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Unübersehbar sind die Augenringe, mit Not halten sich die Jungs noch aufrecht. Jetzt noch schnell ein paar Eier mit Speck zum Frühstück, und dann treten sie die Nachtruhe an. Für Tobias Schüssler und seinen Freund bedeutet das Frühstück im Grupotel „Orient” Abendessen. Die überwiegend deutschen Feriengäste im Drei-Sterne-Hotel an der Playa de Palma haben einen unterschiedlichen Rhythmus. Dennoch: Aufs morgendliche Buffet wird nicht verzichtet.

„Wir sind nach Diskoschluss noch baden gegangen, um die Zeit zu überbrücken. Schließlich haben wir für Frühstück und Abendessen bezahlt”, so Schüsslers Freund Andreas Wenntrozk. Viel sei es nicht, rund 1400 Mark für zwei Wochen Urlaub. Gäbe es die Pauschalangebote nicht, wären die beiden Studenten aus Passau nicht nach Mallorca geflogen.

Wie die meisten Gäste legen sie Wert auf gutes Essen im Hotel. Was den Urlauber aber an kulinarischer Leistung erwartet, kann er kaum wissen. Das Kriterium der Sterne sagt wenig über die Leistungen der Küche aus. Entscheidend für die Vergabe sind die Größe und Einrichtung der Räumlichkeiten der Häuser. Den Hoteliers bleibt es überlassen, wie reichhaltig sie ihre Buffets gestalten, wie abwechslungsreich die Speisenfolge ist. Um auch das Essen einheitlicheren Kriterien unterziehen zu können, wurde 1996 ICHE gegründet, eine von der spanischen Regierung ins Leben gerufene Organisation, die unter anderem auch verstärkt Service und Verköstigung der Gäste bewertet (S. 19). ICHEs Qualitätsmerkmal ist ein „Q”.

Der Direktor vom „Orient”, José Romero, kennt den Normenkatalog von ICHE auswendig: „Die Richtlinien sind hilfreich für die Verbesserung der Qualität von Essen und Service. Die Grupotelgruppe hat sich aber ICHE noch nicht angeschlossen.” Bis sich die Richtlinien in den rund 1500 Hotels auf Mallorca durchsetzen, kann es noch dauern. Bis jetzt zeichnet sich erst etwa ein Fünftel durch das „Q” aus. Vorerst muss dem Urlauber der Blick in die Broschüren der Hotels genügen, um zu wissen, welche Leistungen er im Hinblick auf das Essen erwarten kann.

Dass die Gäste immer anspruchsvoller werden und das Essen die Entscheidung, wieder im selben Hotel zu wohnen, beeinflusst, weiß Romero zu gut: „Man muss immer mehr bieten, es wird immer schwieriger, die Stammgäste zu halten.” Manchen Urlauber versöhnt schon allein das Frühstück mit einer unliebsamen Umgebung: „Hätte ich gewusst, dass Arenal so hässlich ist, wären wir woanders hin. Wenigstens ist das Essen hier super”, urteilt Ralf Stadel aus München, während er einen Apfel schält. „Das frische Obst, die tolle Auswahl am Buffet, das entschädigt uns ein bisschen.”

Mit erwartungsvollen Gesichtern betreten die Gäste den Speisesaal. Kritisch prüfen sie das Angebot, gehen von Theke zu Theke, orientieren sich langsam, füllen bedächtig den ersten Teller, balancieren Tasse und Saftglas an die Tische und vergleichen vor dem ersten Bissen ihre Auswahl mit der des Urlaubspartners. „Manche verlieren den Überblick, finden sich nicht zurecht, weil sie meinen, dass an jeder Theke andere Nahrungsmittel aufgereiht sind”, erzählt die Kellnerin Rosario. „Beim ersten Mal müssen wir sie manchmal herumführen.” Das Drei-Sterne-Hotel hat sich ganz auf die Wünsche der Mehrheit seiner Gäste eingestellt. „Die Deutschen wollen viel frühstücken, sich morgens satt essen”, weiß Romero. Frühstücken wie ein Kaiser, das muss in einem Hotel möglich sein. Und das möglichst ausgewogen und appetitlich angerichtet.

Dafür, dass Käse und Wurst frisch, die Spiegeleier nicht zu fett und die Schinkenstreifen knusprig geraten sind, sorgt Chefkoch Maximo Martinez. Prüfung des Bestandes, Bestellung, Entgegennahme der Lieferungen, Einteilung des Küchenpersonals, all das gehört zu seinen Aufgaben. „Zwölf Stunden arbeite ich. Langeweile verspüre ich nicht. Wichtig ist, dass wir uns in der Küche verstehen, sich keiner vor der Arbeit drückt und jeder pünktlich seine Aufgaben verrichtet.” Während die Zubereitung des Frühstücks für die 545 Gäste des „Orient” am Morgen gerade mal zwei Personen erfordert, muss der Service vollbesetzt sein: „Um 5 Uhr kommt der ,Cafetín', der Kaffeekoch. Wir beide bereiten alles in der Küche vor, die Kellner holen es ab und fahren es raus. Morgens passiert wenig Aufregendes. Was zu schneiden ist, wird noch am Vorabend gemacht”, erklärt Martinez. Gefordert ist der Service. Selbst wenn Leerlauf eintritt, Präsenz zählt: „Das Personal muss wachsam, höflich und zuvorkommend sein. Sind die Platten zu einem Drittel leer, haben sie aufgefüllt zu werden”, verlangt der Hoteldirektor.

