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Niemand weiß, wie der Verwundete hieß, der am 4. September 1936 hinter dem Strohberg erschossen wurde. Die Soldaten, die als militärische Sieger im Inselosten einrückten, griffen den Mann bei Sa Coma auf. Er war einer von einem Dutzend Milizionäre, die dort gemeinsam mit fünf Rotkreuzschwestern beim Rückzug des republikanischen Heeres auf Mallorca "vergessen" worden waren. Sie hatten es nicht mehr rechtzeitig zu den abfahrenden Schiffen geschafft.

Die Gefangenen wurden auf einem Lastwagen nach Manacor gebracht und dort hingerichtet.

Bei dem Einzelopfer machte man jedoch eine Ausnahme. War er zu schwer verletzt, um ins militärische Hauptquartier des Feindes gefahren zu werden? Oder war der Mann erst in seinem Versteck aufgespürt worden, als der Laster bereits fort war?

Wie auch immer, es wurde kurzer Prozess gemacht, hinter dem haushohen Strohschober, direkt am Dreschplatz des Anwesens von Sa Coma, drei Schritte entfernt vom Sandstrand, der inzwischen jeden Sommer Tausende Touristen und Badegäste verzückt. Der Tote wurde im Sand verscharrt. Als Transporter war ein Eselskarren im Einsatz. Historiker schätzen, dass insgesamt 100 bis 200 "Vergessene" im Inselosten liquidiert wurden.

Das Anwesen von Sa Coma erlebte eine ungeplante Siegesparade. Zu Hunderten rückten die Militärs in das neuralgische Zentrum des ehemaligen Kampfgebietes ein. 20 Tage hatten die "Cases de Sa Coma" dem Kommandanten des Expeditionsheeres Alberto Bayo als Hauptquartier und Lazarett gedient.

Bayo hatten den Versuch unternommen, Mallorca von den Franquisten zurückzuerobern. Doch seine Offensive blieb in blutigen Schlachten im Inselosten stecken. Dann befahl Madrid Bayo den Rückzug. Über Nacht verließen 3000 Mann ihre Stellungen und fuhren - vom Feind unbemerkt - auf den Kriegsschiffen zurück aufs Festland.

Die "Roten" waren in die Flucht geschlagen worden; so sahen es zumindest die Franquisten auf Mallorca. Jetzt wurde in Sa Coma eifrig fotografiert und der Ort den Offiziersgattinnen präsentiert. Mit Autokolonnen wurden die Schaulustigen herangekarrt.

Ein Spektakel waren zwei Wasserflugzeuge, die der Feind mit zerstörtem Antrieb zurückgelassen hatte. Sie dümpelten im seichten Wasser am Strand, wie historische Aufnahmen zeigen.

Noch heute beherbergt das Landgut von Sa Coma versteckte Überbleibsel des Krieges im Inselosten. Denn das Anwesen, das die gesamte Landspitze "Punta d'en Amer" umfasst, blieb wie durch ein Wunder von der Bebauung verschont und ist heute ein Naturschutzgebiet.

Sebastián Pascual, der Verwalter des Landgutes, führt durch dichtestes Kiefern- und Mastixgestrüpp. Dann zeigt er auf ein paar überwucherte Felsen. Ungeachtet der Vegetation lassen sich rechte Winkel im Gestein erkennen. Hier, im ehemaligen Steinbruch, hatten die Republikaner ihr Munitionsdepot eingerichtet. Das "Polvorín" wurde vom Feind entdeckt und aus der Luft bombardiert. Die Explosion war so gewaltig, dass Fachleute Jahrzehnte später die Felder der Umgebung mit Metalldetektoren absuchten, um Granatsplitter zu entfernen, erzählt Pascual.

Nach dem Abzug der Republikaner setzte sich das franquistische Militär in Sa Coma fest. An der Küste wurden Bunker und MG-Nester errichtet, um eine zweite Landung von vornherein zu vereiteln. Auch der historische Wachturm "Es Castell" auf der Landspitze wurde mit Soldaten besetzt. Der Bau aus dem 17. Jahrhundert, der einst Piraten abwehren sollte, diente nun der Aufklärung. Von den Turmzinnen aus lassen sich die östlichen Küstengewässer überwachen.

Auch das Restaurant am Fuße des Wachturms, der ein kleines Museum zur Piratenepoche beherbergt, ist militärischen Ursprungs. Wo heute Gäste mit Blick aufs Meer Pa amb oli bestellen, hatten einst Soldaten ihre Mannschaftsunterkünfte, wenn sie nicht gerade Wachdienst schoben.