Ein tief verwurzeltes Ritual: An Allerheiligen schmücken die Menschen auf den Balearen die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen mit Blumen. | Daniel Espinosa

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Der alte Biel war schon über 90 und kümmerte sich längst nicht mehr um seine Ländereien. Irgendwann stand ein Bauer aus dem Nachbardorf vor seiner Tür, um ihm ein Kaufangebot für eines seiner verwilderten Grundstücke zu unterbreiten. Doch statt Biel öffnete seine Frau und sagte: "Mein Mann ist im Himmel."

Hätte der Bauer im gleichen Dorf gewohnt, hätte er dies gewusst. Denn auf Mallorca wird der Tod eines Menschen in erster Linie nicht per Traueranzeige bekannt gegeben. Die Hinterbliebenen verständigen Verwandte und Freunde, die wiederum die Nachricht an ihre Bekannten weitertragen. Und es gibt die "Esquelas": Ob beim Bäcker oder im Tabakladen, in der Apotheke, auf dem Markt oder im Hauseingang, überall verkünden Zettel mit Konterfei, Namen, Geburts- und Todesdatum das Ableben einer Person sowie den Termin der Bestattung.

Anders als in Deutschland ist in Spanien der Tod eine öffentliche Angelegenheit. Äußerungen wie "Von Beileidsbekundungen bitten wir Abstand zu nehmen" wären auf der Insel undenkbar. "Man erweist dem Toten nicht nur die letzte Ehre, sondern leistet den Hinterbliebenen auch emotionalen Beistand", erklärt dies die Psychologin Elena García. Diese Anteilnahme zurückzuweisen, würde all jene vor den Kopf stoßen, die sie zum Ausdruck bringen.

Die Anteilnahme wird in der Regel mündlich und vor Ort bekundet. Denn für Beileidsschreiben wäre die Zeit viel zu knapp. Als es noch keine kühlbaren Räume für die Aufbahrung der Verstorbenen gab, musste die Zeit zwischen Tod und Beisetzung möglichst kurz gehalten werden. Diese Tradition ist in der Ära der Air-Condition erhalten geblieben.

Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden die Toten einen Tag lang in ihrem Bett aufgebahrt. Dann kamen Verwandte, Freunde, Kollegen und Nachbarn vorbei, um den Hinterbliebenen ihr "mas sentido pésame", ihr tief empfundenes Beileid auszudrücken.

Die 55-jährige Elena García kann sich noch an solche Rituale in ihrer Kindheit erinnern. "Im Haus des Toten stand für die Besucher meist ein kleiner Aperitif bereit", erzählt sie. "Am Bett des Toten saßen Veladoras. Das waren besonders fromme Frauen, die mit den Besuchern besondere Totengebete sprachen. Sie hielten Fürbitte, und in manchen Gebeten ging es auch um ein Wiedersehen im Jenseits."

Heute hat sich das "velatorio", die Totenwache, in die Leichenhallen der Friedhöfe verlegt. Die moderne "Tanatorios" sind räumlich zweigeteilt. Wer den Toten nicht sehen will, kann sich nur im Vorraum aufhalten.

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In den "Tanatorios" findet nicht nur die Aussegnung statt. In einem Glaskasten wird der Leichnam mehrere Stunden zur Schau gestellt. Nach und nach versammeln sich Verwandte, Freunde und Bekannte des Toten und der Hinterbliebenen. Sie sprechen mit den Angehörigen über den Verstorbenen, tauschen Erinnerungen aus, um schließlich über Dies und Das und Gott und die Welt zu reden.

Nach dem "Velatorio" findet meist die Beisetzung statt – mittlerweile auch die Einäscherung, die von der katholischen Kirche erst 1963 erlaubt wurde.

Wie in anderen südeuropäischen Ländern auch, werden die Toten gewöhnlich in Grabnischen zur letzten Ruhe gebettet. Diese Nischen sind wie Schubladen in mehrstöckigen Mauern angelegt und zum Teil über Treppen erreichbar. Wohlhabende Familien haben auch Mausoleen. Nachdem der Sarg in die Nische geschoben wurde, wird sie mit einer Steinplatte zugemauert. Neben Namen, Geburts- und Todesdatum befindet sich oft auch ein Bild der verstorbenen Person.

Die Bestattung erfolgt im Familienkreis. Anders die Totenmesse, die gewöhnlich am Tag nach dem "Velatorio" stattfindet, jedoch nicht am Wochenende. Dann füllt sich die Kirche mit einer großen Trauergemeinde. Ganz vorne sitzen die nächsten Angehörigen, dunkel oder in Schwarz gekleidet, und traditionell mit den Frauen in der einen und den Männern in der anderen Bankreihe. Hinter ihnen ist die Sitzordnung ebenso bunt wie die Kleidung der Anwesenden, die sowohl zum "Velatorio" als auch zur Messe in Alltagsklamotten erscheinen.

Wer von Mallorca nur ungeordnete Warteschlangen kennt, war noch auf keiner Totenmesse. Am Ende erhebt sich die Trauergemeinde wie nach Drehbuch aus den Kirchenbänken, geordnet von hinten nach vorne. So defiliert sie erst an den weiblichen, dann an den männlichen Hinterbliebenen vorbei, die sich erhoben haben, um noch einmal ihr aufrichtiges Beileid zu bekunden. Dann tröstende Worte wie das spanische "Mi más sentido pésame" oder das katalanische "El meu mes sentit condol".

Nach der Messe versammeln sich viele Trauergäste noch zu einem Plausch vor der Kirche. Der Leichenschmaus ist der mallorquinischen Kultur dagegen fremd. Statt dessen gibt es ein "Recordatorio": Diese verzierte Erinnerungskarte mit Namen, Todestag und einem Gebet oder Gedicht wird auf Wunsch - und gegen Bezahlung - vom Bestattungsunternehmen in der Aussegnungshalle oder in der Kirche bereitgelegt.

Die Grabpflege wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Ein gesellschaftlich verwurzeltes Ritual findet allerdings an Allerheiligen statt. An diesem Tag, dem 1. November, werden die Gräber mit Blumen geschmückt, die Friedhöfe verwandeln sich in blühende Orte, die von zahlreichen Menschen besucht werden.

Kurioserweise ist Allerheiligen in Spanien ein gesetzlicher Feiertag, Allerseelen, der eigentliche Totengedenktag am 2. November, dagegen nicht. Elena García hat dafür folgende Erklärung parat: "Im Katholizismus kommen die Heiligen eben vor der Logik."