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Noch sehen sie reichlich unscheinbar aus, die Weinstöcke auf Mallorca. Erst wenn die Sonne wärmer scheint, steigt in dem knorrigen Holzstrünken der Saft auf, zeigen sich die ersten grünen Triebe, an denen im Herbst die Trauben hängen werden. Von dem derzeit unspektakulären Aussehen der Pflanzen auf die Situation der mallorquinischen Weine zu schließen, wäre indes falsch. In der Winzerschaft regt es sich, der Weinbau auf der Insel erlebt derzeit einen einzigartigen Boom, mit dem noch vor zehn Jahren niemand gerechnet hätte: Wein aus Mallorca erobert sich neue Märkte im Ausland und erfreut sich vor allem in Deutschland wachsender Beliebtheit.

Glanzvoller Ausdruck des Erfolges, den die Macher der Edeltropfen in jüngster Zeit verbuchten, ist der Große Preis, die der Winzer Miquel Gelabert aus Manacor vor wenigen Wochen beim dritten internationalen Weinsalon in Madrid für seinen einheimste. Der rote '99er „Gran Vinya Son Caules” wurde bei der Blindverkosteung als bester spanischer Wein gewürdigt. Der Erfolg ist keine Eintagsfliege. Bereits im Vorjahr hatte Gelabert in Madrid für einen im Barrique ausgebauten Chardonnay Gold erhalten.

Miquel Gelabert gehört zu jener Generation junger Winzer, die Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts begann, mit den überkommenen Weintradition auf Mallorca zu brechen und statt auf Masse auf Klasse zu setzen. Wo im den väterlichen Betrieben der Wein noch häufig am offenen Fass in mitgebrachte Plastikkanister umgefüllt und verkauft wurde, setzten die Nachfolger – auf dem Weingut Hereus de Ribas waren es diesem Fall sogar Nachfolgerinnen – erstmals das Abfüllen der Eigenproduktion in die Flasche durch.

Die „Joves Folls”, die jungen Verrückten, ernteten schieres Unverständnis, wenn sie etwa mit der Rebschere durch die Zeilen gingen und die heranreifenden Trauben zur Hälfte ausdünnten, um die Qualität der verbleibenden Früchte zu steigern. „Die Leuten hielten uns für bekloppt und wollten uns vom Hof jagen”, erinnert sich Jungwinzer Francesc Grimalt aus Felanitx, der in Ermangelung eigener Anbauflächen bei Landbesitzern alte Callet-Weinstöcke gepachtet hatte. Grimalt und seine beiden Partner zählen heute mit ihrem tiefroten „Anima Negra” zu den Shooting-Stars der spanischen Wein-Szene.

Das Flagschiff unter den organisierten Winzern auf Mallorca, die Vereinigung der anerkannten Anbauregion Denominació d'Origen (DO) Binissalem, hat vergangene Woche Zahlen vorgelegt, die den Höhenflug der Inselweine eindrucksvoll belegen: In den vergangenen fünf Jahren wuchs die Anbaufläche in der zentralmallorquinischen Weinregion um 55 Prozent auf rund 470 Hektar. Allein im vergangenen Jahr füllten die neun Bodegas der DO mit über 908.200 Litern 12'5 Prozent mehr Wein ab als im Jahre 2000. Die Steigerung der Weinmenge ist insofern beträchtlich, als die Ernteeträge pro Hektar infolge der vorausgegangenen Trockenheit geringer ausgefallen waren.

Wie sehr die Weine aus Binissalem mittlerweile in der Bundesrepublik gefragt sind, lässt sich an den Exportdaten ablesen: 1993 – vier Jahre nach der Anerkennung des Anbaugebietes als DO-Region – fanden gerade mal 18'73 Hektoliter den Weg nach Deutschland. 1999 waren es bereits 77 Hektoliter, im Jahr darauf explodierten die Ausfuhren nach Alemania auf 191 Hektoliter. 2001 erhöhte sich die Weinmenge noch einmal auf nahezu 207 Hektoliter. Die Bundesrepublik ist mit Abstand der bedeutendste ausländische Abnehmer für Weine aus Binissalem, gefolgt von Österreich und Japan.

Die Gründe für den Erfolg der Edeltropfen der DO-Binissalem führt der Sekretär der Organisation, José Carretero de Oleza, zum einen auf die Hinwendung der Winzer zu mehr Qualität zurück. So werde bei den Trauben eine strengere Auswahl getroffen, die Gärung laufe kontrolliert und über längere Zeiträume ab. „Die Weine wurden von Jahr zu Jahr besser”. Zum anderen hat sich nach Olezas Worten positiv ausgewirkt, das die Winzer auf ihre einheimischen Rebsorten beharrten und internationalen Mode-Trends in Sachen Wein nur mit Bedacht folgten. So müssen alle Rotweine, die das DO-Siegel aus Binissalem tragen, mindestens zur Hälfte aus der Mallorca-Traube Manto Negro gekeltert sein.

Andere Rebsorten wie die mallorquinischen Callet-Trauben oder die vom spanischen Festland stammenden Sorten Tempranillo und Monastrell dürfen jeweils nur einen Höchstanteil von 30 Prozent stellen. Erst 1997 öffnete sich die Winzerorganisation auch zaghaft ausländischen Sorten und ließ die französische Cabernet-Sauvignon-Rebe zu. Seit wenigen Wochen ist auch die Syrah-Rebe erlaubt, beide zu je einem maximalen Anteil von 30 Prozent. „Unsere Philosophie ist, die Einzigartigkeit unserer Manto-Negro-Weine, die nirgendwo sonst auf der Welt angebaut werden, zu bewahren”, so Oleza. Die Organisation sieht ihr Konzept bestätigt. „Der Trend geht hin zu individuellen Weinen von eigenständiger Prägung.”

