Den Holzsessel zwischen die Knie geklemmt, zeigt Guillem Montserrat, wie er Stuhlsitze flicht. Eine Schleife, zwei, drei, sechs Schleifen, dann die Schnur über die Sitzfläche ziehen. Schnell und leicht dirigieren seine Hände die Kordel. Fast meint man, er spielt ein Instrument.
Vor anderthalb Jahren hat der Mallorquiner seine Werkstatt in Llucmajor eröffnet. Im vorderen Raum stehen kleine und große Stühle, Fußstützen und Lampenschirme, die mit unterschiedlichen Materialien und Mustern geflochten sind. Im hinteren Raum stapeln sich Boxen mit Flechtschnüren und sitzlose Sesselgerüste, Auftragsarbeiten für Hotels, Innenarchitekten und Privatkunden.
„So weit ich weiß, bin ich der einzige Stuhlflechter auf der Insel”, meint der 48-Jährige und lacht. Nie hätte er gedacht, dass er einmal so viele Aufträge bekommen würde. Mit einer Schulaufgabe habe es angefangen, erzählt er. „Im Fach Handarbeiten sollten wir etwas gestalten, was genau, war uns überlassen.” Der damals Zwölfjährige entschied sich, einen Stuhlsessel zu flechten, und bat den Großvater um Hilfe. Dieser war kein Meister, aber wie die meisten Mallorquiner, die auf dem Land lebten, konnte er flechten.
„Er leitete mich an und ich legte los.” Das Ergebnis war so gut, dass der Lehrer nicht glaubte, dass er es selbst gemacht hatte. Er gab dem Jungen eine Drei. Im Jahr darauf habe er wieder einen Stuhl geflochten. Dieses Mal bekam er eine Zwei und im nächsten Jahr eine Eins.
Für Verwandte und Nachbarn begann Montserrat, kaputte Stuhlsitze und Lehnen zu reparieren. Einen symbolischen Preis konnte er nur dafür nehmen. „Sie wollten nichts bezahlen, weil sie sich nicht vorstellen konnten, wie aufwendig flechten ist.” Erst deutsche und englische Touristen hätten seine Arbeit geschätzt. Seit 1996 geht Montserrat auf Landwirtschaftsmessen. In den vergangenen Jahren sei die Nachfrage sehr gestiegen, auch von Mallorquinern. „Das Bewusstsein ist gewachsen, dass wir nicht immer alles wegwerfen sollen, sondern Dinge bewahren und reparieren.”
Gut 30 verschiedene Muster flicht der Kunsthandwerker. Anleitungen sucht man vergeblich in der Werkstatt. „Ich habe sie alle im Kopf”, meint er. Darunter sind traditionelle mallorquinische Designs ebenso wie eigene Kreationen. Neulich sei er mitten in der Nacht aufgewacht, weil er von einem neuen Muster geträumt habe. Er habe es schnell aufgeschrieben und am nächsten Morgen geflochten. Typisch für Mallorca seien grobe Karos und Rautenformen, die an die Llengües-Stoffe erinnerten.
Verarbeitet werden in seiner Werkstatt (cordatsguillem.es) Naturmaterialien wie Espartogras, Jute, Sisal und andere Agavefasern, Baumwolle, Algen und sogar Papier, vereinzelt auch Kunstschnüre aus Polypropolen. Diese seien teurer, aber robuster und könnten leichter gefärbt werden. „Naturschnüre geben mit der Zeit nach. Deshalb ist es sehr wichtig, engmaschig zu flechten. Das gibt Stabilität”, erklärt Montserrat. Sein einziges Werkzeug ist ein langer, Stricknadel-ähnlicher Stab. Sonst machen die Hände und Finger die ganze Arbeit. Das sieht sehr anstrengend aus. „Vor allem trocknen die Schnüre die Hände aus”, meint er und öffnet eine Dose mit Feuchtigkeitscreme. „Sie glauben gar nicht, was ich schmieren muss.” Ansonsten käme es auf die richtige Technik an. „Schauen Sie, die Kraft kommt aus dem ganzen Körper.” Es sei wichtig, nicht so fest wie möglich zu ziehen, sondern gleichmäßig. Sonst würden die Schnüre reißen. Für einen Stuhlsitz brauche er etwa vier Stunden.
Kompliziert werde es bei gebogenen Formen und wenn der Stuhl erst repariert werden müsse, weil das Holz gespalten sei.
Noch kann Guillem Montserrat nicht alleine von seinem Kunsthandwerk leben. Am Flughafen Palma ist er für die Elektrik zuständig. Gerne würde er sich ausschließlich dem Flechten widmen. Langweilig würde es ihm nie, meint er. Neben Stuhlsitzen gebe es ja so viele Verwendungsmöglichkeiten. Für ein Hotel habe er zum Beispiel Wandschmuck und Bettlehnen geflochten. In Kursen gibt der Mallorquiner sein Wissen weiter. Wegen Corona liegen sie zurzeit leider auf Eis. Schwierig sei es nicht, das Flechten zu lernen. „Können Sie bis drei zählen? Wissen Sie, wo oben und unten ist?”, fragt er und lacht. „Dann können Sie anfangen.” Der Rest sei Übung.
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