Ich denke oft an Dschungel–Rudi. Der Holländer hatte sich mit
seiner Familie in einer Lichtung des venezolanischen Urwalds an
einem idyllischen Flussufer niedergelassen. Kein Strom, kein
fließendes Wasser, kein Komfort, von Luxus ganz zu schweigen. Sie
lebten in einer einfach, aber liebevoll ausgestatteten Hütte.
Zweimal pro Monate bestiegen sie ein Kanu, um in der nächst
gelegenen Stadt die nötigsten Einkäufe zu machen. Ansonsten lebte
die Familie autark. Die Kinder wurde mit äußerster Disziplin zu
Hause unterrichtet.
Das einzige Zugeständnis an die Zivilisation war ein Diesel
betriebener Generator, der allerdings nur dann angeworfen wurde,
wenn Dschungel–Rudi seiner Leidenschaft frönen wollte. Musik
bedeutete ihm viel. Und so hallten dann Beethovens Streichquartette
oder Schumanns Klaviertrios durch den Urwald, und die Melodien der
Meister mischten sich mit den Geräuschen des Dschungels, mit
Vogelgezwitscher und Blätterrauschen, mit Zirpen und Quaken.
Doch es kam, wie es kommen musste: Irgendwann wurden Kanufahrten
für Touristen auf dem Fluss organisiert. Die Ausflügler kehrten
gerne bei Dschungel–Rudi ein. Es war spannend für sie, einen
,,Eingeborenen” live zu erleben, mit dem sie sich auch noch in
jeder gewünschten europäischen Sprache verständigen konnten.
Dschungel–Rudi zog die Konsequenzen. Jahr für Jahr zog er ein paar
Meilen tiefer in den Urwald. Seit ein paar Jahren habe ich nichts
mehr von ihm gehört.
Seit einiger Zeit denke ich mit Neid an ihn. Seit nämlich in
meiner Bergeinsamkeit die Maschinen Einzug gehalten haben. Seit
meine Nachbarn am Abend und an Feiertagen trimmen, mähen,
schneiden, sägen, pflügen. Ein jeder ein Landmann aus Leidenschaft
und Liebe. Die Vögel verstummen, so lange die Wochenendinvasion
anhält, und die Kaninchen und Schnepfen sitzen verschüchtert auf
einem Busch und warten, bis das Trommelfeuer vorbei ist.
Am Montagmorgen atmen die wilden Fasane mit mir gemeinsam auf.
Ich stelle mir vor, wie die Tiere zusammen sitzen und beraten, was
zu tun sei. Auswandern? Kaum möglich. Mallorca hat nun einmal
natürliche Grenzen. Weiter in den Wald hinein flüchten? Auch das
ist kein Vorschlag, das nächste Dorf liegt schon in Sichtweite.
Bleibt nur eines: aushalten! Und davon zu träumen, immer eine Meile
vor Dschungel–Rudi zu wohnen.
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