Virginia Muñoz und Raúl González sind extra aus Andalusien auf die Insel gekommen, um zu tanzen. | Ingo Thor - MM

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Es ist dieses Steppen mit Lederschuhen, das einem wie ein Pflock im Ohr stecken bleibt und immer und immer wieder hallt, auch wenn wieder längere Zeit Stille herrscht. Hinzu kommen mal konzentrierte, mal verträumte, mal von Schmerz und Leid geprägte, manchmal stechende Blicke und die winzigen Schweißtropfen, die beim Herumwirbeln der Tänzer unterm Scheinwerferlicht von der Haut geschleudert werden.

Virginia Muñoz und Raúl González haben keine Mühe, das Mallorca-Publikum mit ihren rassigen Flamenco-Einlagen ohne Zeitverzug in ihren Bann zu ziehen. Im erst im Frühjahr eröffneten „Tablao Flamenco” am Innenstadtring Avenidas – einem der ganz wenigen dieser Art in Palma – heften sich die fast gläubigen Blicke von Deutschen, Spaniern und englischsprachigen Gästen magnetisch an die schmissigen Bewegungen der andalusischen Künstler.

„Wir wollen, dass man auch auf Mallorca vermehrt in den Genuss dieser urspanischen Kunst kommt”, sagt Rocío Arrom während einer kurzen leisen Gitarren-Einlage. Die Insulanerin hatte das mit Porträts von Flamenco-Kapazitäten und Stieren dekorierte Tanz-Etablissement im Frühling zusammen mit ihrem andalusischen Lebenspartner Francisco Valero in der Nähe der Blumen-Rambla eröffnet. „Zwei Jahre war das Projekt akribisch vorbereitet worden”, so Rocío Arrom. „Alle 15 Tage kommen neue Tänzer auf die Insel.”

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Man richte sich an Residenten, aber auch an Touristen, so die tanzvernarrte Lokalbetreiberin. Die geneigten Flamenco-Fans fühlen sich dann bei drei je etwa einstündigen Vorstellungen pro Tag (17.30, 19.30 und 21.30 Uhr) bei Sangría, Cava oder Wein mitunter wie im Triana-Viertel zu Sevilla, wo sich die „bailaores” und „bailaoras” bekanntlich fast wie im Wahn nachtaus nachtein in Ekstase tanzen. Hüben wie drüben geht es den Künstlern um das unverfälschte Ausleben ihrer Gefühle. Ob Trauer, Freude oder Sinnlichkeit, Tänzer wie Virginia Muñoz und Raúl González vermögen es so perfekt, sich in diese Zustände hineinzusteigern, dass im „Tablao” manch ein Gast wie elektrisiert zuckt oder sich im Stakkato der unaufhörlich steppenden Füße, der Gitarrenklänge und dem Händeklatschen wie eine Palme im Wind wiegt. Auch Jutta aus Stuttgart, die zusammen mit Freundinnen auf Mallorca ihren wohlverdienten Urlaub verbringt, ist beeindruckt. „Ich bin hin und weg von der Vorstellung”, haucht sie während einer kurzen Pause. Ihre Augen wirken leicht feucht, sie sagt leise „Olé”.

Andere Gäste führen sich derweil interessiert die an den Wänden hängenden großflächigen Bilder des Malers José Luis Ponce zu Gemüte. Er bannte für das neue „Tablao” unter anderem den fast gottgleichen, im Jahr 1992 jung verstorbenen „bailaor” Camarón de la Isla auf Leinwand. Letzterer war es, der es im Jahr 1987 im Cirque d’Hiver in Paris bewerkstelligte, drei Tage hintereinander wie im Rausch zu tanzen, und so seine ihm vollends ergebene Flamenco-Fangemeinde in eine Art andere geistig-emotionale Dimension katapultierte.

Der im christlich-moslemischen Schmelztiegel Südspanien vor langer Zeit geborene Stepptanz wurde den Besuchern auf Mallorca in den vergangenen Jahrzehnten zwar immer wieder geboten – in Hotels oder in den 1950ern und 1960ern in Andalusier-Pinten sogar in Arenal – doch richtig organisierte „Tablaos” wie etwa in Madrid gab es kaum. Neben dem „Alma” findet sich auf der Insel allein das zum kleinen „Teatre Sans” gehörende „Palma Flamenco” im alten Zentrum, wo derzeit jeden Mittwochabend um 21 Uhr eine Aufführung startet. Auch im Son-Amar-Komplex außerhalb der Stadt wirbeln immer mal wieder „bailaores” zum Frommen der Tanz-Adepten und von generell an Spanien interessierten Zugereisten im Rahmen größerer Shows über die Bühne. Aber immerhin: Ein bisschen ist auch etwas.