Ungeachtet aller Euphorie schlägt Oleza auch warnende Töne an. Derzeit werde in der Weinbau-Gemarkung Binissalem, zu der auch die Kommunen Santa Maria del Camí, Santa Eugènia, Consell und Sencelles gehören, zu viel Wein angepflanzt. „Wachstum ist gut, aber es darf nicht zu schnell erfolgen”. Andernfalls könne bei der Traubenlese nicht mehr jene Sorgfalt an der Tag gelegt werden, die zum Ausbauen der Qualitätsweine notwendig ist.

Der Inhaber der Weinhandlung Casa del Vino in Manacor, Norbert Deingruber, hat ähnliche Bedenken, was die Zukunft des mallorquinischen Weinbaus angeht: „Mittlerweile hat auch der letzte Bauer gemerkt, dass mit Weintrauben ein gutes Geschäft zu machen ist.” Die Winzer müssten darauf achten, nicht zuviel Fläche zu bebauen, sonst rutschten sie wieder in jene Massenproduktion ab, wie sie vor dem Quantensprung in Sachen Qualität auf der Insel vorherrschte. „Der Wein, der heute hergestellt wird, hat sich Galaxien entfernt von dem Ramsch, der noch vor zehn, 15 Jahren produziert wurde.” Ungeachtet der „unglaublichen” Qualitätssteigerung müsse die Devise lauten: „Klein bleiben, aber fein bleiben”, so Deingruber.

Auch preislich haben die mallorquinischen Weine in den vergangenen jahren „einen Satz” gemacht. Allerdings seien die Preise, die Deingruber insgesamt für gerechtfertigt hält, „nur eine Nuance” höher als bei vergleichbaren Bodegas auf dem Festland. Bis auf wenige Ausnahmen wie die Bodegas Ferrer oder Santa Catarina haben die meisten Weingüter der Insel eine relativ kleine Produktion von 1000 bis 25.000 Flaschen im Jahr. „Aber alle diese Bodegas verfügen über die modernste Technologie und setzen extrem auf Qualität.” Das treibt den Preis in die Höhe. Sollte Mallorca den Weg der Qualitätssteigerung fortsetzen, habe die Insel durchaus die Chance, sich neben dem Priorato in Katalonien als zweite, kleine Edel-Weineregion Spaniens zu etablieren.

Die hochmoderne Weinwirtschaft auf der Insel ist dadurch zu erklären, dass viele Bodegas erst in den vergangenen 15 Jahren entstanden sind. Miquel Gelabert ging 1985 an den Start. Im gleichen Jahr öffnete die Bodega Santa Catarina bei Andratx ihre Pforten. Die Ribas-Schwestern übernahmen das Familien-Weingut in Consell 1987, die Winzer von „Anima Negra” befüllten erstmals 1994 zwei Eichenfässchen mit fermentiertem Most. Das Jahr 1998 verzeichnete zwei weitere Bodega-Gründungen, deren Produkte mit ihren zum Teil kunstvoll gestalteten Flaschenetiketten zur Spitzenklasse gezählt werden: Macià Batle in Santa Maria und Son Bordils bei Inca.

Eine gestiegene Nachfrage nach mallorquinischen Weinen in Deutschland hat auch die zweite anerkannte Anbauregion Mallorcas, die Denominació d'Origen Pla i Llevant, registriert. „Gut zehn Prozent der Produktion unserer Mitglieder gehen nach Deutschland”, schätzt der Präsident der Organisation, Jaume Mesquida. Der 52-jährige Winzer gilt als der bekannteste „Jove foll” und unumstrittener Erneuerer des Weinbaus auf der Insel. Der studierte Weinkundler war 1970 in die väterlicher Bodega in Porreres eingetreten. Aufsehen erregte er, als er in den 80er Jahren als erster ausländische Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot und Chardonnay anbaute. 1992 präsentierte Mesquida zudem mit seinem „Xampan” als erster einen auf Mallorca hergestellten Schaumwein.

„Der Weinbau auf der Insel durchlebt derzeit eine exzellente Phase. Der Wein hat nun jene Stellung inne, die ihm auch zusteht”, resümiert Mesquida im Rückblick auf die vergangenen drei Jahrzehnte. Starke Impulse zur Qualitätssteigerung seien, so Mesquida, vor allem von den deutschen Residenten auf der Insel ausgegangen. „Die Deutschen interessierten sich für klassische, bodenständige Produkte. Mit ihren Forderungen nach dem Besonderen, nach Qualität haben sie letztlich auch die Augen der Mallorquiner geöffnet, die bis dahin lieber Weine aus der Rioja denn von der eigenen Insel getrunken haben.”

Gleichwohl betrachtet auch Mesquida die künftige Entwicklung mit gemischten Gefühlen. „Wir müssen aufpassen, dass uns der Wein nicht zu Kopf steigt.” Mit dem Boom seien auch Investoreren aufgetreten, die nun Gelder aus anderen Wirtschaftsbereichen in die Weinproduktion steckten und Reben anpflanzten. „Das hat ein bisschen was von Snobismus, von Weinmacherei.” Mesquida vermisst bei diesen Unternehmungen jene „spezielle Hingabe und Muße”, die ein Weinbauer haben sollte. Die Weinherstellung sei ein Traditionshandwerk und ein Beruf aus Berufung, der zur Bescheidenheit, nicht zum Stolz führen sollte. „Der Winzer muss sein Land lieben.”