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Wer an jenem Freitagabend an der Bucht von Alcúdia war, kam um die dunkle Vorahnung nicht herum. Gespenstisch, wie die Wellen in der Dämmerung als weiße Gischt am Strand zerschellten. Der kalte Wind blies so kräftig von See her, dass sich die Autotüren kaum aufdrücken ließen. Wohl dem, der der unwirtlichen Gegend im Norden Mallorcas den Rücken kehren konnte. Denn was sich in den nächsten 48 Stunden abspielte, ging als eine der schwersten Sturmkatastrophen in die Geschichte der Balearen ein.

Der Novembersturm, der vor genau einem Jahr die Insel heimsuchte, kostete vier Menschen das Leben, richtete Schäden in Millionenhöhe an und legte Schätzungen zufolge eine halbe Million Bäume um. Mehr noch: Das spektakuläre Unwetter ist vielen Menschen als Wendepunkt im Gedächtnis geblieben: Seit dem Temporal vom 10. und 11. November 2001 ist das Wetter auf Mallorca irgendwie aus den Fugen geraten.

Vieles scheint nicht mehr so, wie es die Menschen auf Mallorca gewöhnt waren. Bester Beleg dafür: In den vergangenen zwölf Monaten blieb es dem Direktor des Meteorologischen Instituts in Palma, Agustín Jansá Clar, nicht erspart, einen Wetterrekord nach dem anderen vermelden zu müssen.

Kleine Auswahl gefällig? Den Novembersturm bezeichnet Jansá als den heftigsten seit 50 Jahren. Allein in Lluc regneten in diesem Monat 851 Liter pro Quadratmeter ab. Eine schier unglaubliche Menge, im Vergleich zur durchschnittlichen Niederschlagsmenge der vergangenen 30 Jahre: 172 Liter. Der Dezember, der dem Novembersturm folgte, ist seinerseits der kälteste seit 20 Jahren. Für Pendler, die im Inselinnern wohnen, wird das morgendliche Eiskratzen an der Windschutzscheibe zur Routine. Wiederum in Lluc fällt das Quecksilber so tief wie seit 25 Jahren nicht mehr - minus 7'1 Grad.

Die Osterzeit ist auf Mallorca so verregnet, dass die Bild-Zeitung im sonnigen Deutschland mit der Schlagzeile "Ätsch Mallorca!" triumphiert und tausende von Urlaubern zur vorzeitigen Rückreise animiert. Im Juli ziehen allein drei Unwetter über die Insel. In Palma regnet es in dem Sommermonat so viel wie seit Beginn der Aufzeichnung der Wetterdaten im Jahre 1862 nicht. Der August macht gar das Maß komplett: Mallorca wird mit örtlich bis zu 1000 Litern pro

Quadratmeter in den zurückliegenden zwölf Monaten zur regenreichsten Region Spaniens gekürt. Fazit: Das Eiland macht seinem Ruf als Sonneninsel wenig Ehre, auch wenn der August mit 291 Sonnenstunden rund 100 Stunden mehr aufzuweisen hatte als Deutschland.

Ein Gutes hatte der Regensommer indes: Nach drei Jahren Trockenheit haben die Regenfälle die ausgelaugten Grundwasservorkommen wieder aufgefrischt - wenn auch nicht ausgeglichen, wie der für Wasserresssourcen zuständige Generaldirektor beim balearischen Umweltministerium, Antoni Rodríguez vor kurzem bekannt gab. Kein Grund also, beim Haushalten mit dem kostbaren Rohstoff in den gewohnten Schlendrian zu verfallen.

Einen erheblichen Anteil an dem gestiegenen Wasserstand in den Stauseen der Serra de Tramuntana hatte das Novemberunwetter. Innerhalb einer Woche füllte es die nahezu ausgetrockneten Speicher, die nur noch 17 Prozent ihres Fassungsvermögens aufgewiesen hatten, quasi über Nacht auf 70 Prozent auf. Für die nachfolgenden Regenschauer war es danach nicht mehr allzu schwer, die Becken zum Überlaufen zu bringen. Im April war es soweit: Zum zweiten Mal seit ihrer Inbetriebnahme vor rund 30 Jahren waren die Stauseen randvoll.

Der Regen, der alle paar Wochen die insel regelrecht unter Wasser setzte und die Trockenflussbetten in reißende Ströme verwandelte, schaffte auch in einem anderen Punkt Abhilfe: Angesichts der unzähligen umgeworfenen Bäume in den Wäldern hatte die Forstverwaltung regelrecht Panik vor Waldbränden und der massenhaften Verbreitung von Holzschädlingen. Eine Sorge, die sich bei der kühl-feuchten Witterung als unbegründet erwies.

