Das staatliche Gesundheitswesen in Spanien produziert extreme
Nachrichten. Entweder warten die Behörden mit spektakulären
Erfolgsmeldungen auf – oder mit Horrormeldungen. Für Mallorca
bedeutet dies beispielsweise: Erstmals auf der Insel nähten Ärzte
der öffentlichen Klinik Son Llàtzer einem deutschen Touristen
wieder die Hand an, die er sich bei einem Segelunfall mit einem Tau
abgetrennt hatte. Und das staatliche Inselspital Son Dureta bei
Palma hat die Koryphäe Oriol Bonnín für sich gewinnen können. Der
renommierte Experte wird dort eine Herzklinik etablieren, um die
das Festland Mallorca beneiden wird.
Mit Nachrichten über lange Wartelisten, überquellende
Intensivstationen und angeblich tumultartige Zustände wie in einem
Entwicklungsland sorgt die 930 Betten zählende Universitätsklinik
Son Dureta indes auch für negative Schlagzeilen. Auch das
Ambulanzwesen auf der Insel schneidet schlecht ab. Mal dauert es
stundenlang, bis ein Krankenwagen am Unfallort eintrifft, mal
werden die Patienten statt ins öffentliche Krankenhaus zu einer
Privatklinik gefahren. Ihnen wird, so munkelt mancher, für jeden
angelieferten Kunden Kopfgeld bezahlt.
Doch das staatliche Gesundheitssystem hat auch Vorteile: Die
Gliederung seiner Einrichtungen ist überschaubar, wohnortnah und
rund um die Uhr erreichbar. Der Dienstleistungscharakter ist gut
ausgeprägt. So geben unter der Notrufnummer 061 Ärzte auch
medizinische Auskünfte, etwa wenn ein Kind nachts Fieber hat und
die Eltern unschlüssig sind, ob sie ins Krankenhaus gehen, einen
Arzt rufen oder das Kind einfach schlafen lassen sollen.
Generell ist jeder Arbeitnehmer und Selbstständiger, egal ob
Spanier oder Ausländer, samt seinen Familienangehörigen im
staatlichen Gesundheitssystem, der Seguridad Social,
krankenversichert. Nur Staatsbeamte haben die Wahl, ob sie in
gesetzliche oder eine eigene Kasse eintreten wollen.
Wer sich in Spanien durch das staatliche Gesundheitssystem nicht
ausreichend versorgt sieht, und es sich leisten kann, schließt
zusätzlich eine private Krankenversicherung ab. Je nach Preis und
Tarif stellt die Privatversicherung dem Klienten einen Katalog an
Vertragsärzten zur Verfügung oder gewährt gänzlich die freie
Arztwahl. Je nach Versicherung kann der Kunde sich für einige oder
alle neun Privatkliniken der Insel entscheiden.
Auf Mallorca, das lange nur eine staatliche Klinik aufwies,
legte sich traditionell jeder, der es sich leisten konnte, eine
Privatversicherung zu. Weitgehend ausgenommen ist von den
spanischen Versicherungen die Zahnbehandlung. Bezahlt werden
Füllungen und das Entfernen von Zahnstein einmal im Jahr. Wer einen
weitergehenden Zahnschutz haben möchte, muss zusätzliche Verträge
abschließen.
Der im gesetzlichen Gesundheitssystem Versicherte erhält ein
Gesundheitszentrum (Centre de Salut) in seinem Wohnviertel
zugewiesen. Mit einer Bescheinigung der Sozialversicherung meldet
er sich dort an und erhält eine blaue Chipkarte, die Anfertigung
dauert allerdings einige Monate. Auf der Karte sind die Daten des
Versicherten gespeichert.
Im Gesundheitszentrum sind in der Regel mehrere Allgemeinärzte
tätig, von denen wahlweise einer zum Hausarzt der Familie (médico
de cabecera oder de familia) erkoren wird. Daneben sind in den
Centres Kinderärzte und weitere Fachärzte angestellt. Bei Bedarf
überweist der Hausarzt den Patienten an den Spezialisten eines
anderen Zentrums oder direkt zur Untersuchung an ein staatliches
Krankenhaus. Ein Vorteil des Zentrums ist der kollegiale Kontakt
unter den Ärzten, die sich auch gegenseitig vertreten und die meist
die Krankengeschichte der gesamten Familie kennen.
In Palma sind drei der Centres darüber hinaus so genannte
permanente Anlaufstellen (Punts d'atenció continuada/PAC). Sie sind
rund um die Uhr mit einem Notdienst besetzt und ersparen Patienten
in kleineren Notfällen den Gang ins Krankenhaus.
Das gewachsene spanische Gesundheitssystem befindet sich auf
Mallorca derzeit im Umbruch. Seit Anfang des Jahres sind die
Kompetenzen von Madrid nach Palma verlagert worden. Aus der 1978
gegründeten staatlichen Gesundheitsbehörde Insalud wurde auf den
Inseln der Servei de Salut de les Illes Balears, ib-salut. Von der
Dezentralisierung erhoffen sich die Initiatoren mehr Bürgernähe und
eine größere Kosten– und Wirksamkeitskontrolle. Der spanische Staat
finanziert ib-salut allein in diesem Jahr mit 721 Millionen
Euro.
