Time is money, Zeit ist Geld. Den bekannten Spruch aus dem
amerikanischen Business können vor allem die Airlines aus der
ganzen Welt bestätigen. Jede Verzögerungen bei Starts und Landungen
kostet. So sehr die Fluggesellschaften auch daran arbeiten, die
Verspätungen auf ein Minimum zu reduzieren und diesbezüglich
aufwendige Analysen und Studien in Auftrag geben, die Pünktlichkeit
ist oft ein unkalkulierbarer Faktor. Technische Probleme, das
Wetter, aber vor allem das Verhalten der Fluggäste lassen sich
nicht berechnen.
„Die allermeisten Verspätungen bei uns werden von Passagieren
hervorgerufen, die nicht rechtzeitig in der Maschine sitzen”, davon
ist Air-Berlin-Sprecher Peter Hauptvogel überzeugt. Richtig spät
wird es dann, wenn der Fluggast zwar eingecheckt hat, aber nicht am
Gate erscheint. Aus Sicherheitsgründen startet kein Flieger mit
Gepäck von Personen, die sich nicht an Bord befinden. Dann muss
jeder Passagier wieder aussteigen und sein eigenes Gepäck
identifizieren. Nur so kann der dann übrig bleibende Koffer
aussortiert werden.
Aber auch wenn bereits alle Fluggäste angeschnallt auf ihren
Plätzen sitzen, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass es gleich
los geht oder der Flug ohne Zwischenfälle verläuft.
Palma de Mallorca, 14.40 Uhr. Alle Passagiere des Fluges AB 5912
haben ihre Plätze eingenommen. Unmittelbar vor dem endgültigen
Schließen der Türe will ein Gast aber aus ungeklärten Gründen doch
nicht fliegen. Das Kabinenpersonal kann den Mann nicht überzeugen
und läßt ihn das Flugzeug verlassen. Die für 14.50 vorgesehene
Startzeit kann nicht eingehalten werden. Der Pilot muss einen neuen
so genannten Slot beantragen und sich hinten anstellen. Auf dem
Flughafen Sont San Joan herrscht an diesem Mittwoch im November
normaler Betrieb, so dass die Air-Berlin-Maschine bereits für 16
Uhr einen zweiten Starttermin zugeteilt bekommt.
In der Hauptsaison mit maximalem Flugaufkommen kann es durchaus
mehrere Stunden dauern, bis ein neuer Slot zur Verfügung steht.
Möglicherweise kann dann der geplante Zielflughafen wegen eines
Nachtflugverbotes nicht mehr angesteuert werden und die Passagiere
müssen von einem Ausweichairport auf dem Landweg zu ihrem Ziel
transportiert werden. Der ganze Betrieb verschiebt sich. Das
Flugzeug und die Besatzung fallen für Anschlussverbindungen aus.
Möglicherweise wird die Fluggesellschaft sogar von den verärgerten
Passagieren auf Schadenersatz verklagt.
Theoretisch könnten die Folgekosten einer solchen Kettenreaktion
auf den Fluggast abgewälzt werden. Das werde aber, so Hauptvogel,
in der Praxis kaum gehandhabt. Nicht bei Air Berlin und auch nicht
bei anderen Fluggesellschaften. Dies bestätigt der Sprecher von
Hapag Lloyd, Wolfgang Hubert. „Wenn alle Stricke reißen, nehmen wir
so einen Aussteiger halt hin. Wir können schließlich niemanden
zwingen, mit uns zu fliegen.” Seine Fluggesellschaft habe auch kein
Interesse daran, in einem solchen Fall juristische Schritte
einzuleiten, zumal diese Extreme nur äußerst selten vorkämen.
Prozesse seien langwierig und der Streitwert oft schwer zu
ermitteln. Vor allem aber schadeten sie dem Image.
Imageschädigend für alle Airlines sind auch die im Fachjargon
„Unruly Passenger” genannten Zeitgenossen, die bereits betrunken
einchecken, an Bord pöbeln, ausfällig oder gar gewalttätig
werden.
