Meine Freundin will mich auf Mallorca besuchen. Das ist nicht
verwunderlich. Seit ich hier lebe, hat sich meine Beliebtheit
überdimensional gesteigert. Anrufe, e-Mails und Briefe sind der
Beweis.
Ich habe in vier Wochen auch schon zweimal Besuch bekommen. Weil
ich so nett bin und die Insel so schön ist. Glücklicherweise hat es
meine Besucher nicht gestört, dass ich den ganzen Tag arbeiten
musste. Abends waren sie trotzdem ausgeruht genug, um sich von mir
durch Palma führen zu lassen.
Meine Wohnung ist noch leer. Ich hatte noch keine Zeit, sie
einzurichten. Eine Gästecouch habe ich mir aber schon angeschafft.
Ich weiß, was wichtig ist im Leben. Ich weiß auch inzwischen, wo
ich deutsches Brot und deutsche Wurst herbekomme, wo es Erdinger
und Franziskaner gibt. Auch mit den Banken kenne ich mich aus. Zeit
dazu, ein eigenes Konto zu eröffnen, hatte ich noch nicht. Aber ich
habe eine Bank aufgespürt, die umsonst Mark in Pesetas umwechselt.
Das ist nötiger. Wie ein Experte kann ich erklären, wie die
Sehenswürdigkeiten, Buchten, Strände und Berge mit meinem Auto am
besten erfahren werden können. Ich war noch nie dort, aber das ist
auch nicht notwendig.
Ich freue mich über jeden Besuch. Nichts ist schöner, als vor
Wohlbefinden strotzende Menschen um sich zu haben. Sie machen
Ausflüge rund um die Insel und erzählen abends ganz aufgeregt von
ihren Erlebnissen. Sonnengebräunt strahlen sie mich an und freuen
sich für mich, dass ich in so einem Paradies wohne. Ich mich auch.
Ich muss auch nicht braun sein, um gut auszusehen. Sonne am
Arbeitsplatz könnte ich gar nicht gebrauchen.
Es macht mich glücklich, dass meine Freundin kommen will.
Spätestens im August. Als Lehrerin passt ihr das am besten. Bis
dahin werde ich ihr und mir beweisen, wie gut ich mich eingelebt
habe, werde witzige Leute um mich geschart haben, fließend
Katalanisch sprechen, ein Bankkonto und ein spanisches Handy
haben.
In Deutschland konnte ich meine Freundin nicht oft sehen. Wir
wohnten 100 Kilometer weit voneinander entfernt. Sie hatte kein
Auto, aber einen Freund. Ihre Zeit war knapp. Klar, dass ich mich
immer nach ihr richtete.
Geehrt über ihr Interesse an meiner Person, öffne ich eine
e-Mail von ihr. „Ich komme vom 1. bis 15. Juni. Freust du dich?”
Nein. Ich habe doch keine Zeit mehr für Besuche.
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