Jordi Muntaner hat einen Großteil seines Lebens dem Artenschutz auf Mallorca gewidmet. Der pensionierte Biologe arbeitete von 1985 bis 2018 in der entsprechenden Abteilung des balearischen Umweltministeriums. Eines der Themen, die ihn stets am meisten interessiert haben, sind die sogenannten Basses – Wasserlöcher, die in der Regel im Sommer unscheinbar und vollkommen ausgetrocknet daliegen und erst nach Regenfällen im Herbst und Winter zum Leben erwachen.
„Es handelt sich dabei um ein sehr spezielles Habitat mit besonders charakteristischen Eigenschaften”, sagt er. „Und es ist in Gefahr.” Jahre seines Berufslebens hat er damit verbracht, das Thema zu erforschen. Das wichtigste Ergebnis seiner Arbeit war ein Register, in dem er alle bekannten Basses der Insel eintrug. Mehr als 300 sind es im Laufe der Jahre geworden. Er hat Satellitenfotos ausgewertet, ist durch unwegsames Gelände marschiert, hat Fincabesitzer abgeklappert, auf deren Ländereien sich die Wasserlöcher befinden, und ist sogar mit dem Hubschrauber über die Insel geflogen, um die Suche zu erleichtern.
Das Faszinierende an den Basses ist laut Muntaner in erster Linie ihre Funktion als eigenes, kleines Ökosystem. Hier leben einige der seltensten und kuriosesten Tier- und Pflanzenarten, die es auf Mallorca gibt. Dabei handelt es sich um Organismen, die im Wasser leben, allerdings an die extremen Bedingungen angepasst sind, die in den Basses herrschen. Sprich: Samen, Sporen oder Eier überleben die monatelange Trockenheit, Sonneneinstrahlung und Hitze. Wenn es dann wieder zu regnen beginnt, erwachen sie zu neuem Leben.
„Auf den ersten Blick scheinen die Basses aus botanischer Sicht nicht bedeutend zu sein”, heißt es in einer den Wasserbecken gewidmeten Ausgabe der Zeitschrift „Quaderns de Natura”. „Es gibt keine großen Pflanzen und nur selten Blüten. Aber die Bedeutung eines lebenden Organismus erschließt sich nicht aus dessen Größe oder Sichtbarkeit. Interessant ist vielmehr, wie er sich an bestimmte ökologische Bedingungen angepasst hat, wie häufig er vorkommt und auf welche Weise er Teil eines ökologischen Prozesses ist.”
Bei den Basses auf Mallorca handelt es sich um meist sehr wenig tiefe und nicht allzu große Tümpel und Wasserbecken, die sich auf felsigem Untergrund befinden und sich ausschließlich durch Niederschläge speisen. In der Regel haben sie weniger als zehn Meter Durchmesser und sind weniger als 50 Zentimeter tief – abgesehen von einigen wenigen Exemplaren, die größer sind. Auf Mallorcas Nachbarinsel Menorca findet man sehr viel größere Basses. Auf Mallorca handelt es sich um „kleine, temporäre Süßwasser-Ökosysteme”, in denen an die dort herrschenden, sehr speziellen Bedingungen angepasste Pflanzen und Tiere leben. „Die Basses sind eine eigene kleine Welt”, so die Erklärung in den „Quaderns de Natura”.
Zu den Pflanzen, die man in den Basses findet, gehört etwa das Kleefarngewächs Marsilea strigosa, bei dem es sich laut der Balearen-Universität betriebenen Datenbank „Herbarivirtual” um „eine der seltensten Pflanzen der Balearen” handelt. Europaweit wächst sie demnach nur an wenigen Stellen, sodass sie den höchsten Schutzstatus der EU genießt.
Was die Fauna angeht, so sind in den Basses vor allem wirbellose Tiere zu finden. Der Nährstoffgehalt des Wassers ist relativ hoch. Dafür sorgen die Exkremente der Tiere, die zum Trinken an die Wasserstellen kommen. Dies wiederum begünstigt das Entstehen dichter Bakterien- und Mikroalgenpopulationen. Die Zahl der Fressfeinde derweil ist auf wenige Insektenarten wie Käfer oder Libellen begrenzt.
Die wohl außergewöhnlichste Spezies in den Wasserbecken ist der bis zu sieben Zentimeter lange Triops cancriformis, ein Kiemenfußkrebs, bei dem es sich um die wohl älteste noch lebende Tierart der Welt handelt – nachgewiesen wurde seine Existenz in 220 Millionen Jahre altem Gestein –, weshalb er auch als „Urzeitkrebs” und „lebendes Fossil” bekannt ist. Sämtliche in den Basses vorkommenden Krebsarten haben gemein, dass ihre Eier oder Embryonen so widerstandsfähig sind, dass sie problemlos monatelang absolute Trockenheit und große Hitze überstehen können. Bei den ersten Regenfällen im Herbst erwachen die Tümpel dann zum Leben. Innerhalb weniger Stunden sind bereits lebende Organismen zu finden. Die ersten Larven des „Urzeitkrebses” sind dann nach zwei Tagen auszumachen, wie es heißt.