Seit dem Wechsel vor neun Monaten hat die Balearen-Regierung ihr
Versprechen wahrgemacht und die Zahl der Einrichtungen und des
medizinischen Personals aufgestockt. In Palma erhöhte sich die Zahl
der Gesundheitszentren um eins auf 17, inselweit kamen zu den 19
bestehenden drei hinzu, sagt der Kommunikationsdirektor der
ib-salut, Tomeu Ramon.
Desweiteren wurden in den Zentren 21 neue Hausärzte sowie fünf
Kinderärzte eingestellt. Zwölf Mediziner verstärken die PACs. Hinzu
kommen Physiotherapeuten und 20 zusätzliche Krankenschwestern. Im
Vorfeld der Dezentralisierung seien zudem 27 der insgesamt 38
Zentren auf Mallorca renoviert worden.
Die häufig von Deutschen vorgebrachte Kritik, im staatlichen
Gesundheitssystem sei die freie Arztwahl nicht möglich, schränkt
Ramon ein. Wer mit seinem Hausarzt nicht zufrieden ist, kann den
Mediziner innerhalb des Zentrums wechseln. In der Regel seien im
Centre mindestens zwei bis drei beschäftigt. Ein Wechsel des
Zentrums sei dagegen kompliziert. Denn die Mediziner absolvieren im
Krankheitsfall auch Hausbesuche. Dabei falle die Nähe des Wohnortes
ins Gewicht. „Die Ärzte sollen nicht die Stadt durchqueren
müssen.”
Die Balearen-Regierung macht sich für das öffentliche
Gesundheitssystem stark. Erklärtes Ziel ist es, den Bürgern nach
dem Solidaritätsprinzip den Zugang zur Medizin auf dem neuesten
Stand von Wissenschaft und Technik zu ermöglichen.
Auf die Warteliste für Eingriffe in der Klinik Son Dureta
angesprochen, erklärt Ramon, sie stammten noch aus den Zeiten von
Insalud. „Wir wollen die Fristen auf akzeptable Zeiträume
verringern.” Hauruckartige Maßnahmen wie etwa zahlreiche
Überstunden seien jedoch nicht hilfreich. „Aber Fälle mit dringend
gebotener Operation werden ohnehin nicht auf die Warteliste
gesetzt.”
Die Leiterin der AOK-Service– und Beratungsstelle auf Mallorca,
Rosa María Nieves, hat in den vergangenen drei Jahren einen
deutlichen Qualitätsanstieg beim staatlichen Gesundheitssystem auf
der Insel registriert. „Vieles ist besser geworden. Aber es muss
eben noch besser werden.” Das Büro ist die Nahtstelle zwischen
deutschen Versicherten der gesetzlichen Allgemeinen
Ortskrankenkassen und ib-salut. Wer als Tourist oder
vorübergehender Resident auf Mallorca erkrankt, wird per
Europäischem Krankenschein E 111 in den Gesundheitszentren oder den
staatlichen Krankenhäusern kostenfrei behandelt. Das gilt auch für
Versicherte der übrigen gesetzlichen Krankenkassen in
Deutschland.
Bei aller Kritik, die auch Nieves mitunter über die
Krankenhäuser auf der Insel zu hören bekommt, rückt sie die Dinge
wieder ins rechte Lot. „Son Dureta ist ein ausgezeichnetes
Krankenhaus und eine der besten Kliniken in ganz Spanien.” Viele
Inselbewohner wüssten dies und würden auch bei kleinen Wehwehchen
dorthin eilen. „Wenn dann noch zeitgleich mehrere Schwerverletzte
nach einem Verkehrsunfall eingeliefert werden, ist die Aufnahme
natürlich überlastet. Die weniger ernsten Fälle müssen warten.”
Über die guten wie schlechten Erfahrungen, die Patienten mit
Einrichtungen der Seguridad Social gemacht haben, lassen sich
Bücher füllen. Die Österreicherin Petra S. etwa gebar vor einem
Jahr in Son Dureta ihren Sohn und hat sich in der Klinik „bestens
versorgt” sowie „zuvorkommend behandelt” gefühlt. Die Deutsche Eva
B. ist ebenfalls voll des Lobes über ihr Gesundheitszentrum in
Palma. „Die Räume sind zwar schlicht, aber die Ärzte und Schwestern
kümmern sich rührend.”
Als ihr Baby unerklärliches Fieber hatte, wurde es sofort für
vier Tage nach Son Dureta gebracht, wo Mutter und Kind ein Zimmer
alleine für sich hatten. „Und den verletzten Fuß meines Mannes
hätte man in Deutschland auch nicht besser hinbekommen.” Pech
dagegen hatte der Deutsche Karl E. Am späten Abend suchte er mit 41
Fieber ein PAC in Palma auf. Nach einer Stunde Warterei wurde ihm
mitgeteilt, dass in der 24-Stunden-Noteinrichtung kein Arzt zugegen
sei. Nach weiteren 45 Minuten erschien ein Weißkittel und gab Karl
ein Medikament.
Oftmals geben Sprachprobleme Anlass zu Unstimmigkeiten.
Andererseits gibt es auch im staatlichen System Ärzte, die Deutsch
oder zumindest Englisch sprechen, falls ein Patient kein Spanisch
kann.
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