Zu behaupten, auf Mallorca gebe es keine Flüsse, ist eigentlich
doppelt falsch. Denn erstens gibt es die Torrents, also jene
Wildwasser führenden Sturzbäche, die sich nach einem kräftigen
Regenguss wie aus dem Nichts bilden, die Trockenbetten im Nu
auffüllen und von den Höhen talwärts ins Meer schießen. Die Kraft
der Wassermassen ist teils so geballt, dass sie alles mitreißen,
was sich ihnen in den Weg stellt.
Im Jahre 1403 war das nahezu die halbe Stadt Palma, die vom
Torrent Sa Riera ins Meer gespült wurde. Von den schätzungsweise
30.000 Einwohnern kamen 5000 ums Leben. Und 1989 überschwemmten die
Wasser des Torrent de Ses Talaioles halb Porto Cristo und brachen
ins Untergeschoss eines Hotels. Das Gebäude stand zu dicht an dem
seit Jahren trockenen Flussbett. Die fatale Fehlplanung kostete
drei Menschen das Leben.
Der Einwand, die Torrents seien gar keine richtigen
Fließgewässer, da sie die meiste Zeit ohnehin trocken liegen,
ergibt den zweiten Fehler. „Noch bis in die Anfänge des 20.
Jahrhunderts führten viele Torrents das ganze Jahr über Wasser”,
sagt der Technische Ingenieur der Abteilung Wasservorkommen im
balearischen Umweltministerium, Carlos Garau. Sicherlich
plätscherten die Bäche im Sommer deutlich schwächer als in den
regenreichen Monaten. Was die Süßwasserläufe letztlich versiegen
ließ, war die Zunahme der Inselbevölkerung, der höhere Verbrauch in
der Landwirtschaft, die Zunahme der Brunnenbohrungen sowie ein
allmähliches Absinken des Grundwasserspiegels.
Das Umweltministerium hat allein auf Mallorca rund 90 Torrents
aufgelistet, die nahezu die gesamte Inselfläche – 3640
Quadratkilometer – wie ein Netz überziehen und entwässern. „Wieviel
Regenwasser tasächlich in den Grund und Boden einsickert, hängt von
der Bodenbeschaffenheit und der Fließgeschwindigkeit des Torrents
ab”, so Garau. Je poröser der Boden, desto besser dringt die
Niederschlagsmenge in den Untergrund ein. Auch Wälder halten das
Wasser zurück.
Die mallorquinischen Torrents sind sehr unterschiedlich
beschaffen. So haben etwa auf dem Höhenzug zwischen Valldemossa und
Deià zwei Torrents ihren Ursprung. Der „Major” oder „Deià”, der in
der Cala Deià ins Meer stürzt, misst 3'5 Kilometer und hat ein
Zulaufgebiet von 7'35 Quadratkilometern. Der zweite Wasserlauf, der
auf der anderen Bergseite nach Süden fließt, bringt es auf eine
Länge von 24 Kilometern. Als „Torrent Gros” mündet er in Ciutat
Jardí bei Palma ins Meer. Mallorcas längster Torrent ist mit 42'4
Kilometern der Aumedrà. Er entspringt am Puig Major und entwässert
auf seinem Weg über Binissalem, Costitx, Llubí und Muro bis zur
Lagune von S'Albufera eine Fläche von 456 Quadratkilometern.
Die Balearen-Regierung investiert jedes Jahr rund 560.000 Euro
in die Instandhaltung der Torrents. Neben dem Ausbessern der
Ufermauern sind die Wasserläufe von Geröll und allzu starkem
Pflanzenwuchs freizuhalten. In einem Vier-Jahresrhythmus soll jeder
Torrentabschnitt mindestens einmal unter die Lupe genommen werden.
Dennoch werden immer wieder Klagen von Bürgermeistern laut, das
Umweltministerium komme seiner Pflicht, die Torrents zu säubern,
nicht in ausreichendem Maße nach.
Der Generaldirektor für Wasservorkommen, Antonio Rodríguez,
weist die Kritik weit von seiner Behörde. Seit den spektakulären
Überschwemmungen 1989 in Manacor und Porto Cristo seien Millionen
und Abermillionen in das Entwässerungssystem investiert worden.
„Plastikmüll und ein Fahrrad, das jemand ins Trockenbett wirft,
sind zwar ärgerlich. Sie hindern aber, wie auch die Gräser, den
Abfluss des Wassers nicht.” Wenn es regne, tauche immer jemand auf,
der sich beschwere, so Rodríguez. „Aber ein Beweis, das unser
System gut funktioniert, ist doch, dass es nach den teils sehr
heftigen Regenfällen der vergangenen Wochen und Monate nahezu keine
Probleme gegeben hat.”
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