Viel zu feiern hatten die Spanier letzthin
wahrlich nicht. Das Land steckt in einer tiefen Krise und vielen
Menschen geht es dreckig. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 20
Prozent. Die Spekulationen um eine bevorstehende Staatspleite haben
obendrein das Ansehen im Ausland ruiniert – ebenso wie das
Selbstwertgefühl der Spanier.
Es ist also kein Wunder, dass die Party nach dem
Weltmeister-Titel, den die Fußballer in Südafrika errungen haben,
ungekannte Ausmaße angenommen hat. 2'5 Millionen Menschen sollen in
Madrid auf den Beinen gewesen sein, als die Mannschaft am Montag im
Triumphzug durch die Hauptstadt fuhr. „So etwas hat es noch nie
gegeben”, waren sich die Berichterstatter einig. Das ganze Land
versank im rotgelben Freudentaumel, als der 1:0-Sieg im Finale
gegen die Niederlande am Sonntagabend perfekt war.
Die Euphorie jedoch wird vermutlich rasch verfliegen. Dass auch
ein epochaler sportlicher Erfolg Spaniens Strukturprobleme nicht
löst, liegt auf der Hand. Der Effekt für die Volkswirtschaft dürfte
kaum messbar und schon gar nicht von Dauer sein. Der Fußball hat
das Land lediglich für ein paar Tage herausgerissen aus der
schwermütigen Untergangsstimmung.
Dennoch: Dieser sportliche Erfolg hat tatsächlich historische
Bedeutung – und das nicht nur, weil es der erste Weltmeister-Titel
für Spaniens Fußballer ist. Den elf Männern in kurzen Hosen ist
gelungen, was Feldherren, Könige und Diktatoren nicht vermochten:
Sie haben das Land geeint.
So kommentierte die spanische Tageszeitung „El País” am Tag des
Finales: „Plötzlich scheinen sich alle Vorbehalte und jede
Zurückhaltung gegenüber unseren nationalen Symbolen aufgelöst zu
haben. Die Landesflagge steht auf einmal nur noch für die
Nationalmannschaft und hat jegliche negative Konnotation verloren.”
Nach Bürgerkrieg und Diktatur ist Spanien bis heute ein Land mit
einem bedenklichen Nationalkomplex. Historisch bedingt ist das Land
tief gespalten. Es gibt keinen nationalen Konsens in grundlegenden
Fragen – mit allen negativen Folgen, die das für das Gemeinwesen
hat. „Es ist schier unmöglich, einen Moment in unserer Geschichte
zu finden, in dem Spanien so vereint war wie am Sonntagabend”,
schreibt die Zeitung „El Mundo”: „Der Fußball ist der Mörtel, der
die Individuen in diesem gespaltenen Land zusammenhält.” In den
vergangenen Wochen hat es kaum eine Straße im Land gegeben, in der
nicht an mehreren Balkons die „Rojigualda” flatterte, die rotgelbe
Landesfahne. Selbst im traditionell abtrünnigen Katalonien und im
Baskenland, die beide ihre eigene inoffizielle
„National”-Mannschaft betreiben, fand die gesamtspanische Selección
diesmal treue Anhänger. In Barcelona wurde zum ersten Mal überhaupt
bei einem Spiel der spanischen Nationalmannschaft im öffentlichen
Raum eine Großleinwand aufgestellt.
Dieser Mannschaft, in der neben Madrilenen, Andalusiern und
Kanaren auch ein Baske, vor allem aber sieben Katalanen spielen,
ist es gelungen, die Menschen in allen spanischen Regionen zu
begeistern. Zum ersten Mal hat Spanien ein Nationalteam, in dem die
regionalen Zugehörigkeiten und Rivalitäten nur noch eine
untergeordnete Rolle zu spielen scheinen. Selbst die Kicker der
beiden Erzrivalen FC Barcelona und Real Madrid haben sich
zusammengerauft und gemeinsam dem einen großen Ziel untergeordnet.
Wenn das in diesem Land Schule machen würde, wäre fraglos viel
gewonnen. Viel mehr als nur ein golden glänzender Wanderpokal.
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