Sie bewegen sich im World Wide Web so ungezwungen und familiär
wie in den eigenen vier Wänden: Das Leben mit und im Netz gehört
für die „Generation Internet“ zum ganz normalen Alltag. „Wir leben
mittlerweile in einer Gesellschaft, in der nicht die
Internetnutzer, sondern jene, die es nicht nutzen, zur
Problemgruppe werden“, betonte Antoni Bennàssar, Direktor des
Balearenbüros für Kinder- und Jugendschutz, auf einem
Internetkongress an der Universität der Balearen vor wenigen Tagen.
Seit nunmehr zwei Jahren hat sich das Büro dem Thema Internet
verstärkt angenommen, es laufen Studien und Forschungsarbeiten über
pathologische Risiken, Suchtverhalten und den Schutz des
Minderjährigen in der Cyberwelt.
In Spanien verfügen 80 Prozent der Elf- bis 17-Jährigen über
Onlinezugang, bei den 18- bis 24-Jährigen sind es 98 Prozent.
„Abhängigkeiten vom Internet gibt es bei Kindern noch eher selten“,
erklärte Lourdes Estévez, Psychaterin an einem Krankenhaus in
Madrid – laut einer aktuellen Studie mit 700 Schülern dreier
Schulen in Madrid, zeigten nur dreieinhalb Prozent aller 14- bis
18-Jährigen einen als problematisch einzustufenden Umgang mit dem
neuen Medium. Hier seien die Eltern besonders gefragt, Kinder und
Jugendliche, die in ihrer Freizeit komplett im Netz versumpfen,
auch zu anderen Aktivitäten anzuleiten und sich zum Schutz ihrer
Kinder in Sachen „WWW“ so schlau wie möglich zu machen, forderte
sie.
Doch das klingt leichter als getan. „Sie nehmen meist Eltern als
Internet-user nicht ernst, weil sie generell immer den Kids
hinterherhinken. Das Internet ist eine komplett neue, unerforschte
Spielwiese – hier fehlen überlieferte und bewährte Werte, auf die
man zurückgreifen könnte“, gibt Genis Roca, Historiker und
Spezialist für Internetstrategien an der Universität Barcelona zu
bedenken. Der spanienweite Boom auf das Netz liegt vier Jahre
zurück, heute sind Spanier durchschnittlich 12'1 Stunden pro Woche
online – und surfen damit länger, als sie fernsehen (11'7 Stunden).
Seit vier, fünf Jahren ist das Internet interaktiv geworden – der
User hat sich vom Rezipienten zum aktiven Teilnehmer
entwickelt.
Und es prägt immer mehr unsere sozialen Kontakte im „Real-Life“.
„Laut einer Studie von 2005 haben sich damals schon eines von acht
Paaren im Internet kennengelernt – Sie können sich hochrechnen, wie
es wohl heute aussehen dürfte“, sagt Genis Roca. Besonders aktiv
sind junge Menschen zwischen 20 und 25 Jahren: In den USA hat die
Hälfte aller 21-Jährigen sich bereits eine eigene Webpage gebaut,
die meisten der welweit 130 Millionen veröffentlichten
Internettagebücher werden von 22-Jährigen geschrieben. Vor allem im
Alter zwischen 15 und 35 sei eine extrem hohe Internetaffinität
bemerkbar – bei allen, die älter sind, scheint die Lust am
virtuellen Leben abzuflauen oder erst gar nicht so
hochzuköcheln.
„Das Internet verändert unsere Gewohnheiten, und das
langfristig. Wobei ich sehr optimistisch bin – bei allen Gefahren,
die es da geben mag. Als es 1981 den ersten PC gab, hielten diesen
viele auch für Teufelszeug“, sagt Roca. Das Internet habe die Welt
kleiner gemacht, neue Möglichkeiten der Sozialisierung eröffnet.
„Auf Mallorca kann man diesen Effekt besonders bemerken: Online
halten die ausländischen Residenten Kontakt zur Heimat – und
wandern sie wieder zurück, halten sie so den Kontakt zur Insel.“
Gleichzeitig lebten die Menschen verstärkt die unterschiedlichen
Facetten ihrer Persönlichkeit aus. „Ich kann, muss aber nicht, im
Internet verschiedene Rollen annehmen. Im Grunde definiere ich
einen Teil meines Selbst über den Part des Webs, den ich regelmäßig
nutze.“ Die virtuelle Parallelwelt „Second-Life“, in der der Nutzer
sich ein neues Leben nach Wunschmaßstäben aufbauen kann, ist nur
eine Möglichkeit, sich in anderen Charakteren auszutoben.
Dass sich Jung und Alt durch die wachsende Cyberaffinität der
jungen Generation immer mehr entfremden, sehen die meisten
Wissenschaftler nicht als Gefahr – wenn man für das neue Medium
offen bliebe. „Es gibt durchaus Großeltern, die sich einen Spaß
daraus machen, für ihre Enkel Filme und Musik herunterzuladen“,
meint Roca.
Und gibt zu bedenken, dass Diskussionen, die derzeit über
zukünftige Internetnutzung und die damit zusammenhängenden
Gesellschaftsentwicklungen geführt würden, meist ein ähnliches
Schicksal widerfährt wie neu entwickelter Software: Kaum auf dem
Markt, ist sie schon veraltet. „Wir reden zum Beispiel viel über
die Internetnutzung am PC. Aber in drei, vier Jahren wird der wohl
schon längst vom Webhandy abgelöst worden sein.“
Auch E-Mails seien mittlerweile angestaubt – junge Internetuser
schwören auf Instant-Messenger, den Microblog „Twitter“ oder
virtuelle Pinnwände, die ein Kommunizieren in Echtzeit ermöglichen.
„Schon jetzt nutzen junge User E-Mailservice nur noch, um sich den
Benutzernamen für den Messenger zu schicken“, erklärt Roca. Ein
Hinweis darauf, dass die zukünftige Internetnutzung mobil und
synchron zur Echtzeit ablaufen werde: „Folgende Situation wird
vollkommen normal werden: Sie sind im Laden unentschlossen, klinken
sich über Ihr Handy bei einem Internetforum ein und holen sich dort
Entscheidungshilfe von anderen Usern oder Experten, bevor sie zur
Kasse schreiten.“
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