Voller Ungeduld wartet die Palmesanerin Loli in diesen Tagen auf
den Briefträger. In der zweiten Aprilhälfte soll der Postbote die
offizielle Benachrichtigung bringen, dass Loli die Aufnahme ihrer
Tochter Laura (3) in die Vorschule beantragen kann. Der Platz im
Kindergarten der Schule Virgen del Carmen ist für die
Mallorquinerin Gold wert, denn wer die ,,escoleta” der
halb-privaten Bildungseinrichtung besucht, hat später dort seinen
Schulplatz sicher. Die Schule liegt nur wenige Fußminuten entfernt,
hat einen guten Ruf und führt bis zum Abitur.
Lolis Chancen stehen unterdessen nicht schlecht. Denn Lauras
größere Schwester Ana (6) besucht bereits die erste Klasse der
Virgen del Carmen. Und wenn sich ältere Geschwister auf einer
Schule befinden, werden jüngere Kinder bei der Aufnahme bevorzugt.
Doch ungeachtet des Pluspunktes gibt es für die insgesamt 24 Plätze
eine sehr hohe Nachfrage, so dass Loli erst in einigen Monaten
wissen wird, ob ihre kleinen Töchter künftig einen gemeinsamen
Schulweg haben werden oder nicht.
Die ,Hatz nach dem Platz'ist ein Nervenspiel, das auf Mallorca
Familien mit Kindern im Einschulalter alljährlich im April/Mai zu
durchleiden haben. Denn die Eltern müssen nicht nur entscheiden,
auf welchen der drei verschiednen Schultypen – öffentlich
(público), halb-privat (concertado) oder privat/kirchlich (privado)
– sie ihre Kinder anmelden. Zum Entscheidungsstress kommt noch die
Unsicherheit, ob die gewünschte Lehranstalt für die eigenen
Sprösslinge überhaupt zugänglich ist. Wie in Deutschland gilt auch
auf den Balearen das Ortsprinzip, wonach jedem Stadtteil eine
bestimmte Anzahl Schulen zugeordnet werden. Wer im ,,barrio”
nebenan wohnt, hat im Prinzip Pech gehabt. Nach einem wenig
durchschaubaren Kriterienschlüssel werden die Kinder einer anderen
Schule mit möglicherweise schlechtem Ruf zugeteilt.
Auch die bislang üblichen Tricks, etwa die Kinder am Wohnort bei
Verwandten, Bekannten oder sogar auf die Anschrift der elterlichen
Arbeitsstelle anzumelden, will ein neues Dekret der
Balearenregierung jetzt aushebeln. Erstmals müssen die Eltern den
Anmeldeunterlagen eine städtische Meldebescheinigung des Kindes
beilegen.
Natürlich können die Eltern ihre Kinder auch auf einer privaten
Schule anmelden, die sich häufig in kirchlicher Trägerschaft
befindet. Diese Bildungseinrichtungen sind allerdings aufgrund
ihres angeblich ausgezeichneten Lehrniveaus äußerst begehrt und
reichlich teuer.
Noch viel schwieriger als für Mallorquiner gestaltet sich die
Schulwahl für deutschprachige Eltern. Sollten sie sich von
vornherein für eine spanische Schule entscheiden, müssten sie sich
nicht nur mit einem völlig fremden Schulsystem auseinandersetzen.
In den hiesigen Lehranstalten werden die Kinder darüber hinaus
gleich mit zwei fremden Unterrichtssprachen – Castellano und
Catalán – konfrontiert, wobei die Bedeutung des Catalán, zu dem
auch das mundartliche Mallorquín zählt, in den vergangenen Jahren
immer mehr an Gewicht gewonnen hat.
Vielen Eltern ist wichtig, dass ihre Kinder zudem auch die
eigene Muttersprache Deutsch nicht nur sprechen, sondern auch
korrekt schreiben lernen. An diesem Punkt potenziert sich die ,Qual
der Wahl' jener Eltern, die ihre Kinder zum einen gut in die
mallorquinische Gesellschaft integrieren wollen, andererseits aber
dem Nachwuchs mit der ,deutschen Identität' auch eine Zukunft in
Deutschland offenhalten wollen.
Soll der Unterricht für die Kinder schlussendlich doch in der
deutschen Muttersprache erfolgen, dann gibt es auf Mallorca kaum
Alternativen. Im Gegensatz zu den ,,internationalen”
Auslands-Schulen in englischer, amerkanischer, französischer oder
schwedischer Regie ist die derzeit einzige deutschprachige
Lehranstalt auf Mallorca – die Academia Alemana Ca'n Hasso in
Magaluf – vom spanischen Staat bislang nicht anerkannt. Und die
Zeugnisse, die in den derzeitigen Klassenstufen eins bis sechs
vergeben werden, sind auch in Deutschland nicht automatisch gültig,
so Jürgen Schumann, Abteilungsleiter für Auslandsschulen bei der
obersten deutschen Schulinstanz, der Ständigen Konferenz der
Kultusminister (KMK). Bei einer Umschulung von Mallorca in die
Bundesrepublik müsse ein Kind möglicherweise noch einen
individuellen Einschulungstest über sich ergehen lassen.
Allerdings bescheinigte die KMK der Academia Ca'n Hasso im
vergangenen Jahr nach eingehender Prüfung, dass der geleistete
Unterricht dem an innerdeutschen Schulen absolut gleichwertig ist –
ein wichtiger Meilenstein für die Academia auf ihrem Weg zur
Anerkennung als offizielle deutsche Auslandsschule im Sinne der
KMK.
Der Gründer und Leiter der Academia Ca'n Hasso, Frank
Bauchrowitz, sieht ,,realistische Chancen”, die offizielle
Anerkennung der Einrichtung in den kommenden Jahren zu erlangen.
,,Die Kinder wachsen, und die Schule wächst mit ihnen.” Im Herbst
1997 hatte der Hamburger Kaufmann gemeinsam mit seiner Frau Britta,
einer ausgebildeten Lehrerin, eine Samstagsschule für
deutschsprachige Residenten eröffnet, die im Jahr darauf zur
Vollschule erweitert wurde. Nach dem Start mit elf Schülern
unterrichten derzeit fünf Lehrer knapp 50 Kinder in den
Klassenstufen eins bis sechs. Im kommenden Herbst soll eine siebte
Klasse beginnen. Mindesten zehn Klassenstufen sind notwenig, um die
KMK-Anerkennung und damit Fördermittel aus Deutschland zu erhalten.
Das Fernziel für Bauchrowitz ist allerdings, die Schule bis zum
Abitur auszubauen.
,,Eine deutsche Schule auf Mallorca ist auf jeden Fall notwendig
und sinnvoll, um Deutsch als Muttersprache perfekt lernen zu
können”, sagt Frank Bauchrowitz. Gemeint ist damit insbesondere die
Schriftsprache. Gleichwohl räumt er in der Präsentationsbroschüre
seiner Privatschule ein, dass ,,vom Gesichtspunkt der Integration
die spanische Schule sicherlich die beste Lösung ist”. Sollten aber
deutsche Eltern aus beruflichen oder privaten Gründen wider
Erwarten in die Bundesrepublik zurückkehren müssen, was häufiger
vorkomme, hätten es ihre spanisch eingeschulten Kinder bei einem
Wechsel extrem schwer. Ein Schulsystemwechsel von der deutschen auf
eine spanische Schule sei ,,meistens eine Einbahnstraße ohne
Wiederkehr”.
Die steigende Zahl deutscher Residenten mit Kindern im
schulpflichtigen Alter hat in die Schulfrage eine neue Dynamik
gebracht. Außer der Academia Alemana bemühen sich derzeit zwei
weitere Organisationen mehr oder minder intensiv um Lösungen, die
sowohl die Integration als auch die Bewahrung und Förderung der
deutschen Sprachkenntnisse miteinander verbinden wollen.
Im vergangenen Herbst etablierte sich der Deutsch-Spanische
Schulverein, dessen Eintrag ins spanische Register nach den Worten
der Initiatorin Gabriele Fritsch noch in diesen Tagen erfolgen
soll. Bislang betreibt die gemeinnützige Vereinigung nur einen
zweisprachigen Kindergarten in Arenal. Ziel ist jedoch der Aufbau
einer Grundschule, ,,in der die Kinder behutsam an die
fremdsprachliche Situation herangeführt werden”, sagt Fritsch.
Vormittags solle der Unterricht nach deutschen Lehrplänen auf
Deutsch, nachmittags auf Spanisch erfolgen, ab der zweiten Klasse
sei Catalán vorgesehen.
Den Kindern blieben vier Jahre Zeit, sich auf die Fremdsprachen
einzustellen und gleichzeitig auch die Muttersprache in Wort und
Schrift zu üben. Nach dieser Zeit sollen die Kinder, so das Konzept
des Vereins, ohne größere Anpassungsschwierigkeiten entweder in
eine spanische Schule oder zurück auf eine Schule nach Deutschland
hinüberwechseln können.
Einen gänzlich anderen Weg propagiert wiederum die vor kurzem
aus der Taufe gehobene Deutsch-Mallorquinische Vereinigung
(Asociación Alemana-Mallorquina/AAM), die einen deutschen
Schulverein ins Leben rufen will. Ziel sei nicht die Gründung einer
deutschsprachigen Schule, sondern der Ausbau des Deutschunterrichts
an spanischen Schulen, sagt der AAM-Präsident Horst Abel. ,,Unser
Konzept zielt auf Leute, die langfristig bleiben und sich hier eine
Zukunft aufbauen wollen”, sagt der seit 30 Jahren auf Mallorca
lebende Fleischwarenfabrikant.
Zur besseren Integration sei es angeraten, die Kinder auf
spanische Schulen einzuschreiben, wo sie zum ersten Catalán und zum
zweiten Castellano lernten, so Abel. Deutsch könnten die meisten
Kinder von Haus aus sprechen. Wichtig wäre allerdings, sie in
deutscher Rechtschreibung und Grammatik zu üben. Hier könnte der
geplante Schulverein mit den an spanischen Schulen tätigen
Deutschlehrern kooperieren. Das Angebot stünde auch Spaniern offen.
So ein Konzept habe es schon einmal 1970 gegeben.
Von den Engagierten in Sachen deutschsprachiger Unterricht hat
sich bislang noch niemand für eine Samstagsschule stark gemacht.
Die Finnen und Niederländer auf Mallorca machen es jedoch vor. Die
Kinder, die meist spanische Schulen besuchen, üben am
Samstagvormittag das Schreiben ihrer jeweiligen Muttersprache. Die
Heimatstaaten fördern den Unterricht mit Geld und Lehrmaterial.
Eine Anfrage bei der KMK, ob es Derartiges auch für Spanien gebe,
erwies sich als Fehlanzeige. ,,So etwas Ähnliches gibt es meines
Wissens”, so Schumann, ,,für Deutschstämmige in den USA”.
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