NILS MÜLLER
N ach über einem Jahr Insel-Abstinenz verschlug es Udo Lindeberg
wieder mal nach Mallorca. Anlass war die Hochzeit von Gitarrist
Carl Carlton (S. 24), mit dem Lindenberg schon seit Jahren intensiv
zusammenarbeitet. Die Feier nutzte der Panik-Rocker unter anderem,
um mit seinem Tourneeveranstalter Hermjö Klein alles klar zu
machen: „Die Tournee ist im Oktober und November. Durch die
edelsten Theater”, verrät Lindenberg im MM-Gespräch. Zu sehen sein
wird das aktuelle Projekt des wohl prominentesten Hut-Trägers
Deutschlands, das am 5. Mai in Bremerhaven Premiere hatte:
„Atlantic Affairs” (CD ist auch schon erhältlich). Es handelt sich
dabei um eine Art Hommage an die deutschen Emigranten in der
Nazi-Zeit. „Ich beschäftige mich ja schon lange mit den großen
Songs der 20er Jahre. Mit Marlene, Kurt Weill, Bertholt Brecht.
Deren Werk gehört zu unserer Kulturlandschaft.” Der 56-Jährige und
seine Mannschaft stellten eine Titelsammlung mit Liedern von
Komponisten wie Paul Abraham, Friedrich Hollaender, Werner Richard
Heymann, Hanns Eisler oder Ralf Maria Siegel (senior) zusammen, die
von Udo oder Gast-Interpreten im zeitgemäßen Gewand präsentiert
werden. Irgendwo zwischen Pop, Punk und Rock. „Weil ich ja von den
Flexibelbetrieben bin, bin ich nicht festgelegt nur auf Rock'n*Roll
oder nur auf Hip-Hop.
Die Story zu „Atlantic Affairs”, aus der in diesen Tagen unter
der Regie von Hark Bohm auch ein Fernsehfilm entsteht: „Ich bin
nach New York gereist und erbe dort 20 Koffer.” In den Koffern ist
kein Geld, sondern deutsches Kulturgut: „Wir machen einen goldenen
Fund nach dem anderen. Total tolle Songs.” Lieder, die mit
Lindenberg auf der „Queen Elisabeth 2” die Heimreise von New York
nach Bremerhaven antreten. „Die Song-Auswahl war gar nicht so
einfach”, erinnert sich Lindenberg, der auch einigen eigenen Titeln
Platz einräumte. „Man kann sich in einem bunten Blumenfeld schwer
entscheiden. Vielleicht folgt eine weitere Platte. Es gibt endlos
geiles Material.” Eines der Lieder auf der CD ist „Lili Marleen”,
das von dem in Portals Nous lebenden Norbert Schultze komponiert
wurde, der nicht zu den Emigranten gehörte. „Norbert Schultze war
ja einer der vielen unpolitischen Kulturschaffenden. Aber Kunst
wird schnell missbraucht, gerade in der Nazi-Zeit. Deswegen finde
ich es nicht statthaft, wenn Künstler gänzlich unpolitisch sind.
Das sieht Norbert Schultze heute auch so. Ich habe mit ihm mehrmals
komponiert.” Denn Lindenberg wollte den Text des berühmten Liedes
ändern. „Lili Marleen ist ein Antikriegslied. Immer wenn dieses
Lied lief, schwiegen die Waffen, es war die Zeit der Besinnung. Es
erinnert an den Krieg. Daran, dass Frauen zu Hause warteten, dass
ihre Männer irgendwann zurückkehrten – oder auch nicht.” In der
neuen Version, die bei „Atlantic Affairs” von Ellen ten Damme
gesungen wird, ist das etwas anders. „Die Frau wartet nicht,
sondern sagt: Mein Mann zieht erst gar nicht in den Krieg.” („Und
wieder zu den Fronten / ruft das Militär / doch dieses Mal da geb
ich / meinen Mann nicht her / Ich will nicht im Laternenschein da
ewig stehn und traurig sein / und warten bis sie kommen / er starb
den Heldentod / Ich will nicht an der Laterne stehn / Ich will dem
Krieg nicht stumm zusehn / und warten bis sie kommen / Ohne mich!
Lili Marleen”).
Lindenberg, der sich freuen würde, wenn die Tournee auch auf
Mallorca Station machte, nahm 1971 sein erstes Album auf und ist
immer noch da, genießt im deutschsprachigen Raum einen
unglaublichen Bekanntheitsgrad. Ein Phänomen, das Udo
augenzwinkernd mit „meiner Schönheit, meiner Anmut, meiner
Grazilität” zu erklären versucht. Sicher hat es auch etwas damit zu
tun, dass sich der Künstler Lindenberg abseits aller
Rock'n*Roll-Exzesse immer weiterentwickelt hat. Und dennoch bei den
Wurzeln blieb. „Im nächsten Jahr feiern wir 30 Jahre Panikjubiläum.
Am 13. August 1973 haben wir das Panikorchester gegründet.” Klar,
dass daher viele panische Konzerte geplant sind. „Wir sollten
wirklich auch hier auf Mallorca spielen”, meint Udo Lindenberg.
Vielleicht klappt's ja.
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