Für viele ist Sóller das Städtchen im Orangental, eingerahmt von
majestätischen Bergen und immergrünen Zitrushainen, mit
Kopfsteinpflaster in den Gassen, pittoresken Ruckelzügen auf den
Straßen und reicher Jugendstil-Architektur an der
Platanen-umsäumten Plaça. Für viele ist Sóller deshalb auch die
schönste Stadt auf Mallorca. Doch das romantische Bild der
Orangenblüten-Kommune wird der Realität nur zum Teil gerecht.
Wenn der sozialistische Bürgermeister Ramon Socias aus seinem
Amtszimmer auf das Treiben in den Cafés am Platz hinabblickt,
bleibt seine Stirn von Sorgenfalten nicht frei. „Wollen wir zu
einer Schlafstadt ohne weitere Ansprüche werden, oder müssen wir
Lösungen finden für unsere Firmen, unseren Fremdenverkehr, unsere
Handwerksbetriebe etc?”, hat der Alkalde vor wenigen Wochen laut
nachgedacht. Seit seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr will der
Politiker den drängenden Fragen der Kommune neue Impulse geben.
Der 41-Jährige Socias war, wie mit dem Koalitionspartner PSM
verabredet, zur Hälfte der Legislaturperiode auf seinen
Amtsvorgänger Joan Arbona gefolgt. Socias weiß, die Stadt ist
derzeit in zwei Lager gespalten. Wie kaum ein anderes Projekt seit
der Eröffnung des Sóller-Tunnels im Jahre 1997 hat das Vorhaben zur
Ausweisung eines Industriegebiets im malerischen Orangental die
„Sollerics” in Rage gebracht. Der neue Bürgermeister versprach in
Anbetracht der Lage keine schnellen Erfolgsrezepte, sondern setzt
auf Gedankenaustausch, Meinungsbildung, Mehrheitsfindung. „Wir
brauchen eine allgemeine Debatte aller Bürger über die Zukunft
unserer Stadt. Wo wollen wir in zehn, 15, 20 Jahren stehen?”
Die Pläne für ein Gewerbegebiet reichen bis weit in die 80er
Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Nach der Verabschiedung
des kommunalen Entwicklungsplans im Jahre 1998 sollte der
Industriepark auf dem Gelände Son Puça zwischen Sóller und Port de
Sóller angesiedelt werden. Was folgte, war ein Aufschrei der
Umweltschützer. Wird das Projekt verwirklicht, ist das malerische
Tal unwiederbringlich verschandelt, warnten die Ausbaugegner im
vergangenen Jahr. „Machen Sie noch schnell ein Foto”, rieten sie
Touristen auf Protestplakaten in deutscher und englischer
Sprache.
Die Unternehmer und Geschäftsleute in Sóller drohten ihrerseits
mit Abwanderung, falls sie kein geeignetes Areal erhielten. Der
Kommune würden Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren gehen.
Allein im Vorjahr mussten nach Socias Worten ein Bau– und ein
Malerunternehmen schließen, da sich die Betriebe in Wohngebieten
befinden. Ein dritte Firma verlagerte den Sitz nach Santa
Margalida.
Die Pläne für Son Puça sind nach den Protesten vorerst
ausgesetzt. Socias will stattdessen in naher Zukunft die Gruppen
und Organisationen der Stadt wie Parteien, Unternehmerverbände,
Gewerkschaften, Umweltgruppen, Anwohnervereinigungen und
Kulturvereine an einem runden Tisch zusammenbringen. Auf
öffentlichen Veranstaltungen sollen sie jeweils ihre Visionen für
Sóller bekanntgeben. Bezogen auf das Gewerbegebiet drehe sich alles
um Fragen wie ,Brauchen wir eins?´, ,Wenn ja, wie groß?´ und ,Wohin
– bei geringstmöglichen Auswirkungen auf die Landschaft'.
Socias will seine persönliche Position zugunsten einer
unvoreingenommenen Diskussion nicht in den Vordergrund stellen,
verweist aber auf Erklärungen seiner Partei, die verhindern will,
dass der Ort zur einer „ciudad dormitorio” verkommt. Sóller sei in
Sachen Wirtschaft stets fortschrittlich ausgerichtet gewesen. 1890
wurde eine eigene Bank gegründet, als einer der ersten Orte der
Insel erhielt Sóller Strom und 1912 finanzierten die Bürger ihre
eigene Eisenbahn. „Das alles darf nicht verloren gehen. Sóller muss
sich behutsam weiterentwickeln können, ohne jedoch sein Kulturerbe
zu verspielen, das den Wert dieser Stadt ausmacht.”
Im Hafen von Sóller ist unterdessen der Wandel der Kommune in
vollem Gange. Der „Plan de Excellència” sieht den Ausbau der Kais
vor, die Kapazität der Schwimmstege soll um 40 Prozent steigen, die
Zahl der Liegeplätze für Kleinboote wird von 250 auf 420 erhöht.