Die Balearen-Regierung hatte nach dem „Temporal” rasch verkündet, das Sturmholz bis Mitte Mai aus den Wäldern herausschaffen zu wollen. Doch angesichts der angefallenen Menge erwies sich das Ziel als nicht realistisch. „Die Arbeiten sind nach wie vor nicht abgeschlossen, und die Brigaden, im Schnitt 105 Mann, gehen weiterhin ihren Aufgaben nach”, sagte die Sprecherin des Umweltministeriums, Carme Jaume.

Bislang wurden über 374.000 Bäume – die dem Agrarministerium unterstellten 150.000 Obst– und Mandelbäume nicht mitgerechnet – zerlegt. Allein auf dem zentralen Lagerplatz in Son Ferriol wachsen die geschichteten Baumstämme in den Himmel. Dort sind nach Jaumes Worten bereits 15.500 Tonnen Holz zusammengekommen, die in der Zukunft versteigert werden sollen.

Neben dem Sturmholz und dessen Verarbeitung sorgten auch die vom Sturm zerstörten Sandstrände für politischen Streit. Die dem spanischen Umweltministerium unterstellte Küstenbehörde ließ keinen Zweifel daran, die Strände so rasch wie möglich mit Sand aus dem Meer aufschütten zu wollen. Die balearische Umweltministerin Margalida Rosselló von den Grünen hielt aus ökologischen Gründen dagegen. Ohne Erfolg. Von Mai an wurden Strände bei Pollença, Can Picafort und an der Ostküste aufgeschüttet. Allein in Cala Millor beförderte ein Hochdruckrohr 14.000 Kubikmeter Meeressand auf das Land. Kosten: sechs Millionen Euro.

Der Schaden, den der Sturm anrichtete, beschränkte sich nicht nur auf das Land. Wie Meeresbiologen vor zwei Wochen bekannt gaben, vernichtete das tosende Meer im Norden der Insel knapp ein Drittel der Algenwiesen unter Wasser. Das so genannte Posidonia-Seegras ist ein unentbehrliches Glied in der Nahrungskette im Meer.

Neben der Flora unter Wasser geriet die Fauna auf dem Land durcheinander. Auf Mallorca wurden im Verlaufe der Monate mehrere Plagen registriert, angefangen von Mücken und Bienen bis hin zu Kakerlaken, Grillen und Ratten. Als Ursache wurde stets der feuchte Sommer genannt, der die Insel das ganze Jahr über „grün” gehalten habe. Der üppige Pflanzenwuchs versorgte die Tiere mit ausreichend Nahrung.

Für die Landwirtschaft waren die Unwetter verheerend. In Sa Pobla verfaulten die Kartoffeln im nassen Boden, und den Winzern verdarben die Trauben an den Weinstöcken. Von den Landwirten haben 1475 Anträge auf finanzielle Hilfe gestellt, die sich insgesamt auf 11'67 Millionen Euro belaufen. Rund 60 Prozent der Schadensfälle wurden bislang abgewickelt. Die Balearen-Regierung hatte unter dem Eindruck der Sturmschäden einen Hilfsfond von 47'5 Millionen Euro für Kommunen und Bürger aufgelegt. Betroffene hatten bis 20. Dezember Zeit, ihre Schäden zu melden. Nach Angaben des balearischen Finanzministeriums wurden bislang 75 Prozent aller Schadensfälle von Privatpersonen geprüft und bezahlt.

Auch wenn die fortgespülten Strände wieder aufgeschüttet, die gekappten Stromleitungen zusammengeflickt und die zerstörten Uferstraßen neu asphaltiert wurden – die behördlichen und finanziellen Folgen des Novembersturms sind noch immer nicht vom Tisch. Und dass den Beamten die Arbeit nicht ausgeht, dafür scheint das Wetter selbst zu sorgen. Denn genau auf den Jahrestag des Temporals hin zog am vergangenen Wochenende ein neues Unwetter über den Archipel. In Ibiza kamen dabei zwei Deutsche ums Leben. Einer wurde von einer riesigen Welle erfasst und ins Meer gerissen. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Ein anderer erlitt Schiffbruch und ertrank.

Auf Mallorca hielten sich die Schäden zum Glück in Grenzen. Auch wenn in Port de Pollença ein Katamaran vom Wind bis auf die Strandpromenade geschleudert und zu Kleinholz verhackstückt wurde.