch in den EU-Wirtschaftsraum zu exportieren,
schossen die professionellen ambulanten Pflegedienste auf Mallorca
eine Zeitlang fast wie Pilze aus dem Boden. Mancher erwartete, dass
nun auch die Zahlung von Pflegesachleistungen nur noch eine Frage
der Zeit sein würde. Bislang ist das nicht eingetreten. Und viele
der Helfer sind so schnell verschwunden wie sie aufgetaucht
sind.
Auch der große Run der deutschen Rentner auf das Pflegegeld ist
ausgeblieben: Im Verhältnis zum Anteil der älteren Menschen auf
Mallorca liegt die Zahl der Anträge immer noch unter Durchschnitt.
Ulrich Rosen, Arzt im Ärztehaus Palma und einer von drei Gutachtern
für die Einschätzung der Pflegebedürftigkeit auf Mallorca, hat die
Entwicklung von der ersten Stunde an mitverfolgt. Er notierte 350
Anträge in ganz Spanien und Portugal in den ersten vier Monaten
nach Gesetzesänderung und danach jedes Jahr etwa 570 Anträge. Auf
Mallorca seien es etwa 50 bis 70 Anträge jährlich. Er gehe davon
aus, dass derzeit etwa 220 bis 230 Menschen auf Mallorca Geld aus
der deutschen Pflegeversicherung beziehen.
Über die Gründe für die Zurückhaltung der Deutschen auf
Mallorca, Geld aus der Pflegeversicherung zu beantragen, kann nur
spekuliert werden. „Vieleicht wissen diejenigen, die schon lange
hier leben, nicht genug darüber”, meint Rosen. Auch im
Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) in Hessen, der die
Gutachten für Spanien und Portugal im Auftrag der gesetzlichen
Krankenkassen koordiniert, ist dieses Phänomen bekannt: Vielleicht
seien diejenigen, die im Alter nach Mallorca umsiedeln,
vergleichsweise rüstig. Oder sie kehren in die Heimat zurück, wenn
sie merken, dass sie alleine nicht mehr klar kommen.
Die Verteilung der bewilligten Pflegestufen sei ähnlich wie in
Deutschland, sagt Ulrich Rosen. Je etwa ein Drittel der
Antragsteller kommen in die Pflegestufe I und II, rund ein Zehntel
in die Pflegestufe III. Ein Viertel wird abgelehnt. Die Sätze
liegen bei 205, 410 und 665 Euro.
Offenbar geben die wenigsten der Pflegefälle das Geld für
professionelle Dienste aus: Bärbel Busch, die mit ihrem
Pflegedienst bereits seit sieben Jahren auf der Insel ist, hat
keine verstärkte Nachfrage registriert, seitdem Pflegegeld auch auf
Mallorca gezahlt wird. „Viele Menschen glauben, dass Krankenpflege
ein Akt der Nächstenliebe ist, die nichts kosten darf. Da setzt
sich der Gedanke der Dienstleistung erst allmählich durch.”
Ihr Kollege Adolf Fuchs, der bislang vor allem pflegebedürftige
Urlauber betreut, vermutet, dass hierzulande viel im Rahmen der
Nachbarschaftshilfe läuft. Auch schwarz arbeitende Kollegen und
ungelernte Kräfte, die sich billiger als diplomierte Krankenpfleger
anbieten können, graben den Profis mitunter das Wasser ab, die ihre
Sätze teilweise an deutsche Richtlinien anpassen. (Ein
Preisvergleich kann sich lohnen.)
Die Pflegeversicherung sei noch längst keine Garantie für eine
Rundumversorgung im Alter, sagt Gutachter Hans-Günter Rehmann. Auch
auf Mallorca sehe er durchaus Bedarf an Pflegediensten und
teilweise sogar eine Unterversorgung, aber die meisten könnten sich
Profis einfach nicht leisten. „Die Menschen auf Mallorca sind
bereit, mehr zu erdulden”, hat Ulrich Rosen beobachtet. Wer hier
lebt, sei eher bereit zu improvisieren und mit einfachsten
Hilfsmitteln auszukommen. Häufig seien die Patienten auch nicht
ausreichend über die Möglichkeiten der Pflege und Mitteln
informiert.
In Deutschland ist die Beratung und die Überprüfung der
Versorgung der Pflegefälle ganz klar geregelt, sagt Nikola Schrader
vom MDK Hessen. Für Spanien sieht sie Lücken, was die von den
Kassen vorgeschriebenen Beratungsgespräche anbelangt. „Die Leute
sind mitunter hilflos und wissen nicht, wohin sie sie sich wenden
können.” Selbst die Krankenkassen hätten oft nicht den Überblick,
wer diese Beratungen in irgendeinem entlegenen Winkel Spaniens
durchführe.
Eingespielt hat sich mittlerweile offenbar das Procedere von der
Antragstellung bis zur Überweisung des ersten Geldes. Ein formloses
Schreiben oder ein Anruf bei der Krankenkasse sollte genügen, um
das Verfahren in Gang zu setzen. Die Krankenkasse wendet sich an
den Medizinischen Dienst, der wiederum die Gutachter vor Ort
beauftragt. Die geben anhand von einheitlichen Richtlinien
Empfehlungen zur Einstufung des Pflegefalls. Die letzte
Entscheidung liegt dann bei der Krankenkasse.
Was die Zahlungsmoral der Krankenkassen anbelangt, so gebe es
von Kasse zu Kasse Unterschiede, so Ulrich Rosen. Die wenigsten
Probleme gebe es bei den großen gesetzlichen Krankenkassen. „Bei
der AOK läuft das recht unkompliziert”, pflichtet ihm Hans-Günter
Rehmann bei. Einige andere Kassen erschweren die Antragstellung
seiner Erfahrung nach, indem sie dem Patienten „achtseitige
Formulare mit 100.000 Fragen zur Beantwortung zuschicken. Das ist
ein Unding. Wahrscheinlich scheitern viele schon daran.”
Nikola Schrader weist darauf hin, dass die Krankenkassen
verpflichtet sind, bei der Antragstellung behilflich zu sein. Und
dass das Geld rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Antragstellung
gezahlt wird.
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