Mit den Arbeiten geht der Abriss der aufgegebenen Militärgebäude
auf der Halbinsel in der natürlichen Hafenbucht einher. „Wir können
damit die ursprüngliche Meeresfront des alten Fischerviertels
wiedererlangen”, sagt Socias.
In der Kapelle Santa Catalina, die auf dem Hügel über dem
Ortskern thront, wird ebenfalls eifrig gewerkelt. Dort soll Ende
2003 das Marine-Museum der Balearen einen angemessenen Platz
erhalten – nach Jahren des Kellerdaseins in Palma. Die Arbeiten
sind nur ein Teil des Hafenprojekts, in das aus verschiedenen
Geldtöpfen insgesamt 33 Millionen Euro investiert werden. Der
spanische Staat will einen Tunnel nach Port de Sóller finanzieren,
um die Verbindungsstraße am Meer zu entlasten. Bis 2005 solle auch
dieser Bereich wie an der Platja d'en Repic in eine
Fußgänger-Promenade umgewandelt werden.
Das spanische Umweltministerium will ferner das leerstehende
Hotel Mar Blau erwerben, abreißen und in eine Grünzone verwandeln.
Auch das Sa-Talaia-Hotelprojekt deutscher Investoren am Felshang
über Port de Sóller befindet sich nach Socias Worten auf einem
guten Weg. Der Alkalde geht davon aus, dass die Bauherren eine
Reihe von Verstößen gegen die Bauvorgaben wieder beseitigen werden,
sobald die Abrissgenehmigung vorliegt. „Ich glaube, dass das
Luxus-Hotel trotz seiner Ausmaße das Prestige von Port de Sóller
steigern wird.”
Die Beziehungen zwischen den Sollerics und den rund 450
gemeldeten deutschen Residenten sind nach Socias Worten „sehr gut.
Es gibt viele, die sich integrieren und hier sogar Firmen gegründet
haben.”
Eine der langjährigsten Deutschen, die in Sóller eine neue
Heimat gefunden hat, ist Maria Schäfer. Das Haus der Geschäftsfrau
aus Offenbach liegt an der Hauptstraße Richtung Hafen und ist
aufgrund der Eigenwerbung für frischen Orangensaft nicht zu
übersehen. Maria Schäfer, Jahrgang 1939, war vor 20 Jahren mit
ihrem Mann – dem vor zwei Jahren verstorbenen Teufelsgeiger und
Radrennfahrer Ludwig Schäfer – als Touristin nach Sóller gekommen.
Den beiden gefiel der Ort so gut, dass sie schon am zweiten
Urlaubstag die „Villa Orleans” erwarben, von einer betagten
Französin, die in ihre Geburtsstadt zurückkehren wollte. Seit
damals hat sich in Sóller manches verändert, sagt Maria Schäfer,
die zu einer der ersten deutschen Dauerresidenten im Orangental
wurde.
Der Autoverkehr hat seit der Tunnel-Eröffnung stark zugenommen,
beobachtete Schäfer im Laufe der Jahre. „Schlafen bei geöffnetem
Fenster ist nicht mehr drin”. Im Ortskern seien zudem mit dem
Einzug der Handelsketten nach und nach viele kleine Geschäfte
verschwunden. Doch es gibt auch positive Entwicklung. Sóllers Plaça
Constitució vor der Kathedrale wurde verkehrsberuhigt und habe sehr
hinzugewonnen. Und auch die Wasserqualität in der Badebucht habe
sich seit der Inbetriebnahme des städtischen Klärwerks vor wenigen
Jahren deutlich verbessert. „Es ist meistens kristallklar. Im
Sommer gehe ich jeden Tag schwimmen.”
In ihrem mallorquinischen Freundeskreis hat Schäfer keinen
Wandel in der Einstellung der Inselbewohner den Deutschen gegenüber
feststellen können. Die Seniorin ist Ehrenmitglied der örtlichen
Partido Popular, spricht fließend Spanisch und versteht problemlos
Mallorquín. „Mallorquiner sind zunächst zurückhaltend. Wenn man
aber Freunde gewonnen hat, dann ist das fürs Leben.” Auch ihre
künftigen Lebensjahre will Schäfer auf Mallorca verbringen. „Ich
gehe nicht von der Insel weg. Das steht fest.”
Einer der jüngst hinzugekommenen deutschen Residenten in Sóller
ist Jürgen Meeske. Nach neun Monaten Umbau eröffnete er im Sommer
1999 ein Galerie-Café gegenüber der Kirche. Der Düsseldorfer fühlt
sich von den mallorquinischen Kollegen akzeptiert, die Bürger der
Stadt ziehen dennoch weitgehend die traditionellen Stammplätze vor.
„Die Masse unserer Kunden sind schon die Touristen.” Für seine
Kinder ist Sóller indes zur Heimat geworden. Sie besuchen im Ort
die Vorschule, sprechen Spanisch und Mallorquín. Auch Meeske will
bleiben. „Ich sehe keinen Grund, noch einmal den Standort zu
wechseln.”
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.