Von 8 bis 10.30 Uhr ist das Buffet geöffnet. Tröpfeln die ersten Gäste langsam herein, herrscht ab 9 Uhr dichtes Gedränge. Hin und her laufen die Bedienungen, schütteln Tischdecken aus, decken neu auf, reinigen die Kaffemaschinen, sammeln am Boden liegende Speisereste auf. Alle drei Minuten öffnen sich die beiden Schwingtüren zur Küche, Tabletts werden raus- und reintransportiert. Zusammenstöße kommen nicht vor, die Türen gehen nur jeweils in eine Richtung auf. Der an den Speisesaal angrenzende Teil der Großküche gehört dem Servicepersonal und den Geschirrwäschern, die pro Frühstück rund 3000 Einzelteile in riesige Maschinen einräumen. Unermüdlich schneiden die Kellner Brot auf, bringen frische Serviceteile nach draußen: „Alles, was heiß ist, ist Sache der Küche. Fürs Kalte sind wir zuständig”, so Rosario.

Das „Kalte”, das sind vier verschiedene Sorten dunkles Brot, Graubrot, Vollkornbrot, Baguette, Ciabatta und kleine Brötchen. Fünf Arten von Käse, vier verschiedene Wursttypen, Butter, Magarine, vier unterschiedliche Marmeladen, drei verschiedene Sorten Joghurt, Quark, eingemachtes Obst, Datteln, Feigen, Nüsse, Haferflocken, Cornflakes, Fertigmüslis – die Auswahl ist groß. Zum Trinken gibt es sechs Sorten Tee, nett aufbewahrt in einer englischen Konsole, frische Milch aus antiken Kannen, vier Fruchtsäfte, Joghurt- und Molkedrinks. Die Sektflaschen, in schmucken Schalen gekühlt, dienen sommers eher der Zier: „Wenn im Winter die Senioren kommen, wird gerne Sekt getrunken. Im Sommer weniger”, stellt Romero fest. Für Diabetiker hält das „Orient” extra einen Buffetabschnitt mit geeigneten Lebensmitteln bereit.

Das „Heiße” besteht aus Rührei und gebratenem Schinken, frisch gebackenen Panecillos und warmer Milch. Die einladenden Kanapees und die garnierten Tomaten sind auch Sache der Köche am Vorabend. „Nicht unbedingt die Vielseitigkeit der Speisen ist für mich typisch für den Unterschied vom Drei– zum Vier-Sterne-Hotel”, so Romero. „Eher die Art der Zubereitung.” Was er damit meint, wird beim Anblick des morgendlichen Buffets im angrenzenden Hotel „Taurus” klar. Die Köche kochen live, Show-Cooking läuft. Für die rund 600 Gäste bereitet Köchin Marí José rund 200 Crêpes und Tortillas frisch zu, schlägt Koch Miguel 400 Eier in die Pfanne. Immer dieselbe Bewegung, ohne Schmerzen im Handgelenk: „Seit neun Jahren mache ich das jeden Morgen zwei Stunden täglich. Dadurch, dass ich im Anschluss andere Dinge zu erledigen habe, ist es nicht so schlimm.”

„Wer besondere Tortillas will, kann sie am Vortag bestellen. Kräuter, Champignons, Schinken, die Geschmäcker sind verschieden”, so Marí José. „Die Art der offenen Küche kommt an”, ist sich Direktor Guillermo Garau sicher. Was er an den Buchungen nachvollziehen kann, ist für die Köche eher schwer erkennbar. Auch im „Taurus” herrscht gedämpfte Stimmung, Morgenmuffel überwiegen gegenüber den munteren Frühaufstehern. Außer der Bestellung spielt sich zwischen Köchen und Klienten keine Unterhaltung ab. „Ist halt so”, sagt Miguel, „liegt vielleicht an der Sprache”.

So satt sich die Deutschen auch morgens essen mögen, vielen wird die Zeit zum Abendbrot zu lang. Mit Bedacht schmieren sie sich Stullen für später, stecken noch Obst ein und schnüren sich ihr Brotzeitpäckchen: „Eine Unsitte”, klagt Romero, „wir haben das kleine Hotelrestaurant mittags geöffnet. Klar, dass es uns nicht gefällt, wenn sich die Gäste auch noch tagsüber vom Frühstücksbuffet ernähren.”