Vor zwei Jahren stürmte ein verwirrter Tourist des Fluges LT
1407 von Teneriffa nach Berlin das Cockpit, traktierte den Piloten
mit Fußtritten und traf dabei den Steuerknüppel der Boeing 737.
Dadurch fiel in 10.000 Meter der Autopilot aus. Dem Kopiloten
gelang es mit Mühe, den Schub der Triebwerke zu halten, sodass die
Maschine lediglich 1000 Meter absackte. 143 Passagiere kamen mit
dem Schrecken davon.
Im Gegensatz zur deutschen Pilotenvereinigung Cockpit, die seit
Jahren die zunehmenden Entgleisungen über den Wolken anprangert,
kochen die Fluggesellschaften die Probleme mit ihren renitenten
Kunden gerne auf kleiner Flamme. Es handle sich um Einzelfälle, die
unabstreitbar geschehen, aber im Gesamtaufkommen überhaupt keine
Rolle spielen.
„Wir befördern pro Jahr um die 8'5 Millionen Passagiere und
kommen auf keine 100 Zwischenfälle”, versucht Boris Ogursky von
Condor, das Problem zahlenmäßig zu relativieren. Jeder einzelne
Zwischenfall, so der Firmensprecher sei allerdings einer zuviel.
Mit speziellen Kursen werde das Kabinenpersonal darauf vorbereitet,
auf „schwierige” Kunden einzugehen.
Auf Deeskalation, so Pierre de la Motte von LTU, wird auch in
den Ferienfliegern seines Unternehmens großer Wert gelegt und die
Flugbegleiter sind diesbezüglich psychologisch geschult. Scheitern
alle verbalen Möglichkeiten, einen Passagier zu besänftigen, werde
er als letzte Maßnahme mit Handschellen ruhig gestellt. „Dies
kommt”, so der LTU-Sprecher, „glücklicherweise aber fast nie
vor.”
Ein generelles Profil der „Unruly Passengers”, da sind sich die
befragten Airlines einig, gebe es nicht. Die Renitenz, wenn sie
vorkommt, ziehe sich durch das ganze gesellschaftliche Spektrum.
Auch Mallorcas berüchtigte „Ballermänner” fallen weder auf dem
Hinnoch auf dem Rückflug durch eine Häufung negativer Vorfälle an
Bord auf, so der Sprecher des Mallorcavielfliegers Air Berlin. „Die
fliegen doch alle in den Urlaub und freuen sich darauf, warum
sollten die denn besonders agressiv sein?”, fragt Peter Hauptvogel.
Bei Langstreckenflügen, so Hauptvogel, sei die Wahrscheinlichkeit,
dass jemand ausflippt, eindeutig höher als innerhalb Europas. Diese
Einschätzung teilt auch Wolfgang Hubert von der Hapag Lloyd. „Auf
zwei– bis vierstündigen Flügen kann man die Leute noch ganz gut
beruhigen.”
Wer zu spät kommt, den bestraft mitunter nicht nur das Leben,
sondern auch der Flugkapitän. Die Airlines sind nicht verpflichtet,
Zu-Spät-Kommer, angetrunkene Passagiere oder Menschen mit
ansteckenden oder den Flugbetrieb gefährdenden Krankheiten und
Gebrechen zu befördern. Ihr Ticket verfällt ohne Anspruch auf
Ersatz. Sollten renitente Fluggäste tatsächlich wegen
Transportgefährdung verurteilt werden, sind Strafen bis zu 15.000
Euro fällig, die Regressansprüche der Fluggesellschaft nicht
mitgerechnet.
Üblicherweise wird aber mindestens ein Auge zugedrückt. Der
Flugkapitän behält sich aber in jedem Fall die Einschätzung der
Lage vor, seine Anweisungen sind bindend. „Unruly Passengers”
können im Extremfall sogar auf halber Strecke ausgesetzt
werden.
Im Jahr 2000 wurde es einem Flugkapitän zu viel. Die von
Deutschland in die Dominikanische Republik fliegende
Urlaubermaschine landete auf Madeira zwischen und entledigte sich
dort eines widerspenstigen Zeitgenossen. Ein dick unterstrichener
Name mehr in den internen schwarzen Listen, in denen die Airlines
unerwünschte Fluggäste verewigen.
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