Sich unbekleidet in der Öffentlichkeit zu zeigen, gilt in Spanien seit 1989 nicht mehr als Erregung öffentlichen Ärgernisses. Foto: istockphoto.com

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Ohne viel Federlesen streift der Mann seine Badehose ab, läuft splitterfasernackt ins Wasser. Seine Handtuchnachbarn tuscheln: Er ist der einzige Unbekleidete am Strand von Can Pastilla. „Ist das hier etwa ein FKK-Beach?“, wundert sich die 26-jährige Sonja aus Hamburg, die hier mit ihrem Freund Mark das erste Mal in der Sonne liegt. „Die meisten glauben immer noch, man dürfe nur in ausgesprochenen FKK-Zonen hüllenlos sein“, sagt Francisco Sastre, Sprecher der „Asociación Naturista Balear“, des FKK-Verbandes der Inseln. Ausgewiesene Nacktbadestrände gebe es auf der Insel nicht, erklärt der seit zehn Jahren bekennende Nudist.

Etwa ein Dutzend Strände der Insel sind bei FKK-lern besonders beliebt. Einige, etwa der Mittelteil des Es Trenc oder die Cala Mago, sind sogar einst eigens von den Gemeindeverwaltungen offiziell dazu erklärt worden. Letzterer nur, weil die Gemeinde Calvià damit in einer Touristenflaute Anfang der 80er Jahre Urlauber anlocken wollte. In den meisten Buchten hat es sich aber lediglich eingebürgert, dass hier die Anhänger freier Körperkultur ihresgleichen finden. „Was die wenigsten wissen: Wer Lust dazu hat, kann sich in Spanien eigentlich überall ausziehen. Auf der Terrasse ebenso wie am Strand, im Park – egal wo. Natürlich rein theoretisch gesprochen. Jede Situation hat ja ihren Moment.“ Denn sich unbekleidet in der Öffentlichkeit zu zeigen, gilt seit 1989 nicht mehr als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“, wie es etwa in Deutschland auch heute noch der Fall wäre.

Damals wurde das Strafgesetzbuch erst modizifiziert, 1995 dann darin endgültig besiegelt, dass öffentliches Nacktsein nur dann einen Verstoß darstellt, wenn es mit eindeutig sexueller oder exhibitionistischer Intention geschieht. „Obwohl wir uns seit vielen Jahren dafür einsetzen, ist diese Regelung immer noch weitgehend unbekannt“, beklagt sich der 46-Jährige. Jedes Jahr komme es vor, dass die Polizei gerufen werde, weil jemand in einer Bucht Anstoß an zwei „Nackedeis“ nehme. Sastre zieht einen Ausdruck des Gesetzestextes hervor: „Deswegen raten wir jedem, der nackt baden will, immer den Gesetzestext parat zu haben. So kann man den Polizisten beweisen, dass sie uns verteidigen müssen – und nicht umgekehrt.“

An den Stränden von Cadiz und Tarifa sowie an der Costa Brava waren in den vergangenen Monaten Strafen zwischen 100 und 750 Euro ausgesprochen worden, wenn sich Badegäste außerhalb der ausgewiesenen Nudista-Abschnitte entblößten. „Eine Frechheit“, sagt Sastre verärgert. Nachdem dort der lokale Nudistenverband auf die Barrikaden gegangen war, zog Cadiz vor wenigen Tagen die Regelung nun wieder zurück.

Auf den Balearen gehe es „Gott sei Dank“ ruhiger um die Nudisten zu, erzählt Sastre. Allerdings verwässere sich die Bewegung stark: Kein eingefleischter Nudist gehe im Sommer noch an den Es Trenc, „mitten in der angestammten FKK-Zone siehst du nur noch Badehosen. Ein bisschen mehr Respekt wäre angebracht“. Denn lege man sich notgedrungen dann doch dazu, sei man immer noch Zielscheibe neugieriger Blicke, „wobei die Toleranz und das Interesse am Nudismus langsam aber stetig zunimmt“.

Sastre erklärt, dass unterschieden werden müsse zwischen den „Naturistas“ und den „Nudistas“. Während Letztere sich einfach ohne Kleider wohler und befreiter fühlen oder es vorziehen, nahtlos braun zu werden, sei „Naturismo“ eine Lebensphilosophie: gesunde Ernährung, Sport, Leben in Einklang mit der Natur. „Aber zu 99 Prozent sind alle nur Nudistas.”

Laut des spanienweiten Verbandes machen rund eine halbe Million Spanier sporadisch FKK – jährlich kommen über 1'5 Millionen Touristen dazu, die es ebenfalls vorziehen, nackt zu sein. Auch auf Mallorca sind die meisten der Nacktbader Touristen, vornehmlich aus Deutschland und Frankreich, den Ländern, in denen FKK in Europa am stärksten vertreten ist. „Eigentlich eine interessante Marktnische, die man hier touristisch mehr ausschöpfen könnte“, überlegt Sastre. Laut einer internationalen Studie kommen Nudisten aus gut situierter Mittelschicht, haben ein überdurchschnittliches Einkommen. Vergeblich suchen sie auf Mallorca ein Nudisten-Zentrum, wie es rund 20 auf dem Festland gibt: Clubs und Hotels, in denen alle nackt sind – nur in der Cafeteria und im Restaurant herrscht selbst dort Bekleidungspflicht. Auf Mallorca hatte es mehrere Versuche gegeben, ein Angebot für Nackttouristen zu schaffen: 2003 etwa wurde der Antrag gestellt, in Sant Jordi ein Fünf-Sterne-FKK-Hotel bauen zu dürfen, doch Palmas Stadtverwaltung wiegelte ab.

Hüllenlos gibt sich Francisco Sastre deswegen nur bei sich zu Hause oder am Strand – Urlaub macht er in den Zentren auf dem Festland. Als 2004 rund 450 nackte Passagiere auf dem ersten Nudisten-Kreuzer Europas von Barcelona über Ibiza dann Nizza ansteuerten, war auch er an Bord. „In Amerika sind solche Kreuzfahrten gang und gäbe, hier hinken wir noch hinterher.“ Es möge daran liegen, dass die Spanier noch zu kämpfen hätten, die Scham gänzlich abzulegen. „Noch nicht mal in der Sauna ziehen Spanier ihre Badehosen aus.“ Auch er habe sich überwinden müssen, dann habe die Neugierde gesiegt – schließlich habe ihn das Erlebnis überzeugt: „Ohne klebenden Stoff im weichen Wasser, Sonne, Salz und Wind auf der Haut, das ist einmalig.“