Auch für die Fortpflanzung der bis zu zehn Zentimeter großen Wechselkröte (Bufo viridis) spielen die Tümpel eine wichtige Rolle, da die Weibchen der Froschart ihre Eier vorzugsweise in stehenden Gewässern ablegen. Das tun sie auch in den künstlichen Wasserbecken, die es auf vielen Landgütern der Insel gibt (Safareig). Besonders im Winter ist das charakteristische Gequake weithin hörbar. Die Krötenart wurde einst von Menschen auf die Insel eingeschleppt, was bekannt ist, weil es keine fossilen Funde gibt, die ihre Existenz bereits vor der menschlichen Besiedelung belegen. In dem Maße, in dem die Wassertemperatur in den Basses im Frühjahr durch die Sonneneinstrahlung zu steigen beginnt, beschleunigt sich die Metamorphose der Kaulquappen zu kleinen Fröschen, die dann ihres Weges gehen, wenn sie noch kaum einen Zentimeter groß sind. Die meisten von ihnen überleben derweil nur wenige Tage – zu groß ist die Zahl ihrer Fressfeinde.
Eine besonders wichtige Funktion erfüllen die Basses als Wasserstellen, an denen wildlebende Tiere ihren Durst stillen: Fledermäuse, Kaninchen, Marder, Wiesel, Igel, alle möglichen Vogelarten und Schildkröten. Häufig handelt es sich um die einzige Süßwasserquelle in einem Umkreis von mehreren Kilometern. Das gilt besonders im Süden der Insel, wo die Niederschlagsmenge geringer ist als in anderen Gegenden und wo es keinerlei Bäche oder Flüsse gibt. Die Marina von Llucmajor ist wegen ihrer besonderen geologischen Beschaffenheit die Gegend mit den meisten Basses. Das liegt an der vielerorts felsigen, wasserundurchlässigen Oberfläche, auf der sich leicht Regenwasser sammeln kann.
Auch ethnologisch sind die Basses von Bedeutung: Einst garantierten sie das Überleben der Inselbewohner und bis vor wenigen Jahrzehnten wurden sie noch intensiv genutzt. Seit die Insel von Menschen besiedelt wurde, war der Mangel an Trinkwasser ein bedeutendes Problem. Und so ließen sich die Siedler bereits in der Bronzezeit vorzugsweise in der Nähe eines natürlichen Wasserbeckens nieder, um den Trinkwasserbedarf von Menschen und Tieren decken zu können. Das belegen Funde in den bronzezeitlichen Siedlungen der Insel. So tauchten entlang der Wege, die zu nahegelegenen Tümpeln führen, große Mengen Tonscherben auf – allem Anschein nach stammten sie von Gefäßen, mit denen das Wasser transportiert wurde. Zum Teil legten die Menschen stundenlange Strecken zurück, um zu weiter entfernt gelegenen Basses zu gelangen.
„Es ist kurios”, sagt Muntaner: „Bis heute gibt es zahlreiche Landhäuser auf Mallorca, die direkt neben einer Bassa liegen.” Der Grund dafür: Viele Gebäude entstanden auf den Grundmauern älterer Bauwerke beziehungsweise am selben Ort, an denen sich schon in Urzeiten Siedler niedergelassen hatten – und diese wählten eben die Nähe zu den Basses, um mit Trinkwasser versorgt zu sein.
Zum Teil errichteten die frühen Siedler in Trockensteinbauweise sogenannte Navetes über den Wasserbecken, um so den Zugang kontrollieren zu können, die Verschmutzung des Wassers zu verhindern und die Verdunstung zu verlangsamen. Auch in muslimischer Zeit wurden die Basses intensiv genutzt, ebenso wie nach der christlichen Rückeroberung der Insel. Königliche Erlasse etwa belegen, dass es von höchster Bedeutung war, die Nutzung sämtlicher Trinkwasservorkommen zu regulieren – das betraf auch die Basses.
Im 15. Jahrhundert derweil gewannen auf Mallorca Kleinbauern (Roters) an Bedeutung, die weite, bislang ungenutzte Gebiete urbar machten. Auch sie waren darauf angewiesen, in ihrer Nähe eines der Wasserbecken für den persönlichen Trinkwasserbedarf zu haben. Diese wurden häufig überdacht, teilweise wurden auch Kanäle angelegt, um möglichst viel Regenwasser in das Becken zu leiten. Es handelte sich um ein System, das bis weit ins 20. Jahrhundert genutzt wurde und erst mit dem allmählichen Bedeutungsverlust der Landwirtschaft verschwand. Die Tatsache, dass die Landwirtschaft vielerorts völlig aufgegeben wurde, hat dazu geführt, dass viele Basses in Vergessenheit geraten und völlig zugewuchert sind.
Einige der bedeutendsten Basses auf Mallorca stehen mittlerweile zwar unter Naturschutz, diesen auch tatsächlich durchzusetzen ist jedoch schwierig, in erster Linie, weil sich die meisten Wasserbecken auf Privatgrund befinden. Und so ist Jordi Muntaner sehr skeptisch, was die Zukunft der Basses angeht. Um sie als Ökosysteme zu bewahren, müsste man sie regelmäßig partiell Entschlammen. Auch die immer geringere Niederschlagsmenge führt dazu, dass die so ungewöhnlichen Ökosysteme der Basses nach und nach verschwinden.
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