„Jedes zusätzliche Jahr auf Mallorca ist ein Kilo mehr auf den Rippen.” Marianne Ebert (50) weiß, wovon sie spricht. Die Geschäftsfrau lebt und arbeitet seit zehn Jahren in Palma. Der kritische Blick auf die Waage gehört zu ihrem Alltag. „Essen ist hier eben sehr gesellig”, sagt sie. „Man lässt sich viel Zeit dabei, isst spät, schwer und am Ende zu viel.”
Macht Mallorca dick? „Auf alle Fälle macht es nicht automatisch schlank, sagt Andreas Overbeck (45), Chirurg und Geschäftsführer des Internationalen Facharztzentrums in Palma, Porto Pí. „Die Erfahrung, hier auf der Insel an Gewicht zuzulegen, machen viele Deutsche, die auf Mallorca leben. Sie essen zu fettreich und ballaststoffarm. Magen– und Dickdarmerkrankungen gehören zu den häufigsten Krankheitsbildern bei deutschen Residenten.”
Auch Allgemeinmedizinerin Barabara Reinke (39) aus Andratx bestätigt: „Ich stelle immer wieder zu hohe Fettwerte und den Diabetes Typ zwei fest, also die Diabetes, die durch ein Überangebot an Nahrung zum Problem für die Bauchspeicheldrüse wird. Dass die Deutschen hier gesünder leben als vorher zu Hause, das halte ich für ein Gerücht.”
Mallorca, ein ungesundes Pflaster? Trotz Sonne, Meer und Strand? Trotz frischem Fisch, Gemüse und Obst in vielen Gärten? Im grauen Deutschland wird Lichttherapie verschrieben, und hier, wo Licht täglich umsonst zu haben ist, wird der Deutsche krank?
„Natürlich kann man auf Mallorca gesund leben”, sagt Andreas Overbeck. „Man muss es nur bewusst wollen. Und daran hapert es oft. Der Grund liegt vor allem in der fröhlichen, sorglosen Einstellung, die die Deutschen hier entwickeln. Wer zu Hause gesundheitsbewusst gelebt hat, tut dies hier noch lange nicht. Das ist wie mit dem Müll, den man in Deutschland fein säuberlich trennt, hier aber, weil keiner guckt, ungetrennt in den Eimer schmeißt.”
Mangelndes Gesundheitsbewußtsein bei den auf Mallorca lebenden Deutschen attestiert auch Barbara Reinke. Sie drückt es so aus: „Live now und care later.” Jetzt leben, später vorsorgen.
Das Leben auf Mallorca scheint diese Einstellung zu begünstigen. Reinke: „Die mallorquinische Küche ist fett und schwer, und auch der Deutsche liebt seine Wurst, die er sogar hier beziehen kann. Außerdem sind Alkohol und Rauchen gesellschaftlich wesentlich akzeptierter als in Deutschland.” Das beginnt schon am Flughafen: Hier darf geraucht werden, in Deutschland nicht.
Nicht nur in punkto Essen passt sich der Deutsche dem Malloquiner an, der im Übrigen durch fettes Essen auch erhebliche gesundheitliche Beschwerden hat. Bartolomé Rivas, medizinischer Direktor der Privatklinik Juaneda: „Im Vergleich zum Festlandspanier haben die Mallorquiner wesentlich häufiger Herz– und Kreislauferkrankungen und ein erhöhtes Herzinfarktrisiko.”
„Insgesamt muss man sagen, dass der Gesundheitszustand der hier lebenden Deutschen bedenklich, teilweise sogar katastrophal ist”, sagt Andreas Overbeck. „Beschwerden werden einfach weggefröhlicht.”
Die Gründe liegen nicht nur in der oben beschriebenen Einstellung (Overbeck: „Arztbesuche sind nicht fröhlich”), auch im pekuniären Bereich. Barbara Reinke: „Die Residenten sind meist Selbstzahler, weil die Versicherungssysteme hier anders funktionieren. Der Gang zum Arzt wird zweimal überlegt. Man gibt lieber Geld für Schönheitsoperationen aus als für medizinische Vorsorge.”
Ergebnis: Der Deutsche geht erst dann zum Arzt, wenn's weh tut. Overbeck: „Wir sehen die Krankheiten immer erst im fortgeschrittenem Stadium.” Das gilt für Beschwerden im Bewegungsapparat (Wirbelsäule, Golfarm, Nackenschmerzen) wie auch für alle Arten von Hauterkrankungen (von der Mallorca–Akne bis zum schwarzen Hautkrebs). Hier gilt grundsätzlich: zu viel Sonne, zu wenig Schutz.
„Warum bin ich immer müde?” wurde kürzlich Neurologe Werner Grossmann aus Palmanova gefragt. Der Patient traf sich mittags mit Freunden zum Essen und trank fröhlich dabei. Abends beim Abendessen wieder. Werner Neumann: „Alkohol wird hier in einem größeren Umfang als zu Hause konsumiert. Er gehört dazu, auch schon am frühen Mittag. Die Flasche Wein auf dem Tisch ist normal. Man trifft sich und trinkt. Und aus einem Glas wird dann schnell mehr. Dann wundert man sich, wenn die Potenz nachlässt oder man noch bei Tisch einschläft.”
Jutta Becker, die als Personaltrainerin in viele Haushalte kommt, beschreibt ihre Erfahrung so: „Es gibt viele Menschen hier, Männer wie Frauen, die allein leben, aber nicht mehr arbeiten. Sie schieben den Frust vor sich her, und um sich besser zu fühlen, gehen sie aus, laden ein – und immer wird getrunken. Da gibt es nicht selten Fälle von Alkoholismus.”
Alkohol ist häufig auch eine Ursache für die vielen schweren Fahrrad– und Motorradunfälle auf der Insel. „Das betrifft vor allem die Touristen”, sagt Tim Liesenhoff, Mund– Kiefer– und Gesichtschirurg der Juaneda-Klinik in Palma. „Die Residenten sind in den letzten Jahren vorsichtiger geworden. Aber im Urlaub werden die Menschen risikobereiter, fahrlässiger. Sie unterschätzen Straßen, wissen nicht, dass bei Regen der Asphalt vieler Straßen glatt wie Schmierseife wird.”
Unfälle sind sichtbar. Soziale Isolation nicht. In ihr sieht Neurologe Werner Neumann eines der größten Probleme für viele ältere Residenten. „Sie haben alle sozialen Kontakte zu Hause gekappt, und hier fällt es ihnen schwer, neue zu knüpfen. Im Vergleich zu Deutschland investiere ich das Vierfache an Zeit, um ihre Sorgen anzuhören. Das zeigt ihre Bedürftigkeit.”
Einsamkeit auf Mallorca? Trotz voller Strände, Rambo-Zambo am Ballermann und einer Autodichte, die höher ist als in Singapur?
„Sonne, Strand und Meer allein machen nicht glücklich”, sagt Andreas Overbeck. „Natürlich kann man auf Mallorca gut leben. Auch gesund. Es liegt am Einzelnen, was er aus dem Angebot macht, das Mallorca bietet.”
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