Ein Boot mit nordafrikanischen Flüchtlingen etwa vier Seemeilen südlich der Inselgruppe Cabrera. | Guardia Civil (Archivbild)

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Die Balearen erleben derzeit einen nie dagewesenen Zustrom von Bootsflüchtlingen aus Nordafrika. Seit Jahresbeginn haben 4441 Menschen die Inselgruppe erreicht – mehr als doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr, als 2194 Flüchtlinge ankamen. Allein in den ersten Novembertagen wurden 42 Boote mit insgesamt 706 Menschen abgefangen oder erreichten die Küsten. Diese Entwicklung verdeutlicht die anhaltende Dynamik der Flüchtlingsbewegungen im westlichen Mittelmeer.

Für Freizeitkapitäne auf Mallorca, Menorca, Ibiza oder Formentera kann dies weitreichende Konsequenzen haben. Viele von ihnen müssen sich heute mit einem Szenario auseinandersetzen, das früher kaum vorstellbar war: dem Kontakt mit in Seenot geratenen Flüchtlingen. Diese Boote, häufig überladen und kaum seetauglich, geraten schnell in gefährliche Situationen. Doch was genau sollten Skipper tun, wenn sie auf ein solches Boot treffen?

„Jeder Kapitän, egal ob auf einer Segelyacht, einem Frachtschiff oder einer Motoryacht, ist nach internationalem Seerecht verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten“, erklärt Miguel Félix Chicón, Leiter der balearischen Seenotrettung in Palma. Diese Regelung ist fest im UN-Seerechtsübereinkommen (SOLAS) verankert, das den Schutz menschlichen Lebens auf See regelt. Die Pflicht zur Rettung gilt unabhängig von der Art des Boots oder der Herkunft der Schiffbrüchigen. Versäumnisse können für den Kapitän schwerwiegende rechtliche Folgen haben, einschließlich einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung.

Wann spricht man von Seenot?

In Seenot zu geraten bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein Boot bereits sinkt. „Ein Notfall liegt bereits vor, wenn ein Boot manövrierunfähig ist, überladen wurde oder die Insassen nicht ausreichend mit Nahrung und Wasser versorgt sind“, erklärt Chicón. Flüchtlingsboote im Mittelmeer erfüllen oft alle drei Kriterien. Sie sind in der Regel schlecht motorisiert, alt und bis an die Belastungsgrenzen überfüllt.

Tausende von Menschen haben in den vergangenen Jahren ihr Leben auf diesen Überfahrten verloren. Überlebende berichten immer wieder von Tragödien: Menschen, die ertrinken, verhungern oder verdursten, während sie auf Hilfe warten. Die spanische Küstenwache ist im westlichen Mittelmeer vergleichsweise gut organisiert und versucht, so viele Leben wie möglich zu retten.

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Für Freizeitskipper ist die erste Maßnahme in einer solchen Situation klar: die nächste Küstenwache zu kontaktieren. „Nutzen Sie den internationalen UKW-Kanal 16, um Ihre Position durchzugeben und die Situation zu schildern“, rät Chicón. Die Rettungsleitstellen koordinieren anschließend größere Schiffe, die für Rettungsaktionen besser ausgestattet sind.

Bergen oder Abstand halten?

Die direkte Aufnahme von Flüchtlingen an Bord privater Yachten sollte nur im äußersten Notfall erfolgen, beispielsweise wenn das Boot der Flüchtlinge zu sinken droht oder Menschen bereits im Wasser treiben. „Eine Rettungsaktion auf offener See birgt erhebliche Risiken, auch für die Retter“, warnt Chicón. Er empfiehlt, so lange wie möglich auf professionelle Rettungskräfte zu warten und die Situation aus sicherer Entfernung zu beobachten. „In Paniksituationen könnten Schiffbrüchige unberechenbar handeln, was die Sicherheit aller gefährdet.“

Was ist ein „sicherer” Hafen?

Die Situation auf hoher See ist jedoch nicht überall gleich. Während im westlichen Mittelmeer die spanischen Behörden schnell reagieren, sieht es im östlichen Mittelmeer oft anders aus. Viele nordafrikanische Staaten, wie Libyen, verfügen nicht über die notwendigen Strukturen zur Seenotrettung. Hier sind Freizeitkapitäne oft auf sich allein gestellt.

Nach internationalem Seerecht ist ein sicherer Hafen der nächstgelegene Ort, an dem die Geretteten in Sicherheit sind. Doch diese Definition wird kontrovers diskutiert. Hilfsorganisationen wie die Betreiber der privaten Hilfsboote zur Aufnahme von Flüchtlingen wie die „Aquarius“ oder „Open Arms“ lehnen es ab, Gerettete nach Libyen zurückzubringen. „In libyschen Häfen drohen Flüchtlingen Tod und Folter“, sagt Christoph Hempel, Reeder der „Aquarius“.

Kritiker hingegen werfen solchen Organisationen vor, geltendes Seerecht zu missachten, indem sie Gerettete nach Europa bringen, obwohl andere Häfen näher liegen. „Ein Hafen kann die Ausschiffung verweigern, wenn die internationalen Regeln nicht eingehalten wurden“, erklärt ein Sprecher der maltesischen Hafenbehörde. Für Chicón bleibt diese Debatte zweitrangig. Entscheidend sei, dass Menschen in Seenot geholfen werde. „Es geht darum, Leben zu retten – alles andere ist nachrangig.“

Verantwortung und Pflicht

Freizeitskipper sollten sich bewusst sein, dass die Rettung auf See nicht nur eine moralische Pflicht ist, sondern auch erhebliche Herausforderungen birgt. Dazu gehört die Sicherheit der eigenen Crew ebenso wie die Frage, wie mit den Geretteten umzugehen ist. Pro Asyl bietet Freizeitkapitänen hierzu Leitfäden und praktische Tipps, die unter www.proasyl.de abrufbar sind. „Am Ende entscheidet der Kapitän an Bord, wohin die Reise geht. Das war in der Seefahrt immer schon so. Und es gibt eigentlich keinen Grund, daran etwas zu ändern“, schließt